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Warum der Aprilscherz aus der Mode kommt

Am 1. April legt man andere gerne mit einer Flunkerei herein. Wer regelmäßig die Unwahrheit sagt, verspielt jedoch Vertrauen. Mit bestimmten Unwahrheiten kann man Mitmenschen aber etwas Gutes tun.

Aprilscherz
In Zeiten von sozialen Medien und Zoom-Konferenzen hat es der Aprilscherz zunehmend schwer. Foto: Sebastian Gollnow
In Zeiten von sozialen Medien und Zoom-Konferenzen hat es der Aprilscherz zunehmend schwer.
Foto: Sebastian Gollnow

Flunkern, foppen, scherzen oder veräppeln: Am 1. April wird gern aufs Korn genommen. Doch sind Lügen eigentlich gleich Lügen? Und worin unterscheiden sie sich?

Ursprung

Schon bei der Tradition des Aprilscherzes scheiden sich die Geister. Eine klare Herkunftsgeschichte gibt es nicht. Allerdings ist eine Annahme laut Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder von der Universität Regensburg weit verbreitet: Eine Kalenderreform von Karl IX. in Frankreich soll der Auslöser für den alljährlichen Lügentag gewesen sein. Der Monarch verschob 1564 den Jahreswechsel vom 1. April auf den 1. Januar. Alle, die aus Unwissenheit oder Tradition weiter am 1. April Neujahr feierten, wurden als Narren verspottet.

Theorie des Geistes

Ab wann beginnen wir eigentlich zu lügen? Dafür braucht es bestimmte geistige Voraussetzungen, erklärt Philipp Gerlach, Professor für Allgemeine und Sozialpsychologie an der Hochschule Fresenius in Hamburg. »Wenn ich lüge, dann muss ich nicht nur die Absicht haben, ich muss auch wissen, was ich weiß. Und ich muss wissen, was die andere Person weiß.« »Theory of Mind« (Theorie des Geistes) nennt sich das. Sie umschreibt die Fähigkeit, sich in jemand anderen hineinversetzen zu können und Dinge aus dem Blickwinkel des anderen zu sehen. Die meisten Kinder entwickeln diese Eigenschaft laut Gerlach bereits vor Grundschulbeginn.

Schwarze und weiße Lügen

Steigt man tiefer in die Materie ein, tun sich Unterschiede beim Lügen auf. Der wichtigste liegt schon in der Intention: »Es gibt nämlich verschiedene Arten von Lügen. Also man unterscheidet zum Beispiel im Englischen insbesondere zwischen «white» und «black lies», den weißen und schwarzen Lügen«, sagt Psychologieprofessor Gerlach. Die schwarzen seien bösartige Lügen - solche, mit denen man sich selbst auf Kosten einer anderen Person bereichere.

Unter weißen Lügen werden gemeinhin sozialverträgliche Unwahrheiten verstanden. Gerlach: »Angenommen meine Frau hatte den schlechtesten Tag des Jahres und war noch beim Friseur. Dieser Moment ist dann nicht die beste Gelegenheit, um zu sagen, dass mir der Haarschnitt nicht gefällt.« Dann lüge man nicht, um zu schaden oder um sich zu bereichern, sondern um der Person zu helfen.

Aprilscherz oder Fake News?

Vor allem im Internet kursieren Unwahrheiten in großer Menge. Der Psychologe Thilo Hartmann sieht im 1. April einen kulturellen Rahmen, der ausnahmsweise bewusstes Lügen rechtfertigt: »Wenn das nicht jeden Tag stattfindet und wir uns darauf einigen, dass es an diesem Tag okay ist, jemanden vorzuführen oder aufs Korn zu nehmen, dann ist das auch durchaus okay und für die meisten ja auch lustig.«

Grundsätzlich sei lügen aber sehr kritisch zu sehen, ordnet Psychologe Gerlach ein. Wer lüge, spiegele seinem Gegenüber eine falsche Vertraulichkeit vor, oftmals um sich selbst besserzustellen. »Und wer häufig lügt, dem wird nicht mehr geglaubt. Also mit anderen Worten: Man setzt seine Reputation aufs Spiel, um kurzfristig etwas Lukratives zu erreichen«, sagt Gerlach.

Der Aprilscherz heute

Oft sind Aprilscherze politisch unkorrekt, derb und gehen auf Kosten einzelner. Doch hat der Scherz in den vergangenen Jahrhunderten auch Hierarchien durchbrochen, sagt Kulturwissenschaftler Hirschfelder. »Vor 100 Jahren war das Hausmädchen noch Opfer des Aprilscherzes. Gegenüber ihrem Hausherrn durfte sie allerdings noch lange keinen machen.« Heute sehe das anders aus.

Die moderne Gesellschaft habe den Humor quasi ausgelagert, sagt Hirschfelder. »Wir haben die Produktion von Witz und Scherz an eine professionelle Reflexionselite delegiert, und die heißt dann meinetwegen Mario Barth oder so.« Comedians seien heute dafür zuständig, Witze zu machen. »Das heißt, wir sind von einer Gesellschaft, die selber witzig ist, zu einer Gesellschaft geworden, die sich Witze einkauft.« Kaum jemand traue sich deshalb noch, selbst Witze zu machen.

Auch deshalb stecke der Aprilscherz in der Krise. »Ich habe den Eindruck, dass wir an einem der üblichen Wendepunkte in der Kultur sind, wo wir eine ganze Reihe von Kulturmustern verlieren und neue bekommen«, sagt Hirschfelder. Das gelte auch für Feiertage wie etwa Pfingsten oder den von manchem gefürchteten Freitag, den 13.

Bis ins 21. Jahrhundert hinein hatte der Aprilscherz Konjunktur, auch in den Medien. In Zeiten digitaler Meetings und sozialer Medien sei er aber nur noch eingeschränkt zeitgemäß, betont Hirschfelder. »Der Aprilscherz wird sich entweder verändern oder verschwinden. Aber wie alles andere in der Kultur kann er nicht so bleiben, wie er ist.«

© dpa-infocom, dpa:230401-99-170692/3