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Aktuell INTERVIEW

Wie man Krebs vorbeugen kann

Mit einem gesunden Lebensstil lässt sich jede zweite Krebs-Erkrankung verhindern. Eine Tübinger Forscherin verrät, wie das geht.

Krebs ist eine Volkskrankheit. Die Hälfte der deutschen Bevölkerung bekommt sie laut Deutscher Krebshilfe im Laufe ihres Lebens. Foto: Jürgen Fälchle/Adobe Stock
Krebs ist eine Volkskrankheit. Die Hälfte der deutschen Bevölkerung bekommt sie laut Deutscher Krebshilfe im Laufe ihres Lebens.
Foto: Jürgen Fälchle/Adobe Stock

TÜBINGEN. Krebs ist eine Volkskrankheit. Die Hälfte der deutschen Bevölkerung bekommt sie laut Deutscher Krebshilfe im Laufe ihres Lebens. Dabei könnte jeder zweite Tumor der Weltgesundheitsorganisation zufolge verhindert werden. Wenn nur das Wissen der Forschung in Arztpraxen und Krankenhäusern umgesetzt würde. Wenn nur schon bei Prävention und Diagnose statt erst bei Therapie angesetzt würde. Doch das geschieht viel zu wenig. Darum hat die Tübinger Krebsforscherin Hanna Heikenwälder ein Buch geschrieben. Es richtet sich an jeden von uns mit Tipps, wie wir unser Krankheitsrisiko minimieren können. Das Gute daran: Der Lebensstil ist wichtiger als das Erbgut. Wir haben unsere Gesundheit also zum guten Teil selbst in der Hand.

GEA: Erben wir Krebs von unseren Eltern? Oder sind wir selbst schuld?

Hanna Heikenwälder: Nur fünf bis zehn Prozent aller Krebserkrankungen werden durch angeborene genetische Veränderungen verursacht. Der Rest entsteht durch zufällige genetische Veränderungen im Laufe des Lebens. Die meisten dieser Prozesse sind ganz normal, laufen in jedem von uns ab und lassen sich nicht verhindern. Darum ist Krebs keine Frage des »Ob«, sondern eine Frage des »Wann« und des »Wo zuerst«. Soweit die schlechte Nachricht.     Jetzt die gute Nachricht: Wie schnell defekte Zellen sich zu Krebs entwickeln, hängt von unserer Lebensweise ab. Wir können den Prozess beschleunigen oder verlangsamen. Deshalb ist Prävention so wichtig. Ziel aller Maßnahmen ist es, den Prozess so stark zu verzögern, so frühzeitig zu erkennen und so nachhaltig zu stoppen, dass er im Laufe eines Menschenlebens nicht mehr als Krebserkrankung in Erscheinung tritt.     Die Antwort auf Ihre Frage lautet also: Erblich vorbestimmt ist Krebs nur in den seltensten Fällen. Trotzdem ist niemand schuld an seiner Krebserkrankung, dafür sind die Ursachen zu vielfältig. Allerdings kann jeder sein Krebsrisiko senken, indem er gesund lebt. Dieses Wissen gibt uns Hoffnung, überträgt uns aber auch Verantwortung.

Wie genau entsteht Krebs im Körper?

Heikenwälder: Gesunde Zellen müssen zunächst eine Reihe genetischer Veränderungen ansammeln. Die meisten sind nicht von vornherein angeboren, sondern im Laufe des Lebens erworben. Diese Defekte passieren größtenteils – und zwar zwangsläufig – im Körper durch Nebenprodukte beim Stoffwechsel oder durch Fehler bei der Zellteilung. Viel seltener dagegen lässt Krebs sich auf einen bestimmten, theoretisch vermeidbaren Erreger aus der Umwelt zurückführen. Tabak und UV-Strahlung sind da Ausnahmen. Aber selbst dadurch hervorgerufene Mutationen entwickeln sich meist nicht automatisch zu Krebs.     Stattdessen beseitigt der Körper Mutationen in den meisten Fällen sofort. Dafür gibt es sozusagen drei Schutzebenen. Wie zuverlässig diese arbeiten, hängt allerdings stark von unserer Lebensweise ab. Auf der ersten Schutzebene werden genetische Schäden repariert. Je häufiger Mutationen auftreten und je häufiger Reparaturen anfallen, desto höher ist das Risiko, dass dabei Fehler auftreten. Die Schäden können allerdings so groß sein, dass sie nicht behoben werden können. Dann greift die zweite Schutzebene: Damit defekte Zellen keine Abkömmlinge produzieren, werden sie in den Zelltod oder in den Ruhestand geschickt. Dieser Mechanismus kann jedoch versagen, wenn Hormone, Entzündungen oder Infektionen das Überleben und das Wachstum der defekten Zellen anregen. Zuletzt tritt die dritte Schutzebene in Kraft: Geschädigte Zellen, die sich weiter vermehren, werden vom Immunsystem erkannt und vernichtet. Das Immunsystem kann jedoch geschwächt werden durch einen ungesunden Lebensstil. Dazu zählen etwa falsche Ernährung, Bewegungsmangel und Stress.     Wir unterscheiden also Krebserreger und Krebsförderer. Krebserreger vergleiche ich gern mit Samen: Sie verursachen Mutationen und schaffen dadurch die Möglichkeit für Krebs. Krebsförderer sind der Nährboden: Sie stärken das Wachstum defekter Zellen, schwächen die Abwehr des Körpers und machen Krebs zur Wirklichkeit.

 

Lebensstil ist wichtiger als Erbgut: Hanna Heikenwälder erforscht, was jeder Einzelne tun kann, um nicht an Krebs zu erkranken. FOTO: SPRINGERVERLAG

 

Krebserreger oder Krebsförderer: Was ist schlimmer?

Heikenwälder: Krebserreger wie angebrannter Toast werden meist überschätzt, Krebsförderer wie Übergewicht meist unterschätzt. Auch weil das eine eher kurz wirkt, das andere lang.     Zusammenspiel und Gewicht von Erregern und Förderern lassen sich gut an Krebs in Mund und Rachen beobachten. Er tritt vermehrt bei starken Rauchern auf. Zigaretten enthalten etwa 60 krebserregende Stoffe, die Veränderungen im Erbgut verursachen können. Was aber kaum jemand weiß: Ist der starke Raucher zugleich ein starker Trinker, verhundertfacht sich sein Krebsrisiko. Denn hochprozentiger Alkohol ist ein Krebsförderer. Er bringt die oberste Zellschicht von Mund und Rachen zum Platzen. Um den Verlust zu ersetzen, teilen sich tiefere Zellschichten öfter. Alkohol stimuliert also das Wachstum von Zellen – auch von geschädigten – und erhöht damit das Krebsrisiko massiv.     Auch weniger starker Alkohol ist ein Krebserreger. Wo er verstoffwechselt wird – in Leber und Brust – entstehen Stoffe, die das Erbgut schädigen können.

»Krebs ist keine Fragedes Ob, sonderneine Frage des Wannund des Wo-zuerst«

Sie haben Alkohol genannt. Welche Krebsförderer gibt es noch?

Heikenwälder: Falsche Ernährung: 35 Prozent aller Tumore gehen darauf zurück. Dann starkes Übergewicht: Es ist verantwortlich für 14 bis 20 Prozent aller Erkrankungen. Infektionen – etwa mit Hepatitis oder Humanen Papillomviren – liegen 18 Prozent der Krebsfälle zugrunde. Hormone – wie das weibliche Geschlechtshormon Östrogen – wirken ebenfalls krebsfördernd. Genauso Stress und dauerhafte Entzündungen. Vieles davon haben wir durch unseren Lebensstil selbst in der Hand.

ZUR PERSON

Dr. Hanna Heikenwälder studierte Molekularbiologie und Immunologie in Lübeck, den USA und an der ETH Zürich. Sie promovierte an der Technischen Universität München über die Rolle von Entzündungen bei der Entstehung von Darmkrebs. An der Universität Heidelberg erforschte sie personalisierte Therapien gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs. Zurzeit ist sie am Universitätsklinikum Tübingen tätig und arbeitet als freie Autorin. Heikenwälder ist verheiratet und hat vier Kinder. (mis)

Weil Ernährung so wichtig ist: Was sollen wir essen? Und was nicht?

Heikenwälder: Wir sollten industriell hochverarbeite Lebensmittel wie Tiefkühlgerichte, abgepackte Backwaren und Softdrinks vom Speiseplan streichen und stattdessen selbst kochen. Frische Nahrung enthält keine Zusatzstoffe, weniger Zucker, Fett und Salz, dafür mehr Vitamine, Mineralien und Ballaststoffe.     Gerade Zucker ist schädlich, weil er Übergewicht und Typ-II-Diabetes begünstigt. Beides fördert Krebs. Bei Übergewicht kommt es im überlasteten Fettgewebe zu dauerhaften Entzündungen. Die anschließende Wundheilung befördert das Wachstum von Zellen – gesunden und geschädigten. Außerdem wird im Fettgewebe Östrogen produziert, das weibliche Sexualhormon unterstützt ebenfalls das Zellwachstum. Bei Diabetes wiederum schwimmt überschüssiger Zucker im Blut und der Körper schüttet verstärkt Insulin aus, ebenso ein Wachstumsförderer.     Ein Totalverzicht auf Schokolade und Co. ist oft schwer umsetzbar. Darum ist ein erster Schritt, Mengen zu reduzieren. Das ist zwar nur eine kleine Änderung, hat über viele Jahre aber einen großen Einfluss. Unser Hauptproblem sind versteckte Zucker. Viele kaufen zum Beispiel Dinkelpops mit Honig. Angeblich gesündere Bioprodukte enthalten aber oft mehr Zucker als manche Cornflakes-Marke.     Neben reduzierter Kalorienzufuhr senkt regelmäßiges Fasten das Krebsrisiko. Dann verwertet der Körper alte und geschädigte Zellteile. Dieser Aufräum-Prozess namens Autophagie hält die Zellen und damit uns jung und gesund.

Wir haben es teils selbst in der Hand, ob wir Krebs bekommen. Viel Sport, wenig Zucker und genug Schlaf helfen gegen die meisten
Wir haben es teils selbst in der Hand, ob wir Krebs bekommen. Viel Sport, wenig Zucker und genug Schlaf helfen gegen die meisten Arten, auch gegen Brustkrebs. Für den Kampf dagegen steht die Farbe rosa, insbesondere die rosa Schleife. KI-BILD: ANDERSON PIZA/ADOBE STOCK
Wir haben es teils selbst in der Hand, ob wir Krebs bekommen. Viel Sport, wenig Zucker und genug Schlaf helfen gegen die meisten Arten, auch gegen Brustkrebs. Für den Kampf dagegen steht die Farbe rosa, insbesondere die rosa Schleife. KI-BILD: ANDERSON PIZA/ADOBE STOCK

Wie wichtig ist Sport? Und wie viel davon?

Heikenwälder: Sport senkt das Krebsrisiko und verlangsamt das Tumorwachstum. Nicht nur, weil er das Körpergewicht senkt. Sondern auch, weil er Entzündungs- und Zuckerwerte, Stress- und Wachstumshormone im Blut reduziert und das Immunsystem stärkt. Als ideal gilt eine Stunde Sport am Tag.

Sie sprachen von Stress. Dem entkommt man aber schlecht, oder?

Heikenwälder: Bei Stress schüttet der Körper das Hormon Cortisol aus. Dauerstress und damit Cortisol-Überproduktion fördern Entzündungen und schwächen das Immunsystem, beides steigert das Krebsrisiko. Darüber hinaus gibt es indirekte Stressfolgen, die mit einem erhöhten Krebsrisiko einhergehen. Dazu zählen mehr Fast Food, Alkohol und Zigaretten, weniger Sport und Schlaf. Stress ist jedoch nicht gleich Stress. Entscheidend ist, wie jemand Stress wahrnimmt: positiv als Herausforderung oder negativ als Bedrohung.

»Der angebrannteToast wird überschätzt. Dauerhaftes Übergewicht wird unterschätzt«

Wir müssen also nur gesund leben. Dann besiegen wir den Krebs?

Heikenwälder: So einfach ist es leider nicht. Das Krebsrisiko steigt im Alter: Um Krebs zu bekommen, muss eine Zelle mindestens fünf gravierende genetische Veränderungen ansammeln. Nur so kann sie alle Kontrollinstanzen des Körpers überwinden, also Reparatur, Ruhestand und Tötung. Das braucht Zeit, bei Darmkrebs zum Beispiel bis zu 75 Jahre. Der Prozess kann jedoch durch dauerhafte Entzündungen und ungesunden Lebensstil beschleunigt werden.     Allerdings gehen Zellen selbst ohne genetischen Schaden irgendwann in den Ruhestand. Nämlich dann, wenn sie die maximale Anzahl an Zellteilungen ausgereizt haben. Die Teilungsrate lässt sich zwar verlangsamen, die Lebensdauer verlängern und die Vernichtung ausgedienter Zellen anregen – aber nur begrenzt. Ein gewisser Anteil alter Zellen bleibt zurück – und mit der Zeit werden es mehr. Diese Zellen geben Substanzen ab, die Entzündungen und damit Krebs fördern.     Geschädigte Zellen müsste in letzter Instanz das Immunsystem ausschalten. Doch auch das wird im Alter schwächer. Das heißt: Krebs lässt sich nicht prinzipiell verhindern, aber verzögern.

 

Bringen wir es nochmal auf den Punkt: Was können wir gegen Krebs tun?

Heikenwälder: Gesund leben. Dadurch können wir Krebs zwar nicht ausschließen, aber das Risiko minimieren. Dazu gehören: Frisch, ausgewogen und kalorienarm essen. Auf Alkohol und Tabak weitgehend verzichten. Eine Stunde pro Tag Sport machen. Zur Vorsorge beim Arzt gehen. (GEA)