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Vom Feuer zerstört - Ein türkisches Dorf baut sich neu auf

Vor zwölf Monaten: Waldbrände in der Türkei zerstören etliche Hektar Wald und die Existenz zahlreicher Menschen. Auch das Dorf Kalemler liegt in Schutt und Asche und mit ihm das Künstlerdorf Tadah. Ein Ortsbesuch ein Jahr danach.

Ein türkisches Dorf baut sich neu auf
Till Rautert und die Zwillinge Tao und Doa gehen vorbei an den Häusern, die nach den Waldbränden im Juli 2021 neu aufgebaut werden. Foto: Anne Pollmann
Till Rautert und die Zwillinge Tao und Doa gehen vorbei an den Häusern, die nach den Waldbränden im Juli 2021 neu aufgebaut werden.
Foto: Anne Pollmann

Die Zwillinge Tao und Doa laufen mit nackten Füßen über staubige Erde, vorbei an dem zum vorübergehenden Zuhause ausgebauten Camping-Van und zwei Rohbauten - ihrem zukünftigen Zuhause. Bis vor einem Jahr stand auf dem Grundstück im südtürkischen Ort Kalemler noch alles in sattem Grün.

Das deutsch-türkische Paar Till und Deniz Rautert, Eltern von Tao und Doa, hatte hier das Künstlerdorf Tadah aufgebaut, in dem Maler, Schriftsteller, Akrobaten oder Seiltänzer zusammenkamen. Ende Juli 2021 brechen verheerende Waldbrände aus. Innerhalb weniger Stunden brennen in Kalemler zahlreiche Häuser nieder, auch Tadah liegt in Schutt und Asche. Wie von Präsident Recep Tayyip Erdogan versprochen, wird nun wieder aufgebaut - unter teilweise fragwürdigen Bedingungen.

Wiederaufbau und Baustellen

Gleich an der Einfahrt zu dem 70 Kilometer von der Mittelmeerstadt Antalya entfernten Dorf ist eine Baustelle. Mehrere im Landhaus-Stil errichtete Bauten in Braun-Weiß stehen hier in unterschiedlichen Ausführungen dicht beieinander. Den Wiederaufbau von Kalemler und anderen Orten übernimmt Toki, das staatliche Wohnungsbauunternehmen.

Ein Toki-Vertreter, der dpa-Journalisten über die Baustelle führt, will seinen Namen nicht öffentlich nennen. 52 Häuser seien allein in Kalemler entstanden, weitgehend feuerfest, rund 600 sollen es in der Kreisstadt Manavgat werden, erklärt er und stellt einen Mann vor, der vor zwei Wochen eines der neuen Häuser bezogen habe. Am Rande fragt der, wann denn Wasser und Strom angestellt werden könnten. Davon solle er jetzt nicht reden, sagt der Toki-Vertreter. Er führt weitere Besitzer der neuen Häuser in anderen Dörfern vor. Alle zeigen sich sehr dankbar und erklären, sie hätten nichts zahlen müssen für die neuen Häuser. Erdogan hatte vor einem Jahr erklärt, der Staat übernehme zumindest einen Teil der Kosten.

Wie hoch sind am Ende die Kosten?

»Hier kriegt niemand was umsonst«, sagt ein Bewohner. Auch er will seinen Namen nicht veröffentlicht sehen. »Alle Bewohner, die die Hilfe akzeptiert haben, mussten am Anfang einen Vertrag unterschreiben, mit dem sie versichern, die Hälfte der Baukosten zu übernehmen.« Die Abzahlung beginne nach ein paar Jahren.

Die Krux: Wie viel das letztendlich sein wird, ist auch jetzt noch nicht klar. Das bestätigt auch der Gemeindevorsteher Mustafa Cansiz. Je nach Preis könne das einigen Bewohnern zum Verhängnis werden, glaubt er. Ein Großteil der Menschen in Kalemler lebe von Landwirtschaft, so Cansiz. Ohnehin stehen Geringverdiener in der Türkei derzeit unter Druck. Die Lebenshaltungskosten in dem Land steigen beständig, die Inflation liegt offiziell bei fast 80 Prozent.

In der Türkei brannten vor einem Jahr laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu insgesamt 180.000 Hektar ab. Allein in Manavgat waren es 60.000 Hektar, mehrere Menschen starben. Unter den Toten war auch das deutsch-türkische Ehepaar Andrea und Fahri Y., das sich nicht vor den Flammen retten konnte. Ihre Gräber finden sich nun auf dem Friedhof des Dorfes, wenige Meter von dem Grundstück entfernt, wo nun die neuen Häuser entstehen.

Der Mittelmeerraum sei im Zuge der globalen Erwärmung ein »Hotspot« in Sachen Brände, sagt der Geograf Barbaros Gönencgil von der Istanbul-Universität. »Man kann die Brände aber nicht allein mit dem Klimawandel erklären. Denn mehr als 90 Prozent der Waldbrände in der Türkei werden durch Vorsatz oder Fahrlässigkeit verursacht.«

Besser vorbereitet auf die Feuer

Im vergangenen Jahr war die Regierung wegen schlechter Vorbereitung und zu Beginn auch wegen fehlender Löschflugzeuge Kritik ausgesetzt. Dieses Jahr scheint man besser vorbereitet zu sein: Die Provinz Antalya habe vier Löschflugzeuge und zehn Helikopter, sagt Vedat Dikici, der Leiter der Forstdirektion Antalya. Hinzu kämen 5000 Einsatzkräfte und mehrere Fahrzeuge. Die Löschflugzeuge seien für den Sommer aus Spanien und der Ukraine gemietet worden, sagt er. Auch 2022 brachen an der türkischen Mittelmeerküste schon Brände aus, wurde bisher aber vergleichsweise schnell unter Kontrolle gebracht.

Wenige Luftmeter von den Rauterts lebt das Ehepaar Olcay seit den Bränden in einem kleinen Container. Auch sie haben unterschrieben. Der Einzugstermin ins neue Haus verschiebe sich immer wieder, sagen sie. Das Leben sei hart.

Zurück auf dem Grundstück von Till und Deniz Rautert. Von dem glashausartigen Tanzsaal mit knapp acht Meter Höhe ist nur noch das Stahlgerippe übrig. Die Scheiben gingen im Feuer kaputt, tagelang haben die beiden und ihre Helfer das Grundstück von Scherben befreit. Doch rund um das Stahlgerippe sprießt es wieder. Um einen Pool herum wachsen Feigen-, Maulbeer- und Oleanderbüsche.

Wieder aufforsten

Die Natur würde sich vermutlich mit der Zeit von selbst regenerieren, doch den Luxus habe ein armes Land wie die Türkei nicht, sagt der Ökologe Ali Kavgaci. Das gefällte Holz nach den Bränden sei verkauft worden, nun versuche man so schnell wie möglich wieder aufzuforsten.

Tao und Doa rupfen zwei Gurken aus den Büschen. »Es hat nur Wasser gebraucht. Die Asche war, so gesehen, ein super Dünger«, sagt Jongleur Till. Spätestens 2023 im Herbst sollen hier wieder Workshops stattfinden.

© dpa-infocom, dpa:220721-99-101495/2