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Mordprozess von Illerkirchberg: Lebenslange Haft

Zwei Freundinnen sind auf dem Schulweg, als sie angegriffen werden, ein Mädchen überlebt das nicht. Laut Gericht wollte sich der Angeklagte am Landratsamt rächen. Nun wurde das Urteil gefällt.

Illerkirchberg
Am Rand einer Brachfläche hängen von Kindern gestaltete Plakate an Bauzäunen. An dieser Stelle stand das Haus, vor dem der Messerangriff auf zwei Schülerinnen stattfand. Foto: Stefan Puchner/DPA
Am Rand einer Brachfläche hängen von Kindern gestaltete Plakate an Bauzäunen. An dieser Stelle stand das Haus, vor dem der Messerangriff auf zwei Schülerinnen stattfand.
Foto: Stefan Puchner/DPA

Der Angeklagte im Mordprozess von Illerkirchberg richtet den Blick nach unten, als das Urteil vor dem Ulmer Landgericht ergeht: lebenslange Haft wegen Mordes und versuchten Mordes mit gefährlicher Körperverletzung. Zudem stellte die Kammer am Dienstag die besondere Schwere der Schuld fest. Damit ist in der Regel eine vorzeitige Entlassung aus dem Gefängnis nach 15 Jahren nahezu ausgeschlossen.

14 Jahre und zehn Monate war eine Schülerin alt, als der Angeklagte sie und ihre 13 Jahre alte Freundin nach Überzeugung des Gerichts im Dezember mit einem Messer angriff. Die Jugendliche erlag im Krankenhaus ihren Verletzungen, ihre 13-jährige Freundin konnte verletzt fliehen.

Angeklagter erfüllte zwei Mordmerkmale

Während der Richter sprach, blickte der Angeklagte vor sich auf den Tisch, wie auch schon bei den vorangegangenen Verhandlungstagen. Die Kammer begründete die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld etwa damit, dass der Mann gleich zwei Opfer angriff und auch zwei Mordmerkmale erfüllte: das der Heimtücke und das der Ermöglichung einer weiteren Straftat. Der Richter sprach von einer besonders verwerflichen Art und Weise des Vorgehens.

Der Mann war 2015 als Asylbewerber aus Eritrea nach Deutschland gekommen. Ob er im Verlauf seiner Haftstrafe in sein Heimatland abgeschoben wird, ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft offen.

Die Anklage war davon ausgegangen, dass der 27-Jährige am Tattag den Pass beim Landratsamt des Alb-Donau-Kreises erzwingen wollte. Das Gericht ging dagegen davon aus, dass er den für ihn zuständigen Mitarbeiter erstechen wollte. Er habe Rache nehmen wollen.

Richter: »Aus all dem spricht Rache«

Nach Ansicht des Gerichts wünschte sich der Mann eine Partnerin und ging davon aus, in Äthiopien oder im Sudan eine Frau zu finden. Für die Ausreise habe er einen Reisepass benötigt, den er nicht bekommen habe. Er sei deswegen davon ausgegangen, dass das Landratsamt sein Leben verpfuscht habe. Auf dieses Problem soll er sich fixiert haben. Davon, dass er mit dem Messer einen Pass habe erlangen wollen, sei auch gegenüber dem psychiatrischen Sachverständigen nie die Rede gewesen. »Aus all dem spricht Rache«, sagte der Richter.

Für Rache spreche auch ein Fund im Zimmer des Angeklagten. Auf einen Block habe er dort etwa »No wife - no life« (keine Frau - kein Leben) geschrieben, sowie »Strafe Strafe« in Großbuchstaben. Die Kammer ging davon aus, dass er diese Notizen vor der Tat gemacht habe, und aus seiner Sicht andere eine Strafe verdient hätten.

Als der Angeklagte sein Haus, eine Asylunterkunft, mit einem Messer verließ, kamen die beiden Mädchen nach Ansicht des Gerichts gerade daran vorbei. Der 27-Jährige habe angenommen, dass sie das Messer gesehen hätten, und befürchtet, seine Rache nicht ausüben zu können. Deswegen soll er beschlossen haben, die beiden zu töten. Er soll die Mädchen getäuscht und zuerst freundlich gegrüßt haben. Dann habe er die 13-Jährige hinter dem Rücken der 14-Jährigen angegriffen.

Angeklagter stach mindestens 19 Mal auf Mädchen ein

Die 13-Jährige konnte fliehen. Wäre sie bei ihrer Freundin geblieben, hätte der Angeklagte sie nach Überzeugung des Gerichts ebenfalls getötet. Auf die 14-Jährige stach der Mann demnach mindestens 19 Mal ein. »Jetzt ließ er ihr gegenüber die Wut heraus, die er gegenüber dem Landratsamt empfand«, sagte der Richter.

Es war ein emotionaler Prozess, mehrfach waren im Gerichtssaal Tränen geflossen. Die Familien der beiden Mädchen hatten sich dem Verfahren als Nebenkläger angeschlossen.

Bei der Urteilsverkündung sagte nun auch der Vorsitzende Richter: »Es gibt immer wieder Straftaten, die besonders berühren.« Und er wandte sich an die Familien der Opfer. Die bewusste Entscheidung der Familien, sich trotz ihres Schmerzes konsequent Hetze entgegenzustellen, verdiene Hochachtung. Die Eltern der beiden Mädchen hatten etwa in Briefen dazu aufgerufen, die Tat nicht für Hetze gegen Menschengruppen zu instrumentalisieren.

Die Asylunterkunft am Tatort wurde inzwischen abgerissen. Heute wächst dort ein Baum auf einer Wiese. Ein von Kindern gestalteter Bauzaun gibt die Sicht auf das Grundstück frei. Der Vater der Getöteten hatte sich dafür ausgesprochen, die Unterkunft abzureißen und einen Spielplatz oder eine Spielwiese an diesen Ort zu setzen. Der Bürgermeister der Gemeinde, Markus Häußler (parteilos), hatte vor Prozessbeginn erklärt: »Perspektivisch soll dort etwas Schönes entstehen.«

© dpa-infocom, dpa:230703-99-274622/20