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Messerattacke in Zug: Kritik an Senatorin wird lauter

Nach der tödlichen Messerattacke in einem Regionalzug überwog bislang die Trauerarbeit. Nun gibt es Forderungen nach mehr Sicherheit in Zügen. Zudem gerät die Hamburger Justizsenatorin in die Kritik.

Messerattacke in Zug
Sicherheitsleute der Deutschen Bahn auf dem Bahnsteig im Bahnhof von Brokstedt. Foto: Marcus Brandt
Sicherheitsleute der Deutschen Bahn auf dem Bahnsteig im Bahnhof von Brokstedt.
Foto: Marcus Brandt

Der Umgang der Behörden mit dem mutmaßlichen Täter rückt Tage nach der tödlichen Messerattacke in einem Regionalzug im schleswig-holsteinischen Brokstedt verstärkt in den Blickpunkt. So wirft der Resozialisierungsexperte Bernd Maelicke der Hamburger Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) im »Hamburger Abendblatt« vor, das 2019 beschlossene Hamburger Gesetz zu Resozialisierung und Opferschutz (ResOG) ignoriert zu haben.

Das Gesetz soll verhindern, dass Ex-Häftlinge in ein »Entlassungsloch fallen«, wenn sich die Gefängnistore öffnen. Gallina kenne es offensichtlich nicht, jedenfalls könne es nicht angewendet worden sein, sagte der Jurist Maelicke, der Initiator mehrerer Landes-Resozialisierungsgesetze ist, der Zeitung. »Sie trägt als Senatorin die Verantwortung«.

Das war passiert

Bei der Tat in der Regionalbahn von Kiel nach Hamburg starben zwei Menschen, fünf wurden schwer verletzt. Gegen Ibrahim A. wurde Haftbefehl wegen zweifachen Mordes und versuchten Totschlags in vier Fällen erlassen. Erst wenige Tage vor der Bluttat im Regionalzug war A., ein 33 Jahre alter staatenloser Palästinenser, in Hamburg aus der Untersuchungshaft freigekommen.

Auch für den Hamburger CDU-Fraktionschef Dennis Thering zeigt der Fall aufs Neue, dass die Hamburger Justiz völlig überfordert und Gallina der Aufgabe nicht gewachsen sei. »Sie taucht einmal mehr ab, statt Antworten zu geben und Probleme zu lösen«, kritisiert Thering im »Hamburger Abendblatt«. Erste Antworten erwartet er am Donnerstag im Justizausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft. Die Senatorin hatte angekündigt, dort zu den Hamburger Aspekten der Tat zu berichten.

In Düsseldorf soll der Rechtsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags ebenfalls kommende Woche zu einer Sondersitzung zusammenkommen. A. war in der Vergangenheit sowohl in NRW als auch in Hamburg mit Gewaltdelikten aufgefallen.

Täter zu früh aus der U-Haft entlassen?

Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV), Thomas Oberhäuser, verneinte am Samstag im Deutschlandfunk die Frage, ob Justiz und Verwaltung die Tat hätten verhindern können. Er verwies auf rechtliche Abwägungen und Vorgaben in Untersuchungshaft-Fällen. Justiz und Verwaltung hätten allenfalls die Tat dadurch verhindern können, dass sie ihn weiterhin in Untersuchungshaft gehalten hätten, so Oberhäuser. »Aber da hat die Justiz entschieden, dass das unverhältnismäßig gewesen wäre angesichts der ihm vorgeworfenen Tat.«

Nach Angaben Maelickes schreibt Paragraf 9 des Hamburger ResOG einen verbindlichen Eingliederungsplan vor mit Regelungen zur sozialen Situation, zum Aufenthaltsort, zu Suchtverhalten und zur Sicherung des Lebensunterhalts. »Auch die im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen zur Prävention sind in diesem Einzelfall nicht erkennbar«, kritisierte er im »Hamburger Abendblatt«.

Motiv ist weiter unklar

Das Motiv des Tatverdächtigen ist unterdessen weiter unklar. Ibrahim A. hat nach Angaben seines Anwalts beim Haftrichter-Termin keine Aussagen zur Sache gemacht. Nach Vorliegen von Ermittlungsergebnissen werde er mit seinem Mandanten sprechen, sagte Anwalt Björn Seelbach der Deutsche Presse-Agentur am Samstag auf Anfrage.

Der Fahrgastverband »Pro Bahn« und die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer GDL sprechen sich laut einem Bericht der »Lübecker Nachrichten« (Sonntag/Montag) unterdessen für mehr Sicherheitsmaßnahmen in den Zügen aus. »Wir fordern einen flächendeckenden Ausbau der Videoüberwachung in allen Waggons«, sagt Karl-Peter Naumann von »Pro Bahn«. Das könne Kriminalität in den Zügen womöglich nicht immer verhindern. »Es hilft aber in jedem Fall, die Täter zu fassen. Und das ist insbesondere für die Opfer von hoher Bedeutung.«

Die GDL trifft dem »LN«-Bericht zufolge in Kürze mit der landeseigenen Verkehrsgesellschaft Nah.SH, um über die Konsequenzen aus dem Angriff zu beraten. »Wir fordern schon seit Langem mehr Sicherheitsmaßnahmen in den Zügen«, sagte der GDL-Bezirksvorsitzende Hartmut Petersen der Zeitung zufolge.

Laut Dennis Fiedel von Nah.SH verfügen alle neueren Regionalzüge, die seit 2015 im Einsatz sind, über Videotechnik, wie die »Kieler Nachrichten« am Samstag schreiben. Doch der RE 70, in dem sich die Messerattacke abspielte, war ein Ersatzzug ohne Videoaufzeichnung.

© dpa-infocom, dpa:230128-99-391635/4