Für ihre Tour durch Paris treffen sich die jungen Leute Freitagnacht nahe der Oper an einer Bushaltestelle. Dann geht es los, gemeinsam ziehen sie durchs Zentrum. Aber nicht angesagte Bars oder Clubs sind ihr Ziel, stattdessen hält die Truppe Ausschau nach hell erleuchteten Schaufenstern und Leuchtreklamen.
Ab 1.00 Uhr schreiten sie dann zur Tat: Sie springen mit ordentlich Anlauf oder klettern an einem Abflussrohr hoch, um die in Deckenhöhe montierten Notschalter zu erreichen und die Beleuchtung auszuschalten. Für die Sportler des Kollektivs »On The Spot Parkour« geht es darum, Stromverschwendung zu beenden und die Bevölkerung zum Energiesparen zu bewegen.
»Seit zwei Jahren machen wir die Licht-aus-Aktionen«, sagt Organisator Kevin Ha, der die Gruppe im nächtlichen Paris leitet, das als Stadt des Lichtes für sich wirbt. »Die Botschaft ist, jeder kann mit seinem Verhalten einen positiven Einfluss auf den Energieverbrauch haben.« Die DNA der eigentlich unpolitischen Gruppe bleibe aber der Sport.
»Light off« nur als Bonus
Die in Frankreich entstandene Sportart namens Parkour ist geprägt vom Springen über Bänke und Geländer und vom Erklimmen von Mauern. Ziel ist es, typische Hindernisse einer Stadt möglichst elegant und schnell zu überwinden.
»Wir trainieren regelmäßig zusammen, die «Light off»-Aktion ist ein Bonus«, meint einer der jungen Leute. Der Spaß des Sports werde mit einer für die Allgemeinheit nützlichen Aktion, dem Stopp der nächtlichen Stromverschwendung, verbunden. Dann reibt er seine Turnschuhe über den Asphalt, um sie aufzurauen und mehr Halt zu bekommen bei der nächsten Kletteraktion an einer glatten Wand. Mehrfach muss er Anlauf nehmen, dann gelangt er an den Schalter und es wird dunkel in der Auslage. Um die Freude über die gelungene Aktion zu demonstrieren, macht der Sportler noch schnell einen Salto rückwärts, mit vor Schmutz schwarzen Händen geht es weiter.
Licht-aus-Vorschrift gilt seit 2018
Streng genommen setzen die klettergeübten Männer und die an diesem Sommerabend einzige Frau nur eine Vorschrift aus dem Jahr 2018 um. Denn zwischen 1.00 Uhr nachts und 7.00 Uhr morgens müssten die Schaufensterbeleuchtung und Leuchtschilder ausgeschaltet sein, erklärt Kevin Ha. Ähnliches plant Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auch in Deutschland, um Energiesparziele zu erreichen. Wie die nächtliche Tour in Paris zeigt, halten etliche Geschäfte, Banken und Versicherungen sich hier aber nicht an diese Regel.
An einer längst geschlossenen Wechselstube etwa strahlt die blaue Reklame in die Nacht. Einer der Sportler springt in die Höhe und erreicht den eigentlich für die Feuerwehr in Notfällen gedachten Schalter im ersten Anlauf. Das war einfach, ähnlich schnell wird es dunkel im Schaufenster eines Brautmodengeschäfts. Unter der Anleitung ihrer Kameraden auf dem Bürgersteig hangelt sich die junge Frau dann an der Fassade eines Herrenausstatters hoch, bei dem noch Licht brennt. »Ich trainiere Klettern in der Halle und draußen Parkour«, erzählt sie. Alle paar Wochen sei sie auch bei der nächtlichen Runde durch Paris dabei.
Die Bedienung eines Cafés nebenan, die nach den letzten Gästen noch aufräumt, schaut skeptisch, was die Truppe da macht und sperrt schnell die Tür zu. »Die Polizei reagiert eher positiv«, sagt Organisator Ha. »Die kennen das Gesetz und wissen was wir machen.« Auf die betroffenen Ladeninhaber stießen sie nachts logischerweise nicht.
Paris reagiert positiv
Die Stadt Paris begrüße die Aktion der Klettersportler, sagte die für Umweltschutz zuständige Beigeordnete Anne Souyris der Zeitung »Libération«. »Es gibt drei Hebel, an denen wir ziehen müssen: Leuchtreklame, indem wir die bestehenden, ohnehin nicht sehr strengen Vorschriften besser umsetzen, Werbung und digitale Bildschirme, die wir nachts überhaupt nicht brauchen, und Straßenbeleuchtung, die wir aus Sicherheitsgründen beibehalten, aber besser organisieren müssen.«
Und auch abseits der Energieverschwendung seien die nachts beleuchteten Schaufenster schädlich, sagte der Pariser Beigeordnete für Biodiversität, Christophe Najdovski. Künstliches Licht sei nach Pestiziden die zweithäufigste Ursache für das Aussterben von Insekten, die Beleuchtung habe auch Auswirkungen auf Vögel, die in der Umgebung nisteten, und verzögere an den Bäumen das Fallen der Blätter, sagte er der Zeitung.
Die umweltbewussten Fassadenkletterer gibt es inzwischen nicht nur in der französischen Hauptstadt. Auch in Marseille, Rennes, Toulouse und Aix-en-Provence seien Gruppen unterwegs, sagt der Organisator in Paris. Dort riefen rufen zwar manche Anwohner, sie sollten abhauen, meint einer der Kletterer. »Andere sehen unser Argument ein.«
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