So viele Pride-Veranstaltungen und Pride-Besuchende wie 2023 sind in Deutschland noch nie gezählt worden. Mehr als 140 Veranstaltungen zähle man dieses Jahr, teilt der Verein CSD Deutschland als Dachverband der Gruppen und Vereine mit, die Christopher Street Days organisieren. Doch kaum einer verging ohne Meldungen über Gewalt gegen Teilnehmende, Handgreiflichkeiten, Pöbeleien, Anfeindungen. Die großen CSDs waren im Juli und August. Im September und sogar Oktober folgen noch welche, meist eher kleinere.
»Ende des Jahres werden es an die vier Millionen Menschen gewesen sein, die durch die CSDs direkt mobilisiert wurden. Das ist die höchste Zahl, die wir jemals erreicht haben«, sagt Vorstandsmitglied und Pressesprecher Kai Bölle. Drei dieser vier Millionen verfolgten demnach die Demos am Rande oder hörten sich die Kundgebungen an, eine Million Menschen werden aktiv teilgenommen haben.
Erfolgsgeschichte mit Schattenseiten
Der CSD-Deutschland-Verein zählt 76 CSD-Organisationen als Mitglieder. Vor 20 Jahren gab es nach seinen Angaben etwa 30 CSDs in Deutschland, vor 10 Jahren dann etwa 50. »Was wie eine reine Erfolgsgeschichte klingt, kommt jedoch auch mit Schattenseiten daher«, betont Bölle. »Wir registrieren zunehmend offene Gewalt auch direkt im Umfeld von CSDs oder im Zuge des Rahmenprogramms.«
Auch der Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), zeigte sich kürzlich beunruhigt: »Zunehmend gibt es auch Übergriffe im Rahmen von CSDs.« Angeheizt von gezielten Kampagnen richte sich Gewalt gegen sichtbares queeres Leben und solle einschüchtern.
1400 Straftaten allein vergangenem Jahr
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte: »Die Zunahme an queerfeindlichen Straftaten in den vergangenen Jahren ist erschreckend. Allein im vergangenen Jahr hat die Polizei mehr als 1400 Straftaten registriert. Zudem müssen wir von einer hohen Dunkelziffer ausgehen, viele Betroffene zeigen Straftaten nicht an.«
Strittig bis in die Community hinein ist immer wieder, aus welchem gesellschaftlichen Milieu die Täter bei antiqueerer Hassgewalt hauptsächlich kommen. Außerdem wird oft darüber spekuliert, ob nur deshalb mehr Zwischenfälle passierten, weil auch mehr Veranstaltungen mit eben viel mehr Menschen stattfinden als früher.
Die Täter sind meistens Männer
Dass es mehr registrierte Vorfälle gebe, komme auch von gestiegener Sensibilität, heißt es vom Verein CSD Deutschland. Doch Homo- und Transphobie stecke tief in den Köpfen vieler Bürgerinnen und Bürger. Und diese Ablehnung werde derzeit von Hetzkampagnen gezielt aktiviert, sagt Bölle. Täter seien meist Männer. Oft werde behauptet, CSDs verstärkten eine sogenannte LGBT-Ideologie. »Das ist ein Mittel der Umkehr. Denn um Ideologie geht es eben gerade diesen Akteuren.«
Die Bezeichnung CSD geht auf Ereignisse im Jahr 1969 in New York zurück: Polizisten stürmten damals die Bar »Stonewall Inn« in der Christopher Street und lösten einen mehrtägigen Aufstand von Trans-Personen, Schwulen und Lesben aus - der Beginn einer Bewegung.
Dafür steht LGBTIQ+
Heute werden oft Abkürzungen wie LGBTIQ+ (auf Deutsch seltener LSBT und Ähnliches) benutzt, was für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans-Menschen, intergeschlechtliche Personen, queere Menschen steht, wobei Pluszeichen oder Sternchen als Platzhalter für weitere Identitäten gedacht sind. Als queer bezeichnen sich Menschen, die sich nicht mit dem traditionellen Rollenbild von Mann und Frau oder anderen Normen rund um Geschlecht und Sexualität identifizieren.
»Vor allem auf dem Land ist die Zahl der CSDs stark angestiegen. Die Präsenz und Sichtbarkeit in der Fläche ist von besonderer Bedeutung«, sagt Bölle. In Bayern zum Beispiel seien neben die langjährigen Veranstaltungen in München und Nürnberg mehr als 25 weitere CSDs ins Leben gerufen worden. Gerade in kleineren Städten sei Sichtbarkeit wichtig. Dort, wo es lange keine oder nur wenige Schutzräume gegeben habe, wo man eben in die großen Städte gefahren sei, um seine Identität leben zu können, gebe es mehr und mehr Engagierte, die das ändern und sich eben in ihrer Heimat wohl und sicher fühlen wollten.
Über eine Million Teilnehmer in Köln
»Das Ausweichen auf die Anonymität und damit Sicherheit von Köln, Berlin, Hamburg oder München wird als Last statt als Alternative bewertet. Was es ja auch ist. Ein Ausweichen und Flüchten«, sagt Bölle. Beeindruckende Zahlen aus Hamburg, Köln und Berlin mit jeweils um die 65.000 Demonstranten und mehreren Hunderttausend Besucherinnen und Besucher - in Köln gar über einer Million - seien wichtig und medienwirksam. »Doch die meisten CSDs bringen eben auf dem Land eher jeweils um die 2500 Menschen auf die Straße.«
Auffällig ist die deutlich breitere Beteiligung - etwa von Kommunen (Verwaltungen), Kirchengemeinden, Amateur- und Profisportvereinen, Feuerwehren und Rettungsdiensten, Unternehmen und sogar der Polizei, wie es vom Verein CSD Deutschland heißt. »Sogar« bezieht sich hier auf die Tatsache, dass es gerade in Deutschland historisch bedingt in der queeren Szene häufig Vorbehalte gegenüber der Polizei gibt.
Bis 1994 galt Homosexualität in Deutschland als strafbar
Bis vor knapp 30 Jahren galt Homosexualität in Deutschland unter Umständen als strafbar. Der mehr als 100 Jahre alte Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs wurde erst 1994 offiziell gestrichen.
Heute seien es meist LGBTIQ* in den jeweiligen Organisationen, die dort Netzwerke bildeten und dann die Teilnahme ihres Arbeitgebers, Vereins oder Gemeinwesens bei einem CSD initiierten, berichtet der Dachverband. Dass das dann aber zugelassen und unterstützt werde, sei ein wichtiges Zeichen. »LGBTIQ werden immer eine Minderheit sein und sind damit darauf angewiesen, dass die Zivilgesellschaft sich für sie als Minderheit mit einsetzt.«
Mit dem Christopher Street Day (CSD) wird an Ereignisse im Jahr 1969 in New York erinnert: Polizisten stürmten damals die Bar »Stonewall Inn« in der Christopher Street und lösten einen mehrtägigen Aufstand von Trans-Personen, Schwulen und Lesben aus - der Beginn einer Bewegung. Im Sommer finden jedes Wochenende CSDs statt, früher oft lapidar nur Schwulenparade genannt. Dabei geht es bei den Prides mit Regenbogenflagge um mehr als die Belange männerliebender Männer.
Abkürzungen wie LGBTIQ+ (auf Deutsch seltener LSBT und Ähnliches) stehen für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans-Menschen, intergeschlechtliche Personen, queere Menschen. Pluszeichen oder Sternchen sind als Platzhalter für weitere Identitäten gedacht.
Als queer bezeichnen sich Nicht-Heterosexuelle beziehungsweise Menschen, die sich nicht mit traditionellen Rollenbildern oder anderen Normen rund um Geschlecht und Sexualität identifizieren.
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