Der Prozess um die Amokfahrt in Trier mit fünf Toten muss in Teilen neu aufgerollt werden. Nach Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe wurde das Urteil des Trierer Landgerichts wegen Rechtsfehlern überwiegend aufgehoben. Damit sei der Revision des Angeklagten stattgegeben worden, teilte der BGH am Montag mit.
Der Grund: Das Landgericht habe seine Annahme, der Angeklagte habe im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit gehandelt, nicht rechtsfehlerfrei begründet. Damit seien auch die Entscheidungen über die Rechtsfolgen aufzuheben.
Bei der Amokfahrt am 1. Dezember 2020 war ein Mann mit seinem Geländewagen durch die Trierer Fußgängerzone gerast und hatte gezielt Passanten angefahren. Bei der Tat starben fünf Menschen: ein neun Wochen altes Baby, dessen Vater (45) und drei Frauen im Alter von 73, 52 und 25 Jahren. Zudem gab es Dutzende Verletzte und Traumatisierte.
»Generalisierende Betrachtungsweise« reicht nicht
Der Täter war im August 2022 wegen mehrfachen Mordes und mehrfachen versuchten Mordes vor dem Landgericht Trier zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Das Gericht stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest und ordnete die Unterbringung des Mannes in einem geschlossenen psychiatrischen Krankenhaus an.
Der Mann leidet laut in dem Trierer Prozess vorgestellten Gutachten an einer paranoiden Schizophrenie mit bizarren Wahnvorstellungen - und sei demnach vermindert schuldfähig. Diese »generalisierende Betrachtungsweise« reiche nicht aus, urteilten die BGH-Richter. Daher müsse eine neu zugewiesene Strafkammer am Landgericht Trier »die Beurteilung der Schuldfähigkeit« neu prüfen.
Konkret: Die Schuldfähigkeit müsse auf die einzelnen Taten bezogen werden. Außerdem müsste eine mögliche Wechselwirkung des vorherigen Alkoholkonsums des Angeklagten und seiner Krankheit in den Blick genommen werden. Von der Neuauflage des Prozesses nicht betroffen sind laut BGH »die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen«.
»Dass er gefahren ist und die Menschen gestorben sind, das steht fest«, sagte der Verteidiger des Angeklagten, Frank K. Peter, am Montag in Worms. Neu geprüft werden müsse nun »der ganze subjektive Bereich«. Dazu zählten Mordmerkmale, Vorsatz, die Krankheit seines Mandanten und die Frage einer möglichen Schuldunfähigkeit.
Die Perspektive der Opfer einnehmen
Am Ende könnte »ein neuer Strafausspruch« stehen. »Vielleicht, ohne dass Mordmerkmale vorliegen, könnte es Totschlag in mehreren Fällen sein«, sagte Peter der Deutschen Presse-Agentur. Er ging davon aus, dass es zur Neuauflage »vier, fünf, sechs Verhandlungstage« bräuchte. Diese wären seiner Einschätzung nach im Frühjahr 2024 möglich. Derzeit sitzt der Amokfahrer in einer Haftanstalt. Er hatte im einjährigen Prozess zu den Vorwürfen geschwiegen.
Angehörige und Betroffene zeigten sich nach der BGH-Entscheidung entsetzt. »Es ist unmöglich, dass es wieder losgeht«, sagte Wolfgang Hilsemer, der bei der Amokfahrt seine Schwester (73) verlor und dessen Schwager später an den erlittenen Verletzungen starb. »Mir kommen schon wieder die Tränen, wenn ich daran denke. Es sind aber mehr Wuttränen als Trauertränen.«
Wütend sei er auch darüber, dass er genau am dritten Jahrestag der Amokfahrt am vergangenen Freitag (1. Dezember) den Beschluss vom BGH in seinem Briefkasten vorgefunden habe. »Ich finde das unmöglich: Ich komme von der Gedenkfeier nach Hause und muss dann so was lesen. Die lassen die Angehörigen nicht zur Ruhe kommen.«
Der Opferbeauftragte der Landesregierung Rheinland-Pfalz, Detlef Placzek, zeigte sich sehr überrascht über den Zeitpunkt der Verkündung der BGH-Entscheidung. »Dass Betroffene, Opfer und Hinterbliebene der Amokfahrt während der Gedenkveranstaltung zum Jahrestag über die Entscheidung des Bundesgerichts informiert wurden, war unpassend und dem Anlass nicht angemessen«, sagte er. »Wir alle müssen lernen, die Perspektive der Opfer wahrzunehmen.«
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