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Warum Ferndiagnosen zu Putins Gesundheit irreführen können

Hat Putin Parkinson? Oder Krebs? Solche Gerüchte gab es zuletzt, weil der Kremlchef vermeintlich ungewöhnliche äußerliche Merkmale zeigte. Was das Erscheinungsbild verraten kann - und wo die Grenzen liegen.

Gerüchte um Putins Gesundheit
Die Mutmaßungen reichen über Parkinson, Schilddrüsenkrebs, Schlaganfall bis hin zu Demenz: Um die Gesundheit des russischen Präsidenten Wladimir Putin gibt es immer wieder Spekulationen. Foto: Alexei Druzhinin
Die Mutmaßungen reichen über Parkinson, Schilddrüsenkrebs, Schlaganfall bis hin zu Demenz: Um die Gesundheit des russischen Präsidenten Wladimir Putin gibt es immer wieder Spekulationen.
Foto: Alexei Druzhinin

Der russische Präsident scheint sich mit der rechten Hand geradezu am Tisch festzuklammern, als er mit seinem Verteidigungsminister spricht. Das Video vom April ging um die Welt und löste neue Gerüchte um den Gesundheitszustand Wladimir Putins aus.

Schon zuvor hatte es Rätselraten gegeben, weil der Kremlchef ausländische Gäste wie Kanzler Olaf Scholz (SPD) - vor dem russischen Angriff auf die Ukraine Ende Februar - stets an einem sechs Meter langen Tisch maximal auf Abstand hielt. Wollte er sich nicht ins Gesicht schauen lassen, fragte sich so mancher im Netz. Die Mutmaßungen reichten über Parkinson, Schilddrüsenkrebs, Schlaganfall bis hin zu Demenz, sobald Putins Gesicht mal aufgedunsen wirkte oder sein Gang hölzern.

Kann das äußere Erscheinungsbild eines Menschen tatsächlich etwas über seinen Gesundheitszustand verraten? Welchen Aufschluss gibt die Haut als größtes menschliches Organ? 

»Leider wird auch vieles von Laien fehlinterpretiert«

»Vom bloßen Anblick her lassen sich nur wenige Diagnosen dingfest machen«, sagt Christiane Bayerl von der Dermatologischen Gesellschaft. »Aber verschiedene klinische Zeichen machen aufmerksam«, ergänzte sie - ganz unabhängig vom Beispiel Putin. 

Dermatologen würden dann je nach Anzeichen etwa Gewebeuntersuchungen, Abstriche auf Keime oder auch Ultraschall durchführen, um in die Haut zu sehen. Mit nicht-geschultem Blick Schlüsse ziehen zu wollen, sei aber schwierig. »Leider wird auch vieles von Laien fehlinterpretiert.«

So könne eine rote Färbung im Gesicht auf Bluthochdruck hinweisen, aber auch ganz ohne jeden Krankheitswert sein. Eine bestimmte Verteilung der Rötung könnte wiederum Indiz sein für eine recht verbreitete entzündliche Rosazea-Hauterkrankung, erläutert die Klinik-Direktorin aus Wiesbaden.

»Ein sehr schöner bronzefarbener Teint mit dunkel pigmentierten Handflächen steht für eine Störung der Funktion der Nebennierenrinde.« Auch bei Magersucht und Mangelernährung zeige sich eine vermehrte Pigmentierung.

Tränensäcke können völlig ohne Krankheitsbild sein

Bei einer Schilddrüsenunterfunktion ist die Haut Bayerl zufolge oft trocken, schuppig oder Ödeme - Ansammlung von Flüssigkeit im Gewebe - treten in der Augenumgebung auf. Mit geröteten Augen haben etwa Pollenallergiker zu tun. Tränensäcke könnten völlig ohne Krankheitsbild sein, solange sie nicht blutig-bräunlich seien. Auf äußere Merkmale und Veränderungen der Haut zu achten, sei sinnvoll und für Dermatologen »täglicher Job«.

Auch bei einer Reihe von neurologischen Erkrankungen gebe es Hautveränderungen, schildert Peter Berlit, Generalsekretär der Gesellschaft für Neurologie. Wirke der Gang eines Menschen gestört, könne das manchmal »zumindest Verdachtsdiagnosen erlauben« - etwa auf Spastiken oder Parkinson. Eine reduzierte Mimik weise womöglich unter anderem auf Einnahme bestimmter Medikamente hin oder auf psychische Erkrankungen. Demenz könne man nicht an äußerlichen Faktoren erkennen, stellt er klar.

Weitere äußere Warnzeichen? »Unwillkürliche Bewegungen der Extremitäten oder spontane Muskelzuckungen können wichtige Krankheitssymptome sein.«

Für die Einordnung von Auffälligkeiten braucht es Erfahrung

Aus Körperhaltung, Motorik, Geschwindigkeit der Bewegung oder dem Gesichtsausdruck könne man durchaus Indizien für Krankheiten ableiten, sagt auch Allgemeinmediziner Manfred Imbert. Aber: »Man hat damit nie eine Gewissheit, sondern zunächst nur eine Wahrscheinlichkeit.«

Und es brauche einige Erfahrung, um äußerliche Auffälligkeiten oder sichtbare Veränderungen einordnen zu können, die dem Laien wohl in der Regel fehlen dürften, wie der niedergelassene Arzt aus Alsdorf bei Aachen zu Bedenken gibt. »Wenn ein Auto qualmt und klappert, weiß auch der Laie, dass etwas nicht stimmt, aber eben noch lange nicht, was genau da nicht stimmt.«

Bei vielen Erkrankungen gebe es eine ganze Reihe von möglichen Symptomen, die aber zugleich auch zu mehreren anderen Störungen passen würden. Beispiel: »Nicht jedes Zittern ist Parkinson.« Hingegen könnten ein starrer Gesichtsausdruck, verzögerte Reaktion oder Schwindel sehr wohl auf Parkinson hindeuten.

Auch beim Schlaganfall verhalte es sich mit den äußeren Indizien ein bisschen so »wie bei einem Chamäleon«, das seine Körperform und –farbe stark verändern kann. Je nach Länge der Durchblutungsstörung im Gehirn und je nach betroffenem Areal könne es mal zu Lähmungserscheinungen kommen, mal zu Gefühlsstörungen, in anderen Fällen würden Sprachstörungen ausgelöst, erläutert Imbert.

Selbstbeobachtung als wichtige Vorbeugung


»Prinzipiell ist es hochwichtig, dass man bei sich, dem Partner, nahe stehenden Personen auf äußere Merkmale und Veränderungen achtet. Selbstbeobachtung kann eine wichtige Vorbeugung sein«, betont Imbert etwa mit Blick auf Muttermale oder Knötchenbildungen unter der Haut. Schilddrüsenkrebs - zurück zu Gerüchten um Putin - sei äußerlich nicht zu erkennen, es sei denn, es gebe dicke Knotenbildungen am Hals im fortgeschrittenen Stadium.

Ohnehin hält es der Mediziner für »unzulässig«, aus Videoclips auf bestimmte Krankheiten schließen zu wollen. »Eventuell kann man sehen, dass was nicht in Ordnung ist, aber darüber hinaus wäre alles im Reich der Spekulationen anzusiedeln.«

© dpa-infocom, dpa:220804-99-268361/2