Gut 142.800 Ehen sind im vergangenen Jahr in Deutschland geschieden worden. Das waren knapp 1100 Scheidungen weniger als im Jahr davor (minus 0,7 Prozent), wie am Donnerstag das Statistische Bundesamt mitteilte.
Im Durchschnitt blickten Paare auf 14,5 Jahre Ehedauer zurück. Die Zahl der Scheidungen sank seit 2012 jährlich - mit Ausnahme eines leichten Anstiegs im Jahr 2019.
Unter den Geschiedenen waren etwa 1000 gleichgeschlechtliche Paare (2020 etwa 900). Die »Ehe für alle« gibt es in Deutschland seit Oktober 2017. Gleichgeschlechtliche Paare, die in der zuvor schon möglichen Eingetragenen Lebenspartnerschaft leben, beenden diese nicht durch Scheidung, sondern durch Aufhebung. Aufhebungen gab es 2021 ebenfalls etwa 1000 (etwa 9 Prozent weniger als im Jahr davor).
Trennungsjahr
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Zahl der Scheidungen gibt es nach Expertenmeinung noch keine. Für die Berliner Rechtsanwältin Alicia von Rosenberg ist es wenig überraschend, dass sich die Pandemie und womöglich Ehekrisen im Lockdown in der Statistik 2021 nicht abbildeten. »Man braucht das Trennungsjahr, um überhaupt ein Scheidungsverfahren einleiten zu können«, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. Selbst in einem Fall einvernehmlicher Scheidung dauere es einige Wochen, bis der Fall vor Gericht komme. Hinzu kommen im Normalfall noch einmal sechs bis acht Wochen, bis eine Scheidung durch die Zustellung der Dokumente rechtskräftig werde.
Doch was heißt derzeit schon normal? »Momentan verzögert sich alles«, sagt von Rosenberg. Coronafälle bei den Geschäftsstellen der Justiz, bei den Gerichten, bei den Rentenversicherungen - Krankheitsausfälle und Wartezeiten könnten ein Verfahren zum Marathon werden lassen. Zudem ist es eben auch bei grundsätzlicher Einigkeit über die Scheidung selbst nicht immer so einfach, vor allem, wenn es nicht nur um ein Paar geht, sondern auch um Kinder. Unterhalt, Umgangsrecht, die Aufteilung von Vermögen und gemeinsamen Anschaffungen. Auch ohne die Folgen einer Pandemie dauert es, all diese Fragen zu klären.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts hatte etwas mehr als die Hälfte der 2021 geschiedenen Ehepaare minderjährige Kinder. Insgesamt waren im vergangenen Jahr etwa 121 800 Kinder und Jugendliche von der Scheidung ihrer Eltern betroffen.
Die Aschaffenburger Psychotherapeutin Silvia Nürnberger sagt über 2021: »Im Lockdown mussten viele Paare, die sonst wenig Zeit miteinander verbracht haben, regelrecht zusammenkleben. Es gab auch keinen Ausweg.« Manche Paare habe diese Erfahrung zusammengeschweißt, bei anderen seien Risse, die vielleicht schon vorher existierten, zutage getreten. »Ich glaube, die Corona-Auswirkungen kommen erst noch in die Statistik.«
Gesellschaftlicher Wandel
Die Pandemie habe manche Probleme womöglich verschärft, doch ein Beziehungs-Aus hänge auch mit gesellschaftlichem Wandel zusammen. »Die heutige Gesellschaft hat generell ein Problem, mit Konflikten umzugehen«, meint die Therapeutin. »Man glaubt, wenn ein Konflikt da ist, kann man das nicht anders lösen als durch eine Trennung.«
Hinzu komme, dass Trennung und Scheidung nicht mehr mit einer Stigmatisierung verbunden seien - wie noch vor wenigen Jahrzehnten und vor allem bei Frauen. Dies zeige auch der wachsende Anteil von Langzeitehen, die vor dem Scheidungsrichter enden.
Etwa 22.900 oder 16,1 Prozent aller geschiedenen Paare des Jahres 2021 waren bereits mindestens im 25. Jahr verheiratet. Zum Vergleich: Vor 25 Jahren (1996) wurde mit 18.000 nur gut ein Zehntel der geschiedenen Paare im Jahr der Silberhochzeit oder danach geschieden.
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