Logo
Aktuell Panorama

Ukrainer im Ahrtal: Flüchtlinge helfen Flutopfern

Immer noch ist der Kreis Ahrweiler in Teilen vom Hochwasser zerstört. Dennoch landen auch hier Hunderte Vertriebene aus der Ukraine. Sie bekommen Hilfe - und manche helfen gleichzeitig selbst.

Ukrainer im Ahrtal
Valentyna Ridvanskaya (M) und ihre Familie, Ehemann Juri (r), Schwiegermutter Svitlana und die Kinder Polina und Uliana stehen vor den Resten der Ahrtorbrücke. Die aus der Nähe von Kiew geflohene Familie hilft bei der Hilfsorganisation »Arche« aus, die sich um die von der Flutkatastrophe betroffenen Menschen kümmert. Foto: Thomas Frey
Valentyna Ridvanskaya (M) und ihre Familie, Ehemann Juri (r), Schwiegermutter Svitlana und die Kinder Polina und Uliana stehen vor den Resten der Ahrtorbrücke. Die aus der Nähe von Kiew geflohene Familie hilft bei der Hilfsorganisation »Arche« aus, die sich um die von der Flutkatastrophe betroffenen Menschen kümmert.
Foto: Thomas Frey

Ein Kriegsflüchtling hilft Hochwasseropfern: Valentyna Ridvanskaya verteilt Kartoffelsalat an Anwohner mit flutgeschädigten Häusern.

Im Ahrtal hat im Juli 2021 eine Sturzflut 134 Menschen getötet, mehr als 750 verletzt und Tausende Häuser verwüstet. Noch immer wohnen viele Bürger in Ausweichquartieren und warten teils auf finanzielle Hilfen - der Wiederaufbau verläuft schleppend. Immer noch hilft in Bad Neuenahr-Ahrweiler der Verein »Die Ahrche« unter anderem mit einem Zelt zum Essen, einer improvisierten Turnhalle und einem Kinderkino vielen Flutopfern. Und unterstützt nun rund zehn Flüchtlinge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine einschließlich Ridvanskaya.

Normaler Alltag in weiter Ferne

Die 41-Jährige aus Brovary bei Kiew ist kürzlich mit Mann (39), zwei Töchtern (3 und 9) und Schwiegermutter (57) im Auto vor den tödlichen Angriffen geflohen. »Eine andere Ukrainerin war schon hier«, berichtet die Lehrerin für autistische Kinder. »Sie hat mir von Bad Neuenahr-Ahrweiler erzählt, deshalb sind wir hierhergekommen.«

Die ukrainische Familie mit drei Generationen ist in einer Wohnung im Haus eines älteren Ehepaars untergekommen. »Die wollen uns helfen«, sagt Ridvanskaya. Bad Neuenahr-Ahrweiler sei schön und die Bürger nett. »Aber wir wissen natürlich auch, dass es hier ein schlimmes Hochwasser gegeben hat.« Immer noch sind viele Zerstörungen zu sehen.

Schon bald kommt die ukrainische Familie auch in die »Ahrche« auf einem ehemaligen Campingplatz am nun so harmlos wirkenden Flüsschen Ahr. Vereinsgründer Lucas Bornschlegl erklärt: »Wir haben ihnen gesagt, dass sie von allem, was wir anbieten, auch was nehmen dürfen. Sie kommen ja auch von einer Katastrophe.«

Die Flüchtlingsfamilie freut sich. Bornschlegl sagt: »Die Kinder haben gleich in der Spielecke mitgespielt und die Erwachsenen haben gefragt, wo sie helfen können.« Valentyna Ridvanskaya arbeitet unter anderem in der Küche mit und ihr Mann Yurii, ein Geschäftsmann, kümmert sich beispielsweise um Reparaturen und Brennholz. Die »Ahrche« hat auch gebrauchte Fahrräder für die Ukrainer organisiert.

Die Kreisverwaltung im Rotweingebiet Ahrtal erklärt mit Blick auf Kriegsflüchtlinge: »Das Land Rheinland-Pfalz hat für den Kreis Ahrweiler aufgrund der nach wie vor massiven Flutfolgen offiziell einen Verteilstopp erlassen.« Die Solidarität mit der Ukraine sei zwar auch hier außergewöhnlich. Doch zahlreiche Anwohner seien »selbst schwer von den Folgen der Flutkatastrophe betroffen, auch für sie ist ein normaler Alltag noch in weiter Ferne«.

Rund 400 Geflüchtete aufgenommen

Der »Kompromiss« mit dem Land sei daher, »dass Familienangehörige aus der Ukraine aufgenommen werden können«, wenn dies dauerhaft im eigenen Haushalt mit einem geregelten Alltag in einem geeigneten sozialen Umfeld möglich sei. Andernfalls sei eine »koordinierte und bedarfsgerechte Weitervermittlung« über die Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende in Trier die beste Lösung. Der Kreis Ahrweiler teilt mit: »Bisher wurden rund 400 Personen als Flüchtlinge aus der Ukraine der Ausländerbehörde der Kreisverwaltung von den Kommunen gemeldet (Stand: 25. April).« Darunter seien etwa 170 Minderjährige.

Valentyna Ridvanskaya versucht sich zu integrieren: »Ich besuche in Ahrweiler dreimal die Woche einen Deutschkurs.« Ihre neunjährige Tochter Polina gehe bereits in die Schule. Für deren dreijährige Schwester Uliana warteten sie auf einen Kindergartenplatz.

Laut Kreisverwaltung sind bisher mehrere Dutzend Mädchen und Jungen aus der Ukraine an einer Schule aufgenommen worden. In Kitas hingegen spielten nur vereinzelt ukrainische Kinder. Die etliche Meter hohe Flutwelle nach extremem Starkregen in der Nacht auf den 15. Juli 2021 hat auch zahlreiche Kindergärten und Schulen des Kreises beschädigt oder zerstört. Bis heute laufen Kinderbetreuung und Schulunterricht vielerorts noch in Containern und anderen provisorischen Gebäuden. Für Kitaplätze gibt es Wartelisten im gesamten Kreisgebiet.

Ahrweiler-Landrätin Cornelia Weigand (parteilos) betont, ukrainischen Schulkindern könne keine reelle Perspektive geboten werden, »so gerne wir das auch möchten. Es fehlt uns an Platz, Personal und Unterstützung, zum Beispiel durch Dolmetscher und Psychologen. Am Ende sind die Geflüchteten die Leidtragenden.«

»Wahre Größe der Menschen und Kommunalpolitik«

Der Kreis Ahrweiler mit auch vielen Kommunen ohne Flutschäden versucht gleichwohl nach eigenen Angaben Kriegsflüchtlingen auf mehreren Ebenen zu helfen, auch etwa mit einem Online-Portal und einer Hotline in ukrainischer Sprache. In Schulen gebe es Förderungen von Deutschkenntnissen und in der Kreis-Volkshochschule Deutschkurse. Der rheinland-pfälzische Integrationsstaatssekretär David Profit (Grüne) spricht von »wahrer Größe der Menschen und der Kommunalpolitik« im Ahr-Landkreis mit ihrer Hilfe für Ukrainer.

Valentyna Ridvanskaya sagt, ihre Töchter vermissten die Freundinnen in der Ukraine. »Sie lernen aber schneller Deutsch als wir Erwachsenen.« Richtig glücklich ist die Geflüchtete trotz aller Hilfsbereitschaft im Flutgebiet nicht: »Ich muss immer an meine Schwester und meinen Bruder und ihre Familien und an meine Freunde denken, die noch in der Ukraine sind.« Mit ungewissem Schicksal. Erst habe sie geglaubt, nur für ein oder zwei Wochen aus ihrer Heimat zu fliehen. »Aber jetzt denke ich, dass der Krieg länger dauern wird.«

© dpa-infocom, dpa:220504-99-147373/2