Das Problem ist alles andere als neu - aber es ändert sich nur langsam etwas in den Köpfen von Patientinnen und Medizinern. Seit Jahrzehnten zeigen Studien, dass Frauen öfter an einem Herzinfarkt sterben als Männer. Die Ursache liegt, wie es scheint, auf beiden Seiten: Frauen suchen oft zu spät Hilfe, werden dann aber auch oft falsch behandelt. Wie kann das sein?
Erst kürzlich sei es wieder passiert, in ihrer eigenen Klinik, dem Marienhospital Wesel, berichtet die Kardiologin Prof. Christiane Tiefenbacher, Vorstandsmitglied der Deutschen Herzstiftung. An der Pforte brach eine 52-Jährige zusammen und musste wiederbelebt werden. Sie war wegen Schmerzen in Arm und Brust zum Orthopäden gegangen, der sie nach Hause schickte statt ins Krankenhaus. Die Frau habe zuvor schon einmal einen Herzinfarkt gehabt und trotzdem die Symptome nicht richtig deuten können - ebenso wie der Arzt.
Die Wahrscheinlichkeit, nach einem Herzinfarkt zu sterben, ist bei Frauen mehr als doppelt so hoch wie bei Männern, wie erst kürzlich wieder ein Studie zeigte, die in Prag bei einem Kongress der European Society of Cardiology (ESC) vorgestellt wurde.
95 Minuten bis zum Eingriff
Die Studie umfasste 884 Patienten, etwa ein Viertel davon waren Frauen. In der Gruppe der bis 55-Jährigen vergingen bei Frauen nach Ankunft in der Klinik demnach im Mittel 95 Minuten bis zum Eingriff zur Erweiterung verengter Herzkranzgefäße - bei gleichaltrigen Männern nur 80 Minuten. Nach 30 Tagen waren knapp zwölf Prozent der Frauen im Vergleich zu knapp fünf Prozent der Männer gestorben.
Allerdings hatten in dieser Studie die Frauen oft andere Vorerkrankungen als die Männer. Daher führten die Forscher eine weitere Analyse durch, bei der sie 435 Männer und Frauen nach Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Cholesterin und Rauchen in Gruppen einteilten. Anschließend wurden nur Männer und Frauen verglichen, bei denen das Risiko übereinstimmte. Auch hier gab es gravierende Unterschiede.
»Bei übereinstimmenden Patienten über 55 Jahren traten alle gemessenen unerwünschten Ergebnisse bei Frauen häufiger auf als bei Männern«, so die Forscher. Einen Herzinfarkt hatte mehr als ein Drittel der Frauen erlitten, verglichen mit 18 Prozent der Männer. Etwa elf Prozent der Frauen starben innerhalb von 30 Tagen nach einem Herzinfarkt, verglichen mit drei Prozent der Männer.
Unterschiedliche Symptome
Woran liegt das? Ein Grund ist, dass sich die Symptome bei Männern und Frauen unterscheiden. Bei Frauen träten häufiger weniger eindeutige Symptome auf, sagt Kardiologin Tiefenbacher - etwa Atemnot, ein Ziehen in den Armen, unerklärliche Müdigkeit, Angstzustände, Schweißausbrüche, Übelkeit oder Erbrechen sowie Schmerzen im Oberbauch oder im Rücken. Der bei Männern typische Brustschmerz stehe bei Frauen häufiger nicht im Vordergrund.
Schon in den 1990er Jahren beschrieb eine US-amerikanische Kardiologin das »Yentl«-Syndrom. Der Name nimmt Bezug auf eine Kurzgeschichte von Isaac Bashevis Singer, die von und mit Barbra Streisand verfilmt wurde: Ein Mädchen verkleidet sich als Mann, um ernstgenommen zu werden. Die US-Kardiologin hatte herausgefunden, dass Frauen mit Herzinfarkt schneller Hilfe bekamen, wenn sie die typisch männlichen Symptome schilderten.
Inzwischen würden im Medizinstudium und in Weiterbildungen die geschlechtsspezifischen Unterschiede zunehmend gelehrt, sagt Tiefenbacher. Sie ist überzeugt: »Mit der jüngeren Gerenation wird das besser.« Aber wohl noch nicht genug, denn Studien aus USA und Polen haben ergeben, dass die Symptome häufiger nicht erkannt werden, wenn Frauen mit einem Herzinfarkt an einen jüngeren männlichen Arzt geraten statt an eine weibliche Kardiologin.
Ältere Frauen zögern oft deutlich länger
Aber die Defizite in der Medizin sind nur die eine Seite des Problems - die andere sind die Frauen selbst. Besonders ältere Frauen zögern oft deutlich länger als Männer, bis sie Hilfe holen, auch das zeigen viele Studien. »Frauen rufen bei Herzinfarkt-Symptomen den Notarzt für ihre Männer, Väter und Brüder, aber nicht für sich selbst«, fasste die European Society of Cardiology eine Studie aus Polen von 2019 zusammen.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam 2017 eine Studie des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZKH): Bei älteren Frauen vergingen durchschnittlich viereinhalb Stunden, bis sie in der Notaufnahme waren, bei jungen Frauen waren es knapp zweieinhalb Stunden. Bei Männern über 65 dauerte es dreieinhalb Stunden, bei jungen Männern drei Stunden. »Dadurch geht wertvolle Zeit verloren, um die verschlossenen Blutgefäße wieder zu eröffnen und die Schädigung des Herzmuskels einzuschränken«, so das DZHK.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen würden bei Frauen immer noch unterschätzt, betont die Deutsche Herzstiftung zudem. Dabei seien diese Erkrankungen hierzulande mit über 180.000 Sterbefällen pro Jahr die häufigste Todesursache bei Frauen. 18.000 starben laut Todesursachenstatistik 2021 an einem Herzinfarkt.
»Frauenherzen schlagen anders«
Unter anderem die Anatomie trägt dazu bei, dass es Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt. Das Herz von Frauen ist etwas anders gebaut, wie Tiefenbacher erklärt. Es ist demnach etwas steifer und kleiner, kann sich schlechter dehnen und mit Blut füllen. Ausgeglichen wird das über eine höhere Pumpleistung. Werden Frauen älter, nimmt die Herzgröße ab und das Herz verliert weiter an Elastizität. Eine Herzschwäche bleibe oft lange unerkannt, weil die Symptome - wie Erschöpfung oder Atemnot - als Alterserscheinung abgetan werden.
»Das Ziel muss sein, dass Frauen und Männer bei Herzkrankheiten gleich gut behandelt werden«, sagt Tiefenbacher. Was muss geschehen, damit das endlich klappt? Die Deutsche Herzstiftung setzt auf Aufklärung mit Titeln wie »Frauenherzen schlagen anders«. Der Frankfurter Kardiologe Prof. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung, riet zum Start einer neuen Initiative im Februar: »Frauen, achtet mehr auf Euer Herz!«
Tiefenbacher wünscht sich aber auch mehr Engagement für die noch junge Disziplin der Gendermedizin. In der Kardiologie gebe es in Deutschland zu wenige Lehrstühle für Gendermedizin, die sich vor allem mit den geschlechtsspezifischen Unterschieden von Frauen und Männern beschäftigen. Auch die Pharmaindustrie könnte etwas beitragen, findet Tiefenbacher. Neue Medikamente würden noch immer überwiegend an Männern getestet.
Auch beim Kardiologen-Kongress in Prag standen am Ende die bekannten Appelle. Die Erstautorin der Studie, Mariana Martinho vom Hospital Garcia de Orta in Almada (Portugal), sah die Ergebnisse vor allem als Mahnung, »ein stärkeres Bewusstsein zu schaffen für die Risiken von Herzerkrankungen bei Frauen«.
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