Es sieht ein bisschen aus wie abstrakte Kunst, ist aber eine Art Fingerabdruck einer Zwiebel: Grün-gelblich, manchmal auch rötlich ziehen sich schmale Schlieren über blauen Grund. Was Christoph Weinert und Lea Böckstiegel auf dem Monitor im Max Rubner-Institut (MRI) in Karlsruhe sehen, nennt man Chromatogramm. Es zeigt viele Inhaltsstoffe einer Zwiebel. Mit bloßem Auge könnten aber selbst Profis die Ansichten kaum unterscheiden. »Da braucht man schon Algorithmen für«, sagt Ernährungswissenschaftler Weinert.
Hier am Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel wollen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen herausfinden, welche Zwiebelsorten für den Bioanbau taugen. Die Bundesregierung hat sich gemäß Koalitionsvertrag vorgenommen, bis zum Jahr 2030 beim Öko-Landbau einen Anteil von 30 Prozent zu erreichen. Nach Zahlen des Bundesernährungsministeriums praktizierten Ende 2021 14,0 Prozent der Betriebe auf etwa 10,9 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Deutschland ökologischen Landbau nach EU-Rechtsvorschriften.
Es dominieren wenige Sorten
Hinzu komme, dass die Zwiebel nach der Tomate die zweitwichtigste Gemüsepflanze weltweit sei und die Nachfrage nach Bioqualität wachse, sagt Weinert. Es gebe eine Lücke beim Angebot. Der Bio-Anbauverband Bioland bestätigt eine Zunahme der Nachfrage ökologischer Zwiebeln am Markt wie auch bei Bioland selbst. »Das spiegelt sich auch im Zuwachs unserer Bioland-Zwiebel-Erzeuger wider«, erklärt eine Sprecherin.
Doch im konventionellen Anbau dominierten wenige Hochleistungssorten, sogenannte Hybridsorten, erläutert Weinert. Sie lieferten hohe Erträge, seien aber in der Regel nicht samenfest. Das heißt, Landwirte müssen Jahr für Jahr neues Saatgut kaufen. Zudem böten sie wenig Biodiversität, weshalb sie mitunter in der Kritik stünden.
Ganz anders die Landsorten: Sie entstanden über Jahrhunderte durch kleinbäuerliche Züchtung, sind samenfest und genetisch vielfältiger. Dabei gibt es große regionale Unterschiede, wie Weinert sagt: »Eine geht richtig gut in Franken, andere besonders gut in der Pfalz.«
Im »ZwiebÖL-Projekt« vergleicht das Team nun Land- und Hybridsorten hinsichtlich ihrer Eignung für den Ökolandbau. Dabei geht es unter anderem um Ertrag und Lagereigenschaften. So wisse man zum Beispiel, dass Zwiebeln bei längerer Lagerung schärfer werden, sagt Weinert.
Die Birnenförmige hat gute Eigenschaften
Mit Hilfe von Labortechnik untersuchen die Fachleute in Karlsruhe außerdem Inhaltsstoffe, die gesundheitsförderliche Eigenschaften haben. Dafür werden die Zwiebeln zerkleinert und mit flüssigem Stickstoff schockgefrostet, damit Stoffwechselprozesse gestoppt werden. Denn schon beim Schälen und Schneiden setzt die Zwiebel Stoffe frei.
Die Birnenförmige - so heißt die Sorte tatsächlich - erweist sich Weinert zufolge als gute Kandidatin, um mit Hybriden mitzuhalten. Es gebe zudem Hinweise, dass manche Landsorten beispielsweise mit weniger Stickstoff auskommen - also weniger gedüngt werden müssen.
Lebensmittelchemikerin Böckstiegel forscht für ihre Doktorarbeit zu flüchtigen Zwiebel-Inhaltsstoffen. Die sind der Grund für den Geruch und die Tränen in der Küche. Böckstiegel presst den Saft aus den Zwiebeln. Die Proben werden in einem Gerät mit hochsensibler Technik auf feinste Bestandteile hin analysiert. »Wenn man viel sehen will, was in einer Zwiebel steckt, braucht man mehrere Methoden«, sagt Weinert. Immerhin gehe es um viele Hundert Verbindungen. Übrigens liegt in den MRI-Räumen allenfalls ein Hauch von Zwiebel in der Luft.
Laut dem Statistischen Bundesamt wurden im vergangenen Jahr rund 578 181 Tonnen Speisezwiebeln geerntet. Im ökologischen Landbau waren es den Zahlen zufolge knapp 45 377 Tonnen, Tendenz steigend.
Bei Zwiebeln wird nicht auf die Herkunft geachtet
Bei Bioland kommen samenfeste wie auch hybride Sorten zum Einsatz, wie die Sprecherin mitteilt. »Entscheidend bei der Sortenwahl im ökologischen Landbau sind die Mehltau- und Pilztoleranzen, gerade in feuchten Jahren wie in diesem, um gute Lager- und Verkaufsqualitäten für den Lebensmitteleinzelhandel zu produzieren.« Studien wie vom MRI seien sehr wichtig, um eine Vielfalt in der Sortenwahl zu erhalten.
Nach Einschätzung von Andrea Schneider, Geschäftsführerin vom Fachverband Deutsche Speisezwiebel, werden Zwiebeln gekauft, wenn man Bedarf hat. »Viel zu wenig wird hier auf die Herkunft geachtet. Die Nachfrage nach Biozwiebeln steigt nur, wenn sie nicht wesentlich teurer sind als konventionelle - gerade in diesen unsicheren Zeiten.«
Große Saatguthändler hätten längst ein Biosortiment im Angebot, erklärt die Fachfrau. Aber auch Züchtungen von ökologischen Saatguthäusern gingen weiter. Doch der Anbau müsse sich vor allem mit Blick auf Ertrag, Qualität und Pflanzengesundheit lohnen.
Schneider bedauert, dass Zwiebeln bisher nur nach Farbe gekauft werden können, nicht nach Sortennamen - wie beispielsweise bei Kartoffeln. Beliebt seien hierzulande eher scharfe, würzige Zwiebeln.
Das Team des Max Rubner-Instituts bekam seine Projektzwiebeln bislang aus zwei Versuchsanlagen in Stuttgart-Hohenheim und in Rheinland-Pfalz zwischen Worms und Speyer. Nun solle es einen Schritt weiter gehen, erklärt Wissenschaftler Weinert. Im regulären Anbau soll geprüft werden, ob sich beispielsweise Krankheiten entwickeln.
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