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Zweifelhaftes Ideal: Vom Trend zum korrigierten Intimbereich

Immer mehr Frauen legen unters Messer, um in der Bikini-Zone zu straffen, zu verkleinern oder zu verjüngen. Manche, weil sie Schmerzen im Alltag haben. Doch auch neue Schönheitsideale spielen eine Rolle.

Intimchirurgie
OP-Besteck im Operationssaal: »Generell sehen wir ganz klar, dass die Intimchirurgie zunimmt«. Foto: Oliver Berg/DPA
OP-Besteck im Operationssaal: »Generell sehen wir ganz klar, dass die Intimchirurgie zunimmt«.
Foto: Oliver Berg/DPA

Der Instagram-Auftritt lädt ein zum Wohlfühlen. »Love yourself« steht auf der einen Kachel, »Jeder Tag ist Weltfrauentag« auf einer anderen. Die Seite gehört zu der plastisch-chirurgischen Praxis von Pirkko Schuppan in Köln. Ihre Botschaft: Liebt euch so, wie ihr seid. Und schämt euch nicht für das, was ihr wollt.

Schuppan hat sich auf Eingriffe der besonderen Art spezialisiert: Intimkorrekturen. Ein Thema, das bei vielen mit Schamgefühlen verbunden ist. Gleichzeitig legen sich in Praxen wie der von Schuppan jedes Jahr Tausende unters Messer. Umfragen zufolge werden es immer mehr.

Sie lassen ihre Schamlippen verkleinern, ihren Venushügel absaugen oder den sogenannten G-Punkt unterspritzen. Einige OPs sind nötig, weil Frauen Schmerzen und Beschwerden haben, etwa beim Sport. Andere zielen darauf ab, ein Schönheitsideal zu erfüllen oder das Sexleben anzukurbeln.

Zunahme von Intimkorrekturen in Deutschland

Wie aus einer Umfrage der Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) hervorgeht, entfielen im vergangenen Jahr knapp vier Prozent der Schönheitsoperationen bei Frauen auf den Intimbereich. Damit sind die Eingriffe fast so populär wie Nasen-OPs.

Wie viele OPs genau stattfinden, lässt sich nicht sagen. In einer Ärzte-Umfrage der Internationalen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (ISAPS) im Jahr 2021 ist für Deutschland von rund 12.000 Intimkorrekturen bei Frauen die Rede - rund 50 Prozent mehr als noch fünf Jahre zuvor.

Beide Statistiken beziehen sich allerdings nur auf Zahlen aus Praxen und Kliniken ästhetisch-plastischer Chirurginnen und Chirurgen. Doch auch etwa Gynäkologinnen und Gynäkologen können Eingriffe vornehmen. Wahrscheinlich ist also, dass die Zahl der Intimkorrekturen noch deutlich höher liegt.

Wo keine medizinische Notwendigkeit herrscht, zahlt die Krankenkasse in der Regel nicht. Und so zahlen immer mehr Frauen aus eigener Tasche Tausende Euro an eine Branche, in der teils auch mit blumigen Versprechungen um Kundinnen geworben wirbt. Frei nach dem Motto: Es gibt nichts, was Frau sich nicht machen lassen kann. Nicht immer wird dabei ausreichend über die Risiken informiert. Und die Qualität der Eingriffe schwankt.

Pirkko Schuppan will mit ihrer Praxis für einen seriösen Umgang mit dem Thema stehen. »Generell sehen wir ganz klar, dass die Intimchirurgie zunimmt«, sagt Schuppan. Das sei per se auch nichts Schlechtes, findet sie. »Frauen sind heute eher bereit, darüber zu sprechen, was sie stört und was sie belastet.« Wichtig sei das persönliche Gespräch vor der OP, bei ihr fänden davon mindestens zwei statt. »Die Motivation muss die richtige sein.« Heißt: Sie will Frauen helfen, die leiden - und keine kuriosen Wünsche erfüllen. Dass sie Patientinnen nach dem Vorgespräch ablehne, komme häufig vor.

Vor allem zwei Gründe gibt es, sich für eine Intimkorrektur zu entscheiden. Genetisch bedingt können etwa große Schamlippen schon Teenagerinnen schwer belasten. Sie reißen ein, werden wund, vor allem beim Sport oder beim Sex. Auch im Alter und nach Geburten, wenn der Körper sich verändert, kann es zu Beschwerden kommen.

Losgelöst davon gibt es aber auch Eingriffe, denen kein medizinischer Grund vorausgeht. Sie sollen einfach nur »schöner« machen. Schöner, straffer, jünger - so lauten auch Versprechungen in der Branche. Die Frage ist: Wo werden nachvollziehbare Wünsche erfüllt - und wo neue geweckt?

»Wird die Motivation der Patientinnen sorgfältig hinterfragt, spricht aus unserer Sicht nichts gegen derartige Eingriffe«, sagt Henrik Menke, Präsident der Gesellschaft für Plastische, Rekonstruktive, und Ästhetische Chirurgie (DGPRÄC). »Wobei wir hier, wie auch in vielen anderen Bereichen der ästhetischen Chirurgie, durchaus kritisch wahrnehmen, dass ein standardisiertes ästhetisches Erscheinungsbild zunehmend idealisiert wird.«

Problematische Schönheitsideale und mediale Einflüsse

Dieses Ideal der Vulva, also des äußeren weiblichen Genitals, findet auch die Medienpsychologin Ada Borkenhagen problematisch. »Grund hierfür war der Modetrend der Voll- oder Teilentfernung der Intimbehaarung«, so Borkenhagen, die an der Universität Magdeburg zu dem Thema forscht. Die Rasur lege den Intimbereich erst frei - und habe so dafür gesorgt, dass Schönheitsideale bis in die Unterwäsche vordringen.

Wie weibliche Intimbereiche auszusehen haben und wie nicht, werde zudem durch die mediale Darstellung von Nacktheit vorgegeben, so Borkenhagen. »Es wird das Schönheitsideal eines kleinen, innenliegenden Genitals reproduziert, während das männliche Genital groß und prominent sein soll.« Auch Männer interessierten sich zunehmend für Intimkorrekturen, schreibt die DGÄPC, der häufigste Eingriff sei die Penisvergrößerung.

Bei Frauen dürfe auch im Bikini oder Unterwäsche nichts auftragen - ein täglich etwa in der Werbung zu sehendes Ideal, sagt Borkenhagen. Auch Pornos hätten dazu beigetragen, realitätsferne Ideale zu festigen. Gerade jüngere Frauen müssten davor besser geschützt werden.

Eine klare Linie fährt deshalb die Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), die Eingriffe aus rein ästhetischen Gründen ablehnt. »Wir sind nicht dazu da, um irgendwelche Schönheitsideale umzusetzen, sondern behandeln Frauen mit medizinischen Problemen«, sagt deren Leitlinienbeauftragter Matthias Beckmann.

Beckmann, Direktor der Frauenklinik in Erlangen, bemängelt auch die schwankende Qualität der Eingriffe. »Bei den niedergelassenen Kollegen, die derlei Eingriffe durchführen, gibt es keine gesetzliche Qualitätssicherung«, sagt Beckmann. Ein Resultat: Sowohl Beckmann als auch Schuppan müssen immer wieder Frauen operieren, deren erste OP schiefgelaufen ist, wie sie berichten.

Herausforderungen und Risiken in der Branche

Ein Problem sieht Beckmann in dem finanziellen Anreiz, viele Operationen durchzuführen. Niedergelassene Operateure fänden sich so in einer Zwickmühle wieder. Wer zu breit über Risiken aufkläre, verdiene im Endeffekt weniger. »Das ist keine Medizin, das ist dann ein Geschäft«, sagt er.

Ein erstes Qualitätskriterium kann etwa die Berufsbezeichnung sein. Als Schönheitschirurg kann sich jeder Arzt bezeichnen, denn der Begriff ist nicht geschützt. Anders ist das beim Titel Facharzt oder Fachärztin für ästhetisch-plastische Chirurgie.

Diesen Titel trägt auch Schuppan. Schwarze Schafe gebe es in jeder Branche, sagt sie. Wo Angebote zu günstig seien, werde an der falschen Ecke gespart. Aber: »Auch die Patientinnen sind in der Pflicht, sich über ihre Chirurgin oder ihren Chirurg zu informieren.«

Wichtig ist ihr, mit ihrer Praxis für Frauen da zu sein, die wirklich Hilfe brauchen. Den Wunsch ihrer Patientinnen nach einer OP könne sie im Übrigen gut nachvollziehen, sagt sie. »Ich kenne das Gefühl auch, dass mich etwas stört«, so die Chirurgin. »Warum darf ich das dann nicht machen lassen?«

© dpa-infocom, dpa:230710-99-346340/2