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Warum Dauerstress dick machen kann

Bei Stress greifen viele Menschen zu Schokolade oder anderen hochkalorischen Lebensmitteln. Warum eigentlich?

Süßigkeiten
In Stresssituationen sind Schokolade oder Chips oft sehr verlockend. Foto: Hendrik Schmidt/DPA
In Stresssituationen sind Schokolade oder Chips oft sehr verlockend.
Foto: Hendrik Schmidt/DPA

Die Zeit rennt, der Chef macht Druck. Der Haushalt ruft, und die Kinder streiten sich. In Stresssituationen greifen viele Menschen gern zu Schokolade, Nüssen, Chips und anderen kalorienreichen Lebensmitteln. Das kann insbesondere bei anhaltender Beanspruchung zum Problem werden.

»Stress schaltet den Bereich des Gehirns aus, der uns signalisiert, dass wir genug gegessen haben«, erklärt der Neurobiologe Herbert Herzog vom Garvan Institut für medizinische Forschung in Sydney. Herzog und Kollegen haben an Mäusen untersucht, wie sich chronischer Stress auf Essverhalten und Gewicht auswirkt.

Was macht der Stress mit den Menschen?

»Wir haben gezeigt, dass chronischer Stress in Verbindung mit einer kalorienreichen Ernährung zu einer immer stärkeren Nahrungsaufnahme und zu einer Vorliebe für süße, schmackhafte Lebensmittel führen kann, was wiederum Gewichtszunahme und Fettleibigkeit fördert«, so Herzog. »Gestresste Mäuse mit einer fettreichen Ernährung nahmen doppelt so viel Gewicht zu wie Mäuse mit derselben Nahrung, die nicht gestresst waren«, erklärt sein Forscherkollege Kenny Chi Kin Ip.

Auch andere wissenschaftliche Daten zeigten, dass Stress dazu führen könne, dass vermehrt hochkalorische, ungesunde Nahrung zu sich genommen werde, sagt André Kleinridders von der Universität Potsdam. Es sei aber noch immer nicht hinreichend verstanden, warum manche Menschen stressempfänglich sind und andere nicht. Auch nicht ausreichend erforscht sei, warum manche Menschen bei Stress mehr essen - und andere weniger. 

Das Glückshormon Dopamin gibt es nicht bei Brokkoli

Psychologisch lasse sich der Griff zum Essen mit der besänftigenden Wirkung erklären, sagt der Psychologische Psychotherapeut und Autor Michael Macht (»Hunger, Frust und Schokolade«). Die besänftigende Wirkung sorge dafür, dass Menschen überhaupt äßen. Bei emotionalem Stress werde diese Wirkung zweckentfremdend genutzt, nämlich um mit dem Stress besser zurechtzukommen. »Das ist ein Muster, das auf Lernprozessen beruht«, so Macht. 

Vielen Menschen ist zwar bewusst, dass der Gang zum Kühlschrank oder der Griff in die Süßigkeitenschublade ungesund ist. Und trotzdem tun sie es immer wieder. Kleinridders erklärt das so: »Man weiß, dass unsere geistigen Fähigkeiten in Stresssituationen beeinträchtigt werden und eher Fehlentscheidungen getroffen werden. Die Impulsivität geht hoch«, so der Professor für molekulare und experimentelle Ernährungsmedizin. 

»Wohlschmeckende, energiereiche Nahrung hat an sich schon einen großen Anreiz und einen starken emotionalen Effekt. Außerdem ist die Verfügbarkeit sehr groß«, ergänzt Michael Macht. Für viele Menschen sei das Essen daher eine besonders einfache Möglichkeit, Stress zu bewältigen. 

Zucker und andere kalorienreiche Lebensmittel sorgen laut Kleinridders für einen Ausstoß des Glückshormons Dopamin auch im gesättigten Zustand. »Das funktioniert nicht mit Brokkoli.« Die Glückshormone sorgten für eine kurzfristige Verbesserung. »Aber wenn man immer wieder negativen Stress hat und zu Süßem und Fettigem greift, kommt man in einen Teufelskreis, der zu Übergewicht und Insulinresistenz führt«, so Kleinridders. 

Um kalorienreiche Fehltritte zu vermeiden sei es sinnvoll, den Stress langfristig zu reduzieren und abzubauen. Dem einen helfe Sport, dem anderen Meditation. »Das ist ganz individuell«, so Kleinridders. 

»Es gibt kein Wundermittel. Wichtig ist, mit Bedacht zu essen. In stressigen Situationen vielleicht eher zu Obst und Gemüse zu greifen als zu Keksen und Schokolade, oder den Kühlschrank leer zu räumen«, ergänzt Herzog. 

Man muss negative Gefühle aushalten

Theoretisches Wissen reiche allerdings nicht, so die Erfahrung Kleinridders. Menschen bräuchten konkrete Hilfen. »Wir brauchen interdisziplinäre Forschung, auch mit Psychologen und Sozialforschern. Man muss Leuten etwas an die Hand geben«, fordert er.  

Eine solche Hilfe - ein achtsamkeitsbasiertes Trainingsprogramm - wurde an der Universität Würzburg entwickelt. In dem Programm lernen die Teilnehmer, ihre Verhaltensmuster in Stresssituationen zu erkennen. Außerdem werden individuelle Möglichkeiten erarbeitet, negative Gefühle anders zu bewältigen als mit Essen. »Und es geht um Impulskontrolle, also wie ich mit dem Verlangen nach Nahrung umgehe«, erklärt Macht, der an der Entwicklung beteiligt war. Es gehe auch darum, negative Gefühle aushalten zu lernen. 

© dpa-infocom, dpa:230717-99-430594/3