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Tod am Mount Everest

Das Bergsteiger-Business im Himalaya boomt. Aber in der diesjährigen Hauptsaison starben auch besonders viele Bergsteiger.

Mount Everest
In einer langer Schlange klettern Bergsteiger auf einem Pfad knapp unterhalb von Lager vier. Foto: Rizza Alee
In einer langer Schlange klettern Bergsteiger auf einem Pfad knapp unterhalb von Lager vier.
Foto: Rizza Alee

Im Frühling besteigen jeweils am meisten Menschen den Mount Everest - weil dann in der Regel die Wetterfenster am besten sind. Diesen Frühling wollten zudem besonders viele Menschen auf den Berg, der mit seinen 8848,86 Metern der höchste der Welt ist und als Dach der Welt gilt. Mehr als 600 Bergsteiger und einheimische Bergführer und Gepäckträger erreichten nach ersten Schätzungen des nepalesischen Tourismusministeriums den Gipfel.

Gleichzeitig starben diese Saison auch besonders viele Menschen auf dem Berg: Zwölf Leichen wurden bislang gefunden und fünf weitere Menschen werden vermisst. Es wird angenommen, dass sie tot sind, heißt es aus dem Ministerium. Gleichzeitig gab es dieses Jahr aber keinen größeren Einzelvorfall wie Lawinen oder Erdbeben wie etwa im Jahr 2015, als mindestens 18 Menschen starben.

Warum kamen dennoch so viele Menschen ums Leben? Die meisten von ihnen starben kurz vor dem Gipfel oder beim Abstieg, hieß es aus dem Ministerium. Unter den Vermissten seien vier Sherpa-Helfer.

Klimawandel und Wetterumschwünge

Der Chef des Tourismusministeriums, Yubraj Khatiwada, sagt, hauptsächlich seien der Klimawandel und Wetterumschwünge schuld. Im Himalaya schneite es im späten März und frühen Mai stark - was um diese Zeit selten ist. Und aus dem Tourismusministerium heißt es, dass dies eine größere Herausforderung für Bergsteiger bei der Akklimatisierung an die hohe Höhe sowie beim Gipfelvorstoß gewesen sei. Es habe auch besonders viele Fälle von Erfrierungen und Höhenkrankheit gegeben, wodurch rund 200 Mal Hubschrauber notfallmäßig Leute aus dem zweiten von vier Höhenlagern ins Basislager fliegen mussten, hieß es aus Regierungskreisen.

Einheimische Bergführer sagen zudem, dass viele unerfahrene Menschen am Berg seien, die im Vorfeld kaum hohe Berge erklommen hätten. Dies erhöhe die Gefahr von Staus oben in der Todeszone. »Jeder mit Geld kann den Everest besteigen«, sagte Bergführer Narendra Shahi Thakuri. »Das bringt nicht nur ihr eigenes Leben in Gefahr, sondern auch das ihrer einheimischen Helfer.« In Nepal kann jeder - auch ohne Vorkenntnisse - beim Tourismusministerium die nötige Genehmigung zur Besteigung des Mount Everest beantragen und muss dafür 11.000 Dollar (mehr als 10.000 Euro) zahlen. Im Nachbarland China muss man hingegen für eine entsprechende Genehmigung zuvor mindestens einen anderen Achttausenderberg bestiegen haben. Der Mount Everest befindet sich auf der Grenze der beiden Länder. In der Frühlingssaison 2023 hätten 479 Bergsteiger eine Genehmigung in Nepal beantragt - mehr als je zuvor, hieß es.

Gefährliches Streben nach Rekorden

Angesichts der großen Nachfrage rekrutierten einige Expeditionsveranstalter auch einheimische Bergführer und Gepäckträger mit kaum Erfahrung, wie es aus der Bergsteiger-Community hieß. Obwohl sie schweres Gepäck wie Lebensmittel und Sauerstoffflaschen für ihre Gäste schleppen, sterben solche Helfer aus dem Volk der Sherpa trotzdem deutlich seltener als Bergsteiger, die normalerweise in tieferen Lagen leben - auch weil sie generell besser an die Höhenluft gewohnt sind. Laut dem Expeditionsarchiv »Himalayan Database« machten Sherpas in der Zeit zwischen der ersten erfolgreichen Everest-Besteigung durch Tenzing Norgay und Edmund Hillary im Jahre 1953 und dem Jahr 2022 113 der 299 erfassten Todesfälle aus.

Auch ein Streben nach speziellen Rekorden auf dem Berg sowie nach mehr Arbeit für Expeditionsfirmen könnte die Zahl der Toten beeinflussen, glauben einige. Gleichzeitig können unzuverlässige Wettervorhersagen Schwierigkeiten verursachen, sagt Khimlal Gautam, ein Behördenmitarbeiter, der für die Bergsteigersaison zuständig ist und teils selbst im Everest-Basislager vor Ort ist. Bergführer Sanu Sherpa, der auch die erste Person ist, die alle 14 Achttausender der Welt zweimal bestiegen hat, sagt, dass viele Bergsteiger bei starken Winden und starkem Schneefall Probleme hätten. »Um Berge in solchen Höhen zu besteigen, braucht es nicht nur die richtigen körperlichen Voraussetzungen, sondern auch gutes Wetter«, sagt Sanu Sherpa. »Erfahrung spielt eine Rolle, bedeutet allein aber wenig, wenn die anderen Faktoren nicht stimmen.«

Die Bergsteigerbranche schafft in Nepal Arbeitsmöglichkeiten für Tausende Menschen. Nepal nahm in diesem Jahr zudem rund sechs Millionen Dollar durch Besteigungsgenehmigungen für den Mount Everest und andere Berge im Himalaya ein.

© dpa-infocom, dpa:230612-99-22802/3