MÜNCHEN. Auf Deutschlands Straßen wächst die Zahl der Raser und Rennfahrer. Seitdem die Bundesregierung das Rasen 2017 zum Straftatbestand gemacht hat, sind die Fallzahlen in vielen Bundesländern zum Teil dramatisch gestiegen, wie eine Umfrage unter den 16 Bundesländern zeigt.
Demnach zählte die Polizei in neun Bundesländern im Jahr 2019 rund 1900 Fälle, etwa 700 mehr als ein Jahr zuvor. Darunter fallen neben illegalen Rennen auch Einzelraser, die mit Höchstgeschwindigkeit unterwegs waren, und Flucht vor der Polizei bei Verfolgungsjagden. An der Spitze stand 2019 Nordrhein-Westfalen mit 659 Fällen - was allerdings auch nicht weiter erstaunt, da NRW mit 18 Millionen Einwohnern das bevölkerungs- und autoreichste Bundesland ist.
Auffällig ist jedoch Berlin, das mit seinen 3,8 Millionen Einwohnern 2019 mit 390 Fällen auf Platz zwei liegt, noch vor Bayern (294) und Baden-Württemberg (252).
Das Phänomen Rasen hat viele Facetten: Früher gab es organisierte illegale Rennen, häufig langfristig geplant, oft mit internationalen Teilnehmern. »Diese Art der illegalen Autorennen wird seit mehreren Jahren nicht mehr festgestellt«, sagt ein Sprecher des bayerischen Innenministeriums in München.
Häufig sind dagegen kurzfristige Rennen oder spontane Aufeinandertreffen. »Es kann auch einer allein sein, der sozusagen gegen die Stoppuhr fährt«, sagt der Sprecher.
In Sachsen-Anhalt handelte es sich 2019 bei der großen Mehrheit der 53 Raserfälle um Flucht vor der Polizei. Politik und Polizei in Regionen mit aktiver Raserszene sind beunruhigt, ebenso Verkehrssicherheitsexperten. »Unfälle mit Rasern enden oft tödlich, und sie sind häufig auch auf Gleichgültigkeit gegenüber der Sicherheit anderer zurückzuführen«, sagt Verkehrssicherheitsforscher Jörg Kubitzki vom Allianz Zentrum für Technik in Ismaning vor den Toren der bayerischen Landeshauptstadt.
Kubitzki sieht das Raserphänomen als extreme Ausprägung allgemein zunehmender Rücksichtslosigkeit im Verkehr: »Die Mehrheit der Autofahrer verhält sich vernünftig, dennoch muss man bei einer wachsenden Zahl von Menschen einen Verfall der Verkehrsmoral beklagen, der sich auch noch durch eine ganze Reihe anderer Gefährdungen im Straßenverkehr ausdrückt.« Kubitzki nennt konkrete Beispiele: »Das Benutzen der Rettungsgasse, die Nutzung des Abbiegestreifens zum Geradeausfahren oder Nötigungsdelikte zum Zweck des schnelleren Vorwärtskommens gehören dazu.«
Und wenn sich derartiges Fehlverhalten häuft, führt das nach Einschätzung des Fachmanns dazu, dass die Polizei mehr zu tun hat und die Präventionsarbeit für Verkehrssicherheit an anderer Stelle leidet.
Die Raserzahlen sind nicht in allen Bundesländern vollständig vergleichbar, da es Unterschiede in der Erfassung gibt. Vier Länder - Hamburg, Niedersachsen, Thüringen und das Saarland - führen gar keine solche Statistik. Drei Länder - Rheinland-Pfalz, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern - ließen die Anfrage unbeantwortet.
Außerdem weisen die Innenministerien mehrerer Bundesländer darauf hin, dass es sich um einen vergleichsweise jungen Straftatbestand handelt, was die starke Zunahme der Fälle zum Teil erklären könnte. Außerdem gibt es in der Kriminalistik ein bekanntes statistisches Phänomen: Schreitet die Polizei verstärkt gegen bestimmte Straftaten ein, kann der Effekt zunächst ein scheinbarer Anstieg der Kriminalität sein. Die Fallzahlen steigen, weil mehr ermittelt wird.
Doch dass zunehmende Raserzahlen ausschließlich auf vermehrte polizeiliche Erfassung und statistische Effekte zurückzuführen wären, glaubt eigentlich auch niemand. Mehrere Landesregierungen gehen aktiv gegen Raser vor, die Strafen sollen Autoliebhaber mit Hang zur Höchstgeschwindigkeit empfindlich treffen: »Mitglieder der «Raser-Szene» definieren sich oft über ihre getunten und leistungsoptimierten Fahrzeuge«, erklärt eine Sprecherin des nordrhein-westfälischen Innenministeriums.
»Daher hat die Polizei in Nordrhein-Westfalen gute Erfahrungen damit gemacht, dass es unter bestimmten rechtlichen Voraussetzungen möglich ist, die Fahrzeuge sicherzustellen beziehungsweise zu beschlagnahmen.« Eine weitere Option ist der Einzug des Führerscheins.
Auch im Süden beschäftigen Raser die Polizei: In Bayern hat das Innenministerium einheitliche Maßstäbe zur Bekämpfung des Raserphänomens festgelegt, wie der Ministeriumssprecher in München sagt.
»Die Wirkzusammenhänge zwischen Kontrolldruck, Sanktionshöhe und Verhaltensänderung sind wissenschaftlich erwiesen«, resümiert ein Sprecher des baden-württembergischen Innenministeriums in Stuttgart. Wo schärfer kontrolliert und härter bestraft wird, vermindert sich also schlussendlich die Zahl der Raser. (dpa)