Frauen in Deutschland werden immer später zum ersten Mal Mutter. Wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilte, lag das Durchschnittsalter 2020 bei 30,2 Jahren. Damit setzt sich den Angaben zufolge der Trend der vergangenen zehn Jahre nahezu kontinuierlich fort.
In rund 10.500 Fällen war eine Frau bei der ersten Entbindung älter als 40 Jahre. Das entspricht 2,9 Prozent der rund 360.000 Erstgeburten. Hingegen hatten lediglich 0,8 Prozent der erstgeborenen Babys eine Mutter, die jünger als 18 Jahre alt war. Zehn Jahre zuvor lag das Durchschnittsalter insgesamt noch bei 29,0 Jahren.
Die Entwicklung war zu erwarten
Ursächlich für die Entwicklung ist nach Ansicht von Bevölkerungsforschern eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren. Dazu zählen nach Ansicht von Jasmin Passet-Wittig vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) in Wiesbaden unter anderem eine immer größer werdende Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt, lange Ausbildungszeiten oder auch wirtschaftliche Unsicherheiten zu Beginn des Berufslebens. »Keinesfalls dreht man an einer einzigen Stellschraube und alles verändert sich«, sagt sie.
»Spätestens seit den 1980er Jahren beobachten wir dieses Phänomen. Die Entwicklung war komplett zu erwarten, denn die entscheidenden Faktoren haben sich nicht geändert«, sagt auch Mathias Lerch von der Hochschule Luzern (EPFL), Gastwissenschaftler am Max-Planck-Institut für Demografische Forschung. Er weist neben der verlängerten Ausbildung vor allem auf Selbstverwirklichung und wirtschaftliche Faktoren hin – etwa die Konsolidierung der eigenen Karriere.
Die jüngsten Mütter kommen aus Bulgarien
Entsprechend bekommen auch in den anderen Staaten der Europäischen Union Frauen immer später ihr erstes Kind. Am ältesten sind laut Eurostat die Frauen in Italien (31,4 Jahre), gefolgt von Spanien (31,2) und Luxemburg (31,0). Die im Durchschnitt jüngsten Mütter kamen aus Bulgarien (26,4), Rumänien (27,1) und der Slowakei (27,2).
In den 1970er Jahren sah das noch anders aus: Damals waren die westdeutschen Frauen bei der Geburt des ersten Kindes im Durchschnitt 25 Jahre alt, in der DDR sogar nur 22 Jahre. Doch heute haben viele Frauen und Paare Lerch zufolge die Vorstellung, dass alles schon »fix und fertig sein muss, bevor das erste Kind kommt«. Ist das Kind damit die neue Rolex - ein Statussymbol, ähnlich dem Auto oder dem Einfamilienhaus? So weit will der Forscher nicht gehen.
»Nicht alle aufgeschobenen Geburten lassen sich nachholen«
Aber: Auffällig an der Statistik ist laut Passet-Wittig, dass vergleichsweise viele Frauen ihr erstes Kind erst mit Mitte 30 bekommen - wenn bereits biologisch gesetzte Grenzen erreicht sein können. »Wir sprechen häufig davon, dass Geburten aufgeschoben werden, je nach Alter und Lebenssituation lassen sich aber nicht alle aufgeschobenen Geburten nachholen. Auch nicht mit Hilfe der Reproduktionsmedizin«, sagt die Wissenschaftlerin.
Tatsächlich hat die Zahl der künstlichen Befruchtungen in Deutschland trotz der Corona-Pandemie zuletzt einen Höchststand erreicht. Wie eine erst wenige Wochen alte »Sonderauswertung Covid-19« des Deutschen IVF-Registers zeigte, nahmen im Jahr 2020 die Kinderwunschzentren 9,3 Prozent mehr Behandlungen vor als im Vorjahr. Insgesamt belief sich die Zahl auf 108.000. »Die Reproduktionsmedizin kann helfen, aber es sinken mit dem Alter der Frau auch die Erfolgsaussichten von Kinderwunschbehandlungen«, sagt Passet-Wittig.
Noch weitere Verschiebung nach hinten möglich
Trotzdem hält Mathias Lerch es nicht für ausgeschlossen, dass sich der Trend noch weiter fortsetzt. »Die Corona-Pandemie hat große Unsicherheit erzeugt. Die aktuelle Generation hat durch sie möglicherweise vieles verpasst, was sie nachholen möchte.« Möglich sei durchaus, dass sich die Geburt des ersten Kindes noch ein bis zwei Jahre weiter nach hinten schiebe.
Der Geschäftsführer des in Kelkheim bei Frankfurt ansässigen Zukunftsinstituts, Andreas Steinle, sagte dazu bereits bei der Vorstellung des »Trendmonitors 2011« über die heutige Elterngeneration: »Keiner weiß, wann der richtige Zeitpunkt ist für die Familiengründung - daher verpassen ihn viele.«
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