Die 79-Jährige, die seit Jahren einen katholischen Priester im Sauerland stalkt, verbirgt den Kopf unter einem schwarzen Schlapphut, als sie den Gerichtssaal betritt. Während der Verhandlung vor dem Landgericht Arnsberg nutzt sie auch eine rote Samtmütze, um ihr Gesicht vor den Blicken der Zuschauer zu schützen.
Aufmerksamkeit, so wird der psychiatrische Gutachter im Prozess schildern, will diese Frau im krankhaften Liebeswahn nur von einem: dem Pfarrer aus Meschede, in dem sie ihren »Seelenzwilling« sehe.
Seit mehr als 20 Jahren, davon ist das Gericht nach diesem Berufungsprozess überzeugt, stellt sie dem Geistlichen Michael Hammerschmidt aus dem kleinen Ort Meschede-Freienohl nach: Mit Nackttänzen vor dem Pfarrhaus, obszönen Liebesbotschaften, vulgären Rufen und Gesten. Aufhalten kann die Justiz sie dennoch nicht: An diesem Mittwoch wird sie als schuldunfähig freigesprochen.
Gutachter Norbert Leygraf der Universität Münster attestiert der Angeklagten einen krankhaften Liebeswahn, der unfähig mache, ihr Verhalten zu kontrollieren.
Chronischer Hirnschaden
Sie sei nicht nur in Hammerschmidt verliebt, sondern auch der tiefen Überzeugung, dass er ihre Zuneigung nur deshalb nicht erwidere, weil er nun mal katholischer Priester sei. Das sei »übrigens eine relativ häufige und nicht gerade zufällige Konstellation« bei dem Krankheitsbild Liebeswahn, so erläutert Leygraf. Ein chronischer Hirnschaden beeinträchtige zudem ihre Impulskontrolle.
Nach dem Vortrag des Experten für das Gebiet der Wahnkrankheiten schließt sich auch die Staatswaltschaft der Forderung nach einem Freispruch der Angeklagten an. »Wir können nur jemanden bestrafen, der weiß, was er tut«, sagt der Staatsanwalt in seinem Schlusswort. »Das ist unbefriedigend, aber wir sind gebunden an Recht und Gesetz.«
Für den Geschädigten ist es mehr als das: »Als Opfer bist du in diesem Land verloren«, sagt Michael Hammerschmidt nach dem Freispruch. »Sie kann mich seit 20 Jahren krank machen, aber sie hat überhaupt keine Einschränkungen«, ist er empört.
Im Zeugenstand hatte er eindringlich geschildert, wie stark ihn die Situation belaste - psychisch wie gesundheitlich. Aufeinandergetroffen waren sie vor mehr als 20 Jahren am Sterbebett ihres Vaters. Danach habe der Terror begonnen: anfangs fast tägliche Anrufe, obszöne Geschenke, Tänze, vulgäre Aufforderungen, »einfach widerlich«. Dabei habe er ihr unmissverständlich klargemacht, dass er das nicht wolle. Längst habe sie ihm Lebensfreunde und Lebensqualität genommen. »Es gibt Phasen, da sitzt du zuhause und weinst einfach nur, weil du so hilflos bist«, sagt Hammerschmidt.
Zwar habe die Intensität der Avancen nachgelassen, aber noch gestern habe sie Rosenblätter vor seinem Haus verstreut. »Das Bild der alten, hinfälligen Dame, das sie hier zeichnet, nehme ich ihr nicht ab. Sie veräppelt die ganze Welt, weiß genau, was sie tut«, widerspricht der Pfarrer dem Sachverständigen Leygraf.
Älteres Urteil aufgehoben
Immer wieder beschäftigten sich Gerichte mit der Stalkerin aus Meschede. Nach Rechnung des Verteidigers kamen mehr als 18 psychiatrische Gutachten zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen: Noch 2019 hatte das Amtsgericht Meschede eine neunmonatige Bewährungsstrafe verhängt, weil es die Frau nach Ausführungen eines anderen Gutachters durchaus für einsichtsfähig hielt. Dieses Urteil wurde nun aufgehoben.
Die hohen Hürden, um die 79-Jährige in eine psychiatrische Klinik einzuweisen, sieht das Gericht nicht überschritten. Und so bleibe nur die Hoffnung, so der Vorsitzende Richter, dass durch das zunehmende Alter der Angeklagten auch ihr Elan und damit die Belästigungen nachließen. »Dass wünscht die Kammer jedenfalls dem Zeugen Hammerschmidt«, sagt er noch. Doch dieser hat längst sichtbar wütend über den Verfahrensausgang den Saal verlassen. Der Freispruch ist noch nicht rechtskräftig.
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