Es war nach Mitternacht, als Ahmad Aleem Khan von einem ungewöhnlichen Donnern aus dem Schlaf gerissen wurde. Wasser, das von den Bergen herabstürzte, schlug gegen die Wände seines Hauses im malerischen Swat-Tal, eigentlich ein beliebtes Touristenziel im Nordwesten Pakistans.
Der 62-Jährige konnte nur noch dabei zusehen, wie sein Haus am Morgen des 26. August unter den Wassermassen zusammenstürzte. »Ich habe alles verloren«, sagte Khan der Deutschen Presse-Agentur (dpa), während er auf die Ruinen blickt, die einst das Zuhause seiner Familie waren.
Häuser von 1,9 Millionen Menschen beschädigt oder zerstört
Auch Shahzad Shakir steht vor den Trümmern seiner Existenz. »Das Wasser hat meine Träume weggespült«, beklagt Shakir, der sein Hotel am Fuße des Swat-Flusses verlor. Shahzad Shakir und Ahmad Aleem Khan sind nur zwei von 1,9 Millionen Menschen in Pakistan, deren Häuser durch die derzeitige Flutkatastrophe im Land zerstört oder beschädigt wurden.
Seit Mitte Juni leidet Pakistan unter ungewöhnlich starken Regenfällen. Nun erlebt das Land die schwersten je aufgezeichneten Fluten seiner Geschichte. Eine besonders frühe Hitzewelle im gleichen Jahr hat die Katastrophe verstärkt: Der ausgedörrte Boden konnte die Massen an Wasser kaum aufnehmen. Ein Drittel Pakistans steht unter Wasser, rund 1600 Menschen haben bereits ihr Leben verloren. Insgesamt sind 33 Millionen Menschen von den Fluten betroffen.
Für Ahmad Aleem Khan ist unklar, wie es nun weitergeht. 30 Jahre lang arbeitete er als Fahrer in Saudi-Arabien, um sich mit seinen Ersparnissen das Haus zu finanzieren. Geld, sein Haus wieder aufzubauen, hat er nicht. Derzeit ist seine zehnköpfige Familie bei entfernten Verwandten untergekommen. Doch ewig bleiben können sie dort nicht. »Wir sind der Gnade anderer Leute ausgeliefert«, sagt Khan. Wütend sei er darüber, dass die Regierung sich nicht um die von den Fluten betroffenen Leute kümmere.
Menschen blicken verzweifelt in die Zukunft
Dabei wurden allein im Swat-Tal mehr als 1000 Häuser zerstört, wie Qari Bacha Zada, Regionalvorstand der Organisation Alkhidmat Foundation Pakistan im Ort Madyan, betont. Zada leitet eine Gruppe von Freiwilligen, die Betroffene mit Essen, Kleidung und ärztlicher Hilfe versorgen. »Die Menschen sind zu arm, um ihre Häuser wieder aufzubauen«, sagt Zada.
Zwar hat die Regierung betroffenen Familien finanzielle Hilfe zum Wiederaufbau ihrer Häuser versprochen. Doch Menschen wie Ahmad Aleem Khan und Shahzad Shakir blicken trotzdem voller Verzweiflung in die Zukunft. Anders als viele Bewohner des Swat-Tals glaubt Shakir nicht an »Gottes Zorn« als Ursache für die riesige Flut, sondern sieht die Schuld bei den Menschen. »Wir haben das sich verändernde Wetter nicht ernst genommen«, sagt er.
Aisha Khan von der Civil Society Coalition for Climate Change (CSCCC) bereitet der Klimawandel ebenfalls große Sorgen. »Pakistan ist im Auge des Sturms«, sagte sie der dpa. Schlechte politische Führung und eine kränkelnde Wirtschaft würden das südasiatische Land noch anfälliger für den Klimawandel machen. Niemand habe derart starke Regenfälle wie in diesem Sommer vorhergesehen. Nach Schätzungen der pakistanischen Regierung liegen die Flut-Schäden bei 30 bis 40 Milliarden Euro.
Nach dem Wasser folgt der Hunger
Auf viele wartet nun zudem der Hunger, nachdem das Wasser laut des pakistanischen Klimaschutzministeriums 45 Prozent des landwirtschaftlichen Anbaus im Land zerstört hat. Auch ihr Vieh haben viele Menschen verloren. Bis sich das Wasser in den südlichen Provinzen Baluchistan und Sindh zurückzieht, könnte es noch Monate dauern, schätzen Behörden vor Ort. Bis dahin müssen Millionen Menschen im Freien überleben, denen es an Zugang zu Trinkwasser, Lebensmitteln und sanitären Anlagen mangelt. Laut der Organisation UNICEF sind 3,4 Millionen Kinder von Hunger, Ertrinken und Infektionskrankheiten bedroht, die sich im Wasser ausbreiten.
Wie der UN-Generalsekretär António Guterres bei seinem Besuch in Pakistan betonte, habe er noch nie eine Klimakatastrophe dieses Ausmaßes gesehen. Er verlangte »massive Unterstützung« für das Land, um Katastrophen dieser Art künftig zu vermeiden. Pakistan gehört zu den zehn Ländern, die am meisten vom Klimawandel betroffen sind, obwohl es weniger als ein Prozent zu den weltweiten Emissionen beigetragen hat. Auch die pakistanische Klimaschutzministerin Sherry Rehman nannte den Klimawandel bereits eine »existenzielle Krise« für ihr Land. Für Aisha Khan ist nun eindeutig Handeln angesagt: »Zum Klimawandel gibt es viele Lippenbekenntnisse, aber ich hoffe, dass nun der Moment der Abrechnung gekommen ist.«
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