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Pinar Atalay in Reutlingen: Wie ich Nachrichten-Star wurde

Mit professioneller Lässigkeit betrat die ehemalige Tagesthemen-Moderatorin Pinar Atalay am Montag die Gesprächsbühne in der Reutlinger Kreissparkasse. Die 45-Jährige mit türkischen Wurzeln traf sich mit der Journalistin und Autorin Bernadette Schoog, um über Herkunft, Karriere und soziale Ungleichheit zu sprechen. Und über Gemeinsamkeiten mit Musiker Caspar und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

Pinar Atalay im Gespräch mit Bernadette Schoog.
Pinar Atalay im Gespräch mit Bernadette Schoog. Foto: Steffen Schanz
Pinar Atalay im Gespräch mit Bernadette Schoog.
Foto: Steffen Schanz

REUTLINGEN. Auf die Frage, woher sie komme, hat Pinar Atalay eine klare und einfache Antwort: »Aus Lemgo.« Reicht den Fragenden diese Antwort nicht aus, wird sie spezifischer: »Aus Ostwestfalen-Lippe. Das war für mich immer selbstverständlich.« Dass ihre Familie eventuell nicht aus Deutschland kommen könnte, erkennt man - wenn überhaupt - an ihrem Namen. Pinar Atalay, Jahrgang 1978, ist in Nordrhein-Westfalen geboren und aufgewachsen. Ihre Eltern, eine Schneiderin und ein Tischler, kamen in den 1970er-Jahren aus der Türkei nach Deutschland. Ein paar Jahre später wurde die kleine Pinar als zweite in einer Reihe von drei Geschwistern geboren. Ein typisches Mädchen aus einer typischen »Gastarbeiterfamilie«. Nicht so typisch: Sieben Jahre - von 2014 bis 2021 - moderierte Atalay die Tagesthemen im Ersten. Seit 2021 steht sie im Wechsel mit Jan Hofer bei RTL Direkt vor der Kamera.

Arbeiterkinder sollten auf die Hauptschule

Ganz einfach war der Weg dahin nicht. »Aber ich hatte den Vorteil des zweiten Kindes«, erklärt Atalay. Während ihrer sechs Jahre älteren Schwester der Zugang zum Gymnasium trotz ausreichend guter Noten verwehrt bliebt - »die ist türkisch, die geht auf die Hauptschule«, wie das eine Lehrerin damals formuliert haben soll - schaffte Pinar den Sprung in die höhere Bildung. »Das Hauptproblem war dabei aber nicht nur mein Migrationshintergrund, sondern meine Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse.«

Schöne Kindheit

Als Kind fielen ihr die Unterschiede kaum auf. Ihre Familie wohnte in einem Sozialwohnungsbau, dem gegenüber große Einfamilienhäuser standen. »Als wir jung waren, haben wir einfach mit allen in den Gärten gespielt«, erzählt die Journalistin. »Als Teenager wurde es dann bemerkbar.« Gegenüber fuhr man über das Wochenende nach Paris, die Schuhe hatten - in Anlehnung an eine deutsche Sportmarke - drei Streifen statt zwei an der Seite. Man gehörte zu den »anderen«. Als schlimm empfand Pinar das nicht: »Ich hatte eine schöne Kindheit. Die Frage muss doch sein: Wie kann ich aus einer Mangelerscheinung etwas Positives machen?«

Verantwortung für eine Boutique

Nach dem Abitur war die erste Karriere-Entscheidung eine »pragmatische«: In ihrer Heimat eröffnete Pinar Atalay eine Boutique. »Das war für mich All-In-One - alles in einem. Buchhaltung, Putzen und Verkauf - ich hatte viel Verantwortung«, erklärt die 45-Jährige. Studieren kam erstmal nicht infrage. »Ich wollte lieber arbeiten, mein Geld verdienen und unabhängig sein.« Der Sprung zum Radio Lippe, wo sie als freie Mitarbeiterin einstieg, kam schon kurze Zeit später - im zarten Alter von 19 Jahren.

Motivation durch Unwissenheit

Damals sei sie »noch gar nicht so beisammen gewesen«, wie Atalay zugibt. Zwar hatte sie bereits regelmäßig den Spiegel gelesen und bezeichnet ihr jugendliches Ich heute rückblickend als »Nachrichten-Junkie«, aber im Finanzausschuss von Blomberg verstand sie trotzdem nur die Hälfte. Aus dieser Unwissenheit erwuchs jedoch ihre größte Motivation: »Ich wollte das alles verstehen, habe dann jede Lokalzeitung gelesen, immer nachgefragt und unglaublich viel gelernt.« Mit 27 stand Atalay dann zum ersten Mal vor der Kamera.

Ordentlich und adrett

»Im Radio musste ich alles über die Stimme machen, jetzt konnte ich plötzlich mit einer Augenbraue auch was ausdrücken«, sagt die 45-Jährige über ihre erste Moderation. Neu war ihr auch die Wichtigkeit der äußeren Erscheinung: Ordentlich und adrett gekleidet, das war während der Morgenschicht beim Radio nicht so relevant. Auf der Bühne, im Gespräch mit Bernadette Schoog, präsentiert sie, wie sehr sie diesen Gedanken verinnerlicht hat. Dezent und unauffällig, stets professionell, ohne Ecken und Kanten. »Für Männer und Frauen gibt es nach wie vor einen eklatanten Unterschied in der äußeren Bewertung«, weiß die Journalistin. Auch ihr passiere es, dass sie sich - im gemütlichen Wohnzimmer - zu Urteilen über die Moderatoren im Fernsehen hinreißen lässt. »Wichtig ist nur, was man daraus schließt.«

Wut in den sozialen Medien

Dass urteilende Worte schmerzen können - vor allem, wenn sie persönlich und unfair sind - weiß Atalay nur zu gut. »Ich bin beruflich auf Instagram und X - ehemals Twitter - unterwegs«, erklärt sie. Dort ist der Ton bekanntlich rau, Urheber von Hasskommentaren und Beleidigungen verstecken sich häufig hinter der Anonymität, die das Internet bietet. Aber nicht immer: »Ich bin mal im Zuge einer Dokumentation zu jemandem gefahren, der mir eine bitterböse Mail geschrieben hat. Der war völlig überrascht und hat sich tausendmal entschuldigt, denn plötzlich stand da ein Mensch vor ihm.« Ohne Spuren gehe so etwas nicht an einem vorüber. »Aber das gehört zum Beruf.«

Freizeit ist Terminfreiheit

Da ist es nur verständlich, all das im Privaten hinter sich zu lassen. »Wenn ich freihabe, lebe ich gerne in den Tag hinein«, sagt Atalay. So wie vergangenen Samstag - Handy weg, ab aufs Rad, danach noch einen Happen essen. Hauptsache, die Familie ist dabei. Und wenn es irgendwann auf die Rente zugeht, wäre ein Haus am Wasser doch schön. »Es muss nicht weit oder heiß sein. Wasser hat etwas Beruhigendes.« Offen ist noch, ob es dann wieder in ihre Heimatregion Ostwestfalen-Lippe geht - dorthin, wo auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der Musiker Caspar groß geworden sind.