HAMBURG. Mit Blick auf das neue Jahr erleben die Deutschen nach Einschätzung des Hamburger Zukunftsforschers Horst Opaschowski eine Achterbahn der Gefühle.
Einer repräsentativen Umfrage zufolge dominiert bei 83 Prozent der Bevölkerung sowohl die Sorge vor der Ungewissheit als auch die Freude über Fortschritte in der Corona-Krise. Die Hälfte der Befragten sei pessimistisch, die andere Hälfte vorsichtig optimistisch, sagt Opaschowski über die Ergebnisse der Umfrage, die sein Institut im November in Kooperation mit dem Meinungsforschungsinstitut Ipsos durchführte. Zwischen Hoffen und Bangen erwarteten die Deutschen jetzt die Impfungen und deren Wirkungen.
Die Corona-Krise lässt nach Ansicht des 79-jährigen Forschers auch die Kluft zwischen Arm und Reich wachsen. Die Zahl der Menschen, die eine wachsende soziale Spaltung befürchten, habe von 60 Prozent im Vorjahr auf 85 Prozent zugenommen. Als Krisenverlierer fühlten sich vor allem Frauen, junge Menschen zwischen 18 und 24 Jahren sowie Bewohner des ländlichen Raumes. Eher keine Sorge um ihre wirtschaftliche Lage machten sich die Rentner (56 Prozent). Auch gebildete Stadtbewohner sähen sich auf der Sonnenseite des Lebens, sagt Opaschowski und stellt gleichzeitig fest: »Die Corona-Krise hat viele Menschen ärmer gemacht.«
Manchen fehlt das Geld, anderen die Lust zum Einkaufen. 58 Prozent der Befragten geben an, dass sie im kommenden Jahr beim Konsumieren und Geldausgeben maßvoller und bescheidener sein wollen. Sparsamer leben wollten vor allem die nicht so von Geldsorgen getriebenen Älteren ab 65 Jahren, während die Jungen unter 24 möglichst so weiterleben wollten wie bisher. »Die Verweildauer in Geschäften und Shopping Centern sinkt sichtbar. Shopping als Glücksgefühl geht zunehmend verloren«, sagt Opaschowski. Er macht dafür aber nicht die strengen Corona-Regeln verantwortlich, sondern einen langfristigen Wertewandel. »Viel haben und viel besitzen ist kein vorrangiges Lebensziel mehr«, sagt der Forscher. Langfristig könne aus der Konsumkultur eine Sinnkultur werden.
Reisewarnungen und -verbote hätten die Reiselust vertrieben. Mehr als zwei Drittel der Deutschen (70 Prozent) gaben an, sie wollten 2021 zu Hause bleiben oder in Deutschland Urlaub machen. Veranstalter von Fern- und Auslandsreisen müssten sich auf Singles und junge Leute konzentrieren, meint Opaschowski. Alle übrigen scheuten das Risiko. Vor allem Ostdeutsche (77 Prozent) und Senioren (82 Prozent) denken nicht an eine Auslandsreise. Bei einer Überwindung der Corona-Pandemie könnte sich dieser Trend allerdings schnell ändern. Für die Folgejahre rechnet Opaschowski mit einer »Explosion der Reiselust«.
Unter dem Eindruck der Corona-Maßnahmen erwarten gut zwei Drittel (68 Prozent) der Befragten, dass die Bürger im neuen Jahr mehr zusammenhalten werden. Dabei vertrauen sie zunächst auf die eigene Familie und die Nachbarn. Gut die Hälfte (52 Prozent) ist der Ansicht: »In anhaltenden Krisenzeiten sind Nachbarn oft hilfreicher als Freunde.« Die Menschen hätten die Erfahrung gemacht, dass sich Freunde in ihr Schneckenhaus zurückzögen, so wie es die Corona-Empfehlungen auch verlangten, erklärt Opaschowski.
Krisengewinner sind seiner Ansicht nach eindeutig die regierenden Politiker. Nach Jahren der Abkehr vertrauten ihnen die Bürger wieder viel mehr. Die Ministerpräsidenten suchten geradezu die Nähe zur Bevölkerung, hat Opaschowski beobachtet. Für die Bundestagswahl im September bedeute dies gute Chancen für die regierenden Parteien.
Sorgen, die in anderen Jahren die Deutschen umtrieben wie Klimawandel, Flüchtlingsintegration, Kriminalität, Angst vor Krieg, seien in der Corona-Krise in den Hintergrund getreten. »Die Pandemie tut richtig weh, der Klimawandel ist immer noch weit weg, auch bei jungen Leuten«, sagt Opaschowski. (dpa)