Gelbe Zettel mit Stichwörtern kleben unter einem Monitor, Notizen zu Recherchen stapeln sich, in Regalen stehen der Duden und andere Nachschlagewerke. Die vier Schreibtische sind jeweils mit zwei Monitoren bestückt.
Auf den ersten Blick sieht das wie ein normaler Redaktionsalltag aus - jedenfalls für ältere Semester. Doch vor den Fenstern sind Gitter und die schwere knallblaue Zellentür führt zu einem langen Flur und Metalltreppen, die gut als Kulisse für alte Gefängnisfilme taugen würde. Willkommen bei Deutschlands ältester Gefangenenzeitung »der lichtblick« in der Männerhaftanstalt Berlin-Tegel.
Chance, sich kreativ und kulturell weiter zu orientieren
Die Redaktion besteht aus den Strafgefangenen Adrian (42), H. Peter (62), Michael (52) und Steffen (34). Am 24. April haben sie ihren Dienst angetreten, berichten sie stolz. »Ich bin eher überredet worden«, schildert einer der Häftlinge. »Ich habe die Chance gesehen, mich kreativ und kulturell weiter zu orientieren«, sagt ein anderer. Die Häftlinge, die allenfalls in mehreren Jahren auf eine Entlassung hoffen dürfen, haben den Neustart der Zeitung nach einer rund achtmonatigen Zwangspause gestemmt.
Dazu beigetragen hat wesentlich das Engagement der Panter Stiftung der Tageszeitung »taz«. Diese organisierte mit interessierten Insassen einen Workshop. Angeleitet von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Tageszeitung übten die Teilnehmer mehrere Monate lang verschiedene journalistische Formate. »Mehr als 20 Interessenten haben sich anfangs beteiligt, vier Leute sind übrig geblieben«, berichtet Stiftungsvorständin Konny Gellenbeck. Sie haben auch die Sicherheitsüberlegungen der Anstalt überstanden.
Natürlich habe dieser Aspekt auch für die Stiftung eine Rolle gespielt, als man das Projekt angegangen sei, sagt Gellenbeck. Zu den Teilnehmern gehörten Männer, die in Sicherungsverwahrung sitzen. Eine Maßnahme, die bei besonders schweren Straftaten im Anschluss an eine Freiheitsstrafe verhängt werden kann. Andere wurden zu einer lebenslangen Haft wegen Mordes verurteilt. Kurzum: Es geht um Menschen, die nicht unbedingt Sympathieträger sind. »Aber auch Gefangene haben ein Recht auf Information«, betont Gellenbeck.
Zeitung erstmals 1968 erschienen
Mit rund 10.000 Euro habe die Stiftung den Neustart der Zeitung unterstützt, die erstmals 1968 erschien. »Alles Spendengelder«, so Gellenbeck. Bei Leserinnen und Lesern der »taz« sei das Engagement sehr gut angekommen.
Nötig wurde es, weil Ermittlungen zu einem Überfall auf einen Geldtransporter im Juni 2022 auch in die Redaktion der Gefangenenzeitung führten: Ein früherer Redakteur soll seine Privilegien ausgenutzt und aus der Haft heraus eine Autovermietung betrieben haben. Eines dieser Fahrzeuge soll bei dem Überfall genutzt worden sein. Bei der Razzia in der Vollzugsanstalt wurden die Computer der Zeitung beschlagnahmt.
Was sind die Quellen?
Inzwischen gibt es wieder einen eingeschränkten Zugang zum Internet und die Redaktion verfügt über einen neuen Online-Auftritt. Die Haftanstalt übernehme unter anderem die Kosten für den Druck, den Versand und die Ausstattung mit Computern sowie Telefon- und Faxanschluss, heißt es von der Senatsjustizverwaltung. Ziel sei, dass »der lichtblick« wieder quartalsweise erscheine.
Dafür arbeiten seine Redakteure täglich außer sonntags ab 7.00 Uhr. »Je nachdem was anfällt, geht es abends bis 21.00 Uhr«, schildert Adrian, der als verantwortlicher Redakteur im Impressum steht. Ein »Freiläuferausweis« ermöglicht dem Team, in dem großen Gefängniskomplex zu recherchieren und Tipps zu überprüfen.
»Unsere Quellen sind – potenziell – alle Inhaftierten, Rechtsanwälte und sonstige Unterstützer«, nennt H. Peter Ansatzpunkte für Themen. Die Redaktion versteht sich als »Sprachrohr« - natürlich insbesondere für die Insassen in Tegel und generell für Gefangene. Aber da die Zeitung mit einer Auflage von 7500 Exemplaren bundesweit an Haftanstalten versendet wird und Abonnenten weltweit zu finden sind, etwa in Australien, kommen Anregungen aus vielen Richtungen.
Was sind die Themen?
In der aktuellen Ausgabe geht es etwa um ein neues Mediensystem in Hafträumen, mit dem zumindest in Berlin das Digitale Einzug halten soll. Oder um Auswirkungen der Inflation, Altersarmut und geschlechtliche Identität. Über die Themen des nächsten Heftes verraten die Redakteure nur: Die JVA Tegel wird im Oktober 125 Jahre alt, Stoff bietet auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Mini-Löhnen für Gefangene. Und nach dem Regierungswechsel in Berlin hoffen sie auf einen Besuch von Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos). »Wir haben sie eingeladen«, berichten sie.
Gut 60 Seiten hat eine Ausgabe normalerweise, das erste Blatt nach dem Neustart kommt auf 30. Etwa 60 Gefangenenzeitungen gibt es bundesweit, diese tragen jedoch nach Einschätzung des Vereins Strafvollzugsarchiv »vielfach Züge einer Anstaltszeitung«. Anders »der lichtblick«: »Wir sind als einzige Gefangenenzeitung unzensiert«, betont die Redaktion. Ihr Motto: »Informieren, allen auf die Finger schauen und, wenn nötig, gehörig draufklopfen.«
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