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Marode und überfüllt: Debatte über Englands Gefängnisse

Die Flucht eines Terrorverdächtigen aus einem Londoner Gefängnis lenkt das Augenmerk auf die miserablen Bedingungen in His Majesty's Prisons. Die hat auch ein prominenter deutscher Häftling erlebt.

Gefängnis in London
Die Haftanstalt Wandsworth, aus der ein britischer Soldat, der auf seinen Prozess wegen Terrorverdachts wartet, ausgebrochen ist. Foto: Yui Mok/DPA
Die Haftanstalt Wandsworth, aus der ein britischer Soldat, der auf seinen Prozess wegen Terrorverdachts wartet, ausgebrochen ist.
Foto: Yui Mok/DPA

In seiner Kochuniform schlich sich der 21-Jährige aus der Küche, band sich mit Streifen aus seiner Bettwäsche unter einem Lieferwagen fest - und entkam aus einem der bekanntesten Gefängnisse des Landes.

Die filmreife Flucht eines Terrorverdächtigen aus der Londoner Haftanstalt Wandsworth schickte vergangene Woche Schockwellen durch Großbritannien. Tagelang suchten Beamte nach dem Ex-Soldaten, der unter anderem Bombenattrappen auf einer Militärbasis platziert haben soll. Schließlich schnappte ihn ein Zivilpolizist.

Schlechte Haftbedingungen

Doch obwohl der Mann geschnappt wurde, ist die Aufregung groß. Während auf den Verdächtigen nun ein Prozess wegen Ausbruchs zukommt - ein Straftatbestand, den es in Deutschland so nicht gibt -, wird im Land über die miserablen Haftbedingungen diskutiert.

Überfüllung, Rattenplagen, Bandengewalt, Personalmangel: His Majesty's Prisons gelten als völlig marode. Ein Teil der Gebäude stammt noch aus dem 19. Jahrhundert und wurde nie recht modernisiert.

Erschreckende Schilderungen von Boris Becker

Auch der deutsche Ex-Tennisstar Boris Becker beschrieb nach seiner Haftentlassung schwierige hygienische Bedingungen und Konflikte unter den Gefangenen. »Es war sehr brutal, eine sehr, sehr andere Erfahrung als das, was man im Fernsehen sieht und in Geschichten hört«, sagte Becker im April der BBC.

Er habe schnell gelernt, dass er Schutz brauche und sich mit »harten Jungs« umgeben müsse. »Man kämpft jeden Tag ums Überleben.« In Wandsworth habe ein Häftling ihn erpressen wollen - Mitgefangene hätten ihn beschützt. Am Sonntag wurde ein Häftling von einem anderen niedergestochen und schwer verletzt.

Folgefragen und Probleme nach Ausbruch

Nach der Flucht aus Wandsworth wurden 40 Häftlinge in andere Gefängnisse verlegt. Vorsichtshalber, wie Justizminister Alex Chalk betonte. Doch Fragen bleiben.

Warum wurde ein Terrorverdächtiger nicht in einem Hochsicherheitsgefängnis untergebracht, sondern in einer Haftanstalt, die als Durchgangsstation gilt für diejenigen, die kurz vor ihrem Prozess stehen oder die eben erst verurteilt worden sind? Oder: Wieso durfte ein Terrorverdächtiger in der Küche arbeiten? Dies soll nun untersucht werden.

Aber grundlegende Probleme bleiben. Erst Ende Juli hatte Wandsworth in einer Überprüfung die niedrigste mögliche Bewertung erhalten, die Behörden zeigten sich tief besorgt. Bei Inspektionen wurde wiederholt festgestellt, dass bis zu 80 Prozent mehr Insassen dort untergebracht waren als vorgesehen - es sei »nach wie vor eines der am stärksten überfüllten Gefängnisse des Landes, und die meisten Gefangenen teilen sich eine Einzelzelle«, stellte die zuständige Aufsicht fest.

Kritik von Menschenrechtsorganisationen

Die lokale Parlamentsabgeordnete Rosena Allin-Khan kritisierte, in einer Nacht seien lediglich sieben Justizbeamte für 1500 Gefangene zuständig gewesen. Ein anderes Mal habe es sechs Tage lang kein fließendes Wasser gegeben.

Die Zustände in englischen Gefängnissen werden seit langem von Menschenrechtsorganisationen und auch der staatlichen Aufsichtsbehörde angeprangert. Laut der Website »World Prison Brief« sind die 118 Haftanstalten in England und Wales mit mehr als 87.000 Gefangenen zu 111 Prozent ihrer offiziellen Kapazität belegt. Zum Vergleich: In Deutschland beträgt die Belegungsrate etwa 78 Prozent.

© dpa-infocom, dpa:230912-99-161813/4