Köln (dpa) - Manche Menschen gehen an Heiligabend noch schnell Geschenke kaufen. Oder einen Baum schlagen. Wolfgang Niedecken geht an Heiligabend am Rheinufer Moos suchen, ausgerüstet mit einem Spachtel.
Moos als Bodenbelag für seine Krippe, die es so nicht noch einmal gibt: Die Figuren hat er in einem Urlaub in Costa Rica gekauft und anschließend selbst bemalt. Das Jesuskind trägt eine Leopardenwindel, Maria ein Sternenkleid, und zwei Schäfchen haben Tigerfell.
Es ist kurz vor Weihnachten. Wolfgang Niedecken schlendert über die Severinstraße in der Kölner Südstadt - seine Penny Lane. Hier dauert es immer nur Minuten, ehe er von einem ehemaligen Nachbarn erkannt wird: »Hey Wolfgang, wie geht's dir?« Das Haus, in dem er aufgewachsen ist, sieht noch so aus wie damals, nur ist jetzt ein Reisebüro unten drin.
Wenn der 68-Jährige durch das Schaufenster schaut, sieht er etwas anderes: Tiefkühltruhen, eine rote Wurstschneidemaschine, eine elektrische Kaffeemühle, Keksdosen, Zuckersäcke... Dazwischen steht ein kleiner Mann im grauen Kittel - sein Vater Josef Niedecken, Inhaber des gleichnamigen Lebensmittel- und Feinkostgeschäfts.
An Heiligabend herrschte hier immer furchtbarer Stress, schließlich wollten viele noch auf den letzten Drücker fürs Weihnachtsessen einkaufen. Bis zum späten Nachmittag blieb der Laden offen. Und dann musste erstmal saubergemacht werden, ehe die Niedeckens überhaupt an ihre eigene Feier denken konnten.
»Das war immer eine hochexplosive Stimmung«, erinnert er sich. »Es genügte ein falsches Wort, dann hing der Haussegen schief. Vielleicht hat das mit dazu geführt, dass ich ein Weihnachtsmuffel bin.« Er feiert schon auch mit, aber bitte nicht zuviel - ein Pflichtweihnachtsmarktbesuch pro Saison reicht ihm zum Beispiel. In Köln bevorzugt er den am Schokoladenmuseum, in Berlin, wo die Töchter leben, zieht es ihn am ehesten in die Kulturbrauerei am Prenzlauer Berg.
Irgendwann - der kleine Wolfgang muss so im Grundschulalter gewesen sein, denn er glaubte zu dieser Zeit noch ans Christkind - entschlossen sich die Eltern, die Bescherung auf den Morgen des ersten Weihnachtstags zu verlegen. Dem Sohn erklärten sie: »Das Christkind hat zuviel zu tun, das schafft es erst mitten in der Nacht zu uns.« Solange könne er nicht aufbleiben.
»Ich fand die Lösung sensationell. So war alles viel entspannter.« Noch heute will er mit Weihnachtsvorbereitungen am liebsten nichts zu tun haben. Seine Frau Tina und seine beiden erwachsenen Töchter suchen den Baum aus.
Auf Kommando in Weihnachtsstimmung zu verfallen, liegt ihm gar nicht. »Ich bin da undressierbar. Das Schlimmste ist, wenn wir bei Verwandten sind und dann verlangt wird, wir sollen singen. Da kann ich wie ein trotziger kleiner Junge sein. Ich krieg dann richtig hektische Flecken im Gesicht.«
In die Christmette geht er nicht, aber wenn er allein ist, führt ihn der Weg durchaus schon mal in eine von Kölns romanischen Kirchen. »Ich bin restkatholisch. 51 Prozent Katholik, 49 Prozent Agnostiker. Sobald ich aber in der Kirche bin und den Gekreuzigten sehe, komme ich mir vor wie in einem dieser alten Don Camillo-Filme aus den 50er Jahren. Da könnte ich mich niemals danebenbenehmen.«
Wolfgang Niedecken steht vor seinem Elternhaus. »Ich hatte hinten das letzte Zimmer«, sagt er und deutet auf die zweite Etage. Er war der Inbegriff eines Papa-Kinds. Sogar der Name BAP geht auf den Vater zurück: Weil Niedecken seine Musikerkollegen immer wieder mit Geschichten über Papas Sparsamkeit unterhielt, begannen sie ihn mit der Zeit selbst den »Bapp«, den Papa, zu nennen. Als sie dann einen Namen für die Band brauchten, griffen sie darauf zurück, ließen das zweite »p« aber weg.
Später hatten sich Vater und Sohn nicht mehr viel zu sagen. Josef Niedecken hielt wenig von den künstlerischen Ambitionen seines Sohns, er hat BAP nie auf der Bühne erlebt. 1980 ist er gestorben. Heute fällt Wolfgang Niedecken immer wieder auf, wie ähnlich er ihm ist. »Mein Vater war auch ein Weihnachtsmuffel, das hab' ich von ihm. Das einzige, was er sich an Heiligabend nicht nehmen ließ, war das Moossuchen für die Krippe. Ein Ritual, an dem ich auch hänge.«
Früher war es sein Vater, der mit ihm loszog. Seit 20 Jahren ist nun er es, der seine Töchter mitnimmt. Auch dieses Jahr wird das wieder so sein: Heiligabend im Hause Niedecken. »Da schließt sich ein Kreis.«