Brumadinho (dpa) - Die Schlammlawine riss alles mit, was ihr im Wege stand: Häuser, Menschen, Tiere. »Ich habe alles verloren. Wir sind gerannt, meine Frau und mein Enkel, nur mit unserer Kleidung am Körper«, sagte Virgilio Fernandes Pessoa am Wochenende der Zeitung »Estado de Minas«.
Er lebte von seinen Tieren, die der Schlamm mitgerissen hat. »Ich habe 40 Jahre lang gelitten und gekämpft und jetzt in fünf Minuten alles verloren. Das ist nicht fair.«
Nach dem Dammbruch an der Eisenerzmine Córrego do Feijão im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais ist die Zahl der bestätigten Todesopfer am Sonntag auf 37 gestiegen. Rund 250 Menschen wurden nach dem Unglück noch immer vermisst, wie die Feuerwehr mitteilte. Die Zahl der Todesopfer dürfte deshalb weiter steigen.
Rund 200 Feuerwehrleute und 13 Hubschrauber waren an den Such- und Bergungsarbeiten beteiligt. Israel schickte am Sonntag 130 Soldaten und 16 Tonnen Material an die Unglücksstelle, um bei den Such- und Bergungsarbeiten zu helfen. »Leben zu retten ist keine Frage der Entfernung, sondern wie weit zu gehen du bereit bist«, schrieben die Streitkräfte vor dem Abflug Richtung Brasilien auf Twitter.
Der Damm an der Mine des brasilianischen Bergbaukonzerns Vale war am Freitag gebrochen. Am frühen Sonntagmorgen heulten erneut die Sirenen - Menschen liefen in Schlafanzügen auf die Straße. In einem anderen Rückhaltebecken der Mine waren erhöhte Wasserstände gemessen worden, teilte Vale mit. Aus Angst vor einem weiteren Dammbruch evakuierte die Feuerwehr mehrere Ortschaften in der Region. Rund 24.000 Menschen würden in Sicherheit gebracht, teilte die Feuerwehr am Sonntag mit.
Im Fernsehen waren dramatische Szenen von den Rettungsarbeiten zu sehen: Von Hubschraubern aus zogen Retter Menschen aus dem Schlamm. Ein Mann hievte seine vor Schmerzen schreiende Frau aus den Trümmern. Eine schlammverschmierte Kuh stakste zwischen Schutt, mitgerissenen Ästen und nasser Erde umher.
Die tödliche Mischung aus Wasser, Geröll und Erde hat eine breite Schneise der Zerstörung in das satte Grün von Brumadinho geschlagen. Wie es genau zu dem Unfall kam, sei noch unklar, sagte Vale-Präsident Fábio Schvartsman. Er sprach von einer »fürchterlichen Tragödie«. Das Umweltministerium kündigte eine Strafe in Höhe von 250 Millionen Reais (58 Mio Euro) gegen den Konzern an. Insgesamt ergossen sich nach Angaben von Vale rund zwölf Millionen Kubikmeter Schlamm über die Anlage und die nahe liegenden Siedlungen.
Die Staatsanwaltschaft leitete eine Untersuchung ein, um die Verantwortlichen für das Unglück zu ermitteln. »Wir tun alles, um die Sicherheit und Stabilität der Dämme sicherzustellen«, sagte Vale-Chef Schvartsman in einer Erklärung. Der TÜV Süd hatte die Dämme im vergangenen Jahr geprüft, wie das Unternehmen auf Anfrage bestätigte. »Wir werden die Ermittlungen vollumfänglich unterstützen und den Ermittlungsbehörden alle benötigen Unterlagen zur Verfügung stellen«, teilte TÜV Süd mit.
»Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, um den Opfern zu helfen, die Schäden gering zu halten, die Fakten zu ermitteln, für Gerechtigkeit zu sorgen und diese Tragödien für die Brasilianer und die Umwelt künftig zu verhindern«, schrieb Staatschef Jair Bolsonaro auf Twitter. Der rechtspopulistische Präsident steht freilich in dem Ruf, den Unternehmen weitgehend freie Hand zu lassen und von strengen Umweltschutzbestimmungen wenig zu halten.
Naturschutzverbände forderten eine strengere Kontrolle. »Brasilien muss die Regierungsbehörden stärken, die die wichtige Aufgabe haben, die wirtschaftlichen Aktivitäten mit hohem Risiko für Umwelt und Gesellschaft zu überwachen«, sagte der Direktor der Naturschutzorganisation WWF in Brasilien, Mauricio Voivodic.
Im Jahr 2015 gab es in Minas Gerais bereits ein ähnliches Unglück. Bei der »Tragödie von Mariana« kam es in einem Eisenerzbergwerk zu einem Dammbruch an einem Rückhaltebecken. Seinerzeit kamen 19 Menschen ums Leben. Das damalige Betreiberunternehmen Samarco gehörte ebenfalls Vale sowie dem australisch-britischen Konzern BHP. Eine riesige Welle mit Schlamm und schädlichen Stoffen ergoss sich in angrenzende Ortschaften und kontaminierte den Fluss Rio Doce auf rund 650 Kilometern Länge, bis in den Atlantik floss die braunrote Brühe.
»Diese neue Katastrophe ist die traurige Konsequenz davon, dass die brasilianische Regierung und die Bergbauunternehmen nichts dazugelernt haben«, sagte Nilo D’Ávila von der Umweltorganisation Greenpeace. »Das ist kein Unfall, sondern ein Umweltverbrechen, das bestraft werden muss.«