Logo
Aktuell Panorama

Umstrittene Stierhatz in Spanien - »Tierfolter im Live-TV«

Millionen sitzen gebannt vor den TV-Bildschirmen. Und Hunderttausende reisen aus dem In- und Ausland an, um dabei zu sein. Das spanische »Sanfermines«-Fest mit den wilden und weltberühmten Stierrennen feiert Hochkonjunktur. Aber auch die Kritik wird immer lauter.

»Sanfermines«-Fest in Spanien
Weiß gekleidete junge Männer mit roten Halstüchen laufen beim »Sanfermines«-Fest bei der Stierhatz mit den Tieren. Foto: Eduardo Sanz
Weiß gekleidete junge Männer mit roten Halstüchen laufen beim »Sanfermines«-Fest bei der Stierhatz mit den Tieren.
Foto: Eduardo Sanz

Die Stadt Pamplona im Norden Spaniens ist praktisch über Nacht sechs Mal größer geworden. Rund eine Million Menschen aus dem In- und Ausland reisen dieser Tage in die 200.000-Einwohner-Gemeinde, um bei viel Rotwein und Sangría beim »Sanfermines«-Fest dabei zu sein.

Wie die Zeitung »El País« unter Berufung auf die Behörden berichtet, seien viele Besucher am Donnerstag zum ersten wilden und zugleich umstrittenen Stiertreiben gekommen. Bis zum nächsten Donnerstag findet das täglich am frühen Vormittag statt. Tierschützer sind einmal mehr entsetzt.

Sondersendungen im Fernsehen

Das Fest zu Ehren des Stadtheiligen San Fermín feiert Hochkonjunktur. Es wird bereits seit 1591 begangen. Darüber schrieb schon etwa der US-Schriftsteller Ernest Hemingway in seinem Roman »Fiesta« (1926). 2020 und 2021 waren die Feierlichkeiten wegen der Corona-Pandemie abgesagt worden. Die Vorfreude war diesmal besonders groß.

Das staatliche Fernsehen RTVE und andere Sender übertrugen die Stierhatz schon am Morgen live. Es gibt zudem Sondersendungen, die zum Teil mehrere Stunden dauern. Millionen saßen gebannt vor den Bildschirmen. Vor Ort wurde die Stierhatz nach Angaben von RTVE von etwa 25 000 Menschen auf Balkonen, Mauern und Nebenstraßen verfolgt.

Für die kurzzeitige Anmietung eines kleinen Balkons zahlten Touristen bis zu 180 Euro, erzählte Reiseveranstalter Mikel Ollo. Die Nachfrage sei vor allem bei US-Amerikanern sehr groß. Für die Stadt bedeutet das Fest, dessen Organisation etwa 2,7 Millionen Euro kostet, Einnahmen von schätzungsweise 80 bis 100 Millionen Euro.

Gastronome freuen sich

Klar, dass sich Hotel-, Kneipen-, Restaurantbetreiber angesichts der laut klingenden Kassen die Hände reiben und Bürgermeister Enrique Maya frohlockt und von einer »historischen« Ausgabe und vom »größten Fest der Welt« spricht. Die »Sanfermines« locken schon seit vielen Jahren Hunderttausende in die Stadt, aber die Begeisterung und die Teilnahme waren trotz Inflation und Energiekrise wohl selten so groß wie dieses Jahr, wie ein RTVE-Kommentator feststellte.

Aber nicht alle teilen die Begeisterung. Tierschützer protestierten auch dieses Jahr mehrfach gegen die Stierhatz und die Stierkämpfe, die inzwischen auch in Spanien zunehmend umstritten sind. Am Mittwoch verkleideten sich Dutzende Aktivisten in Pamplona als Dinosaurier und trugen Plakate mit der Aufschrift »Stierkampf ist prähistorisch« in verschiedenen Sprachen. In ihrer Kolumne in der renommierten Zeitung »El País« beklagte sich derweil die angesehene Filmregisseurin und Medienexpertin Eva Güimil: »Das ist Tierfolter im Live-TV«.

Doch alle Empörung tut dem Spektakel und der Begeisterung der Besucher keinen Abbruch. David Úbeda ist einer von ihnen. Der 44-Jährige aus Madrid nimmt nach eigener Aussage seit 17 Jahren an den Stiertreiben teil. 2019 wurde er dabei schwer verletzt, konnte monatelang nicht gehen. Am Donnerstag war er aber wieder da und konnte den ersten Lauf kaum abwarten. Es sei »wie eine Droge«. Im Interview von RTVE versuchte er sichtlich bewegt und mit feuchten Augen, die Familie daheim zu beruhigen. »Ich werde diesmal ein bisschen vorsichtiger sein. Es wird schon alles gut gehen.«

Wenige Minuten später trieben wieder knapp 2000 Läufer unter lautem Jubel der Zuschauer sechs zum Teil über 600 Kilogramm schwere Kampfbullen und auch mehrere zahme Leitochsen durch die engen Gassen der Altstadt für die Stierkämpfe am Abend bis in die Arena. Die Läufer waren vorwiegend typisch ganz in Weiß gekleidet und trugen rote Halstücher. Man sah aber auch Trikots europäischer Fußballclubs.

Der Tod läuft mit

Es sind mehrheitlich junge Männer, die oft versuchen, die langen, spitzen Hörner zu berühren oder den Stieren einen Klaps zu geben. Man sieht nur wenige Ältere und noch weniger Frauen. Es gibt immer wieder Stürze, Menschen werden von Bullen und Mitläufern überrannt.

Der Tod läuft bei den Mutproben über die nach verschiedenen Angaben 825 bis 875 Meter lange Strecke stets mit. Seit 1924 gab es 16 Todesopfer, das letzte 2009. Jedes Jahr werden Dutzende Läufer zum Teil schwer verletzt. Am Donnerstag mussten fünf Teilnehmer mit Verletzung wie Schädelprellungen und Knochenbrüche ins Krankenhaus gebracht werden. Úbeda war diesmal nicht darunter.

Die Tiere sind aber schlimmer dran. Die Bullen, die morgens wild in die Arena getrieben werden, sterben abends bei Stierkämpfen. Die Chefin der Organisation »AnimaNaturalis«, Aida Gascón, postete auf Twitter blutige Bilder getöteter Bullen und schrieb: »So werden die 48 Stiere enden, die bei den (diesjährigen) Fiestas von Pamplona hingerichtet werden sollen. Die Pandemie hat uns nicht zu besseren Menschen gemacht, wir haben immer noch grausame Sitten.«

© dpa-infocom, dpa:220707-99-943885/3