Wird ein Tintenfässchen das Ende der jahrhundertealten britischen Monarchie einleiten? Wenn es auch nicht ganz so schlimm kommen sollte, hat sich der neue britische König Charles III. jedenfalls keinen Gefallen getan, als er mit grimmigem Blick und fuchtelnden Händen seine Untergebenen zum Wegräumen eines solchen Behälters aufforderte. Auf Twitter kursierte ein Clip von der Szene aus der Proklamationszeremonie am Samstag, den viele Nutzer kritisch kommentierten. Viele fühlten sich darin bestätigt, dass der Monarchie nach dem Tod von Elizabeth II. keine Zukunft beschert sei.
In britischen Medien suchte man Berichte über den Vorfall zunächst vergeblich. Die getragene Liveberichterstattung über trauernde Untertanen, die Nachfolgeregelung und das minuziös geplante Trauerritual lassen kaum Platz für kritische Stimmen oder auch nur Unterhaltungsprogramm. Nach dem Tod Prinz Philips, der im vergangenen Jahr im Alter von 99 Jahren starb, führte das zu einer Rekordzahl an Unmutsäußerungen. Die BBC musste sogar eigens ein Beschwerdeformular auf ihrer Webseite einrichten für Menschen, denen der royale Rummel zu weit ging. Soweit scheint es dieses Mal noch nicht zu sein.
Debatte über Zukunft der Monarchie gefordert
Doch es gibt durchaus Briten und Untertanen in den ehemaligen Kolonien, die weder mit dem Trubel um den Tod der Queen noch mit der Monarchie insgesamt etwas anfangen können. So forderte die Interessengruppe Republic, die sich für ein gewähltes Staatsoberhaupt einsetzt, bereits zwei Tage nach dem Tod der Queen eine »nationale Debatte« über die Zukunft der Monarchie. »Die Ausrufung eines neuen Königs ist ein Affront gegen die Demokratie«, sagte Republic-Sprecher Graham Smith einer Mitteilung zufolge. Laut Republic sprechen sich inzwischen mehr als ein Viertel der Briten für die Abschaffung der Monarchie aus.
Einer von ihnen ist Marc Tuft, ein 64 Jahre alter Sportlehrer aus dem Londoner Arbeiterviertel Abbey Wood. »Ich respektiere das Lebenswerk der Queen und erkenne an, dass sie sehr populär ist und verehrt wird«, sagt er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Er persönlich fühle sich von ihrem Tod aber nicht berührt. »Das ist wie eine Seifenoper«, findet er. Zwar seien die Gefühle der Menschen teilweise echt, doch vieles, was man im Fernsehen zu sehen bekomme, hält er für eine PR-Kampagne. Leute, die gerne über die Abschaffung der Monarchie sprechen wollten, kämen hingegen derzeit nicht zu Wort, so Tuft. Das werde als Respektlosigkeit ausgelegt. Er denkt aber, dass schon bald kritische Stimmen aufkommen werden.
Ähnlich sieht das John Coulter, der in der Postproduktion von Fernsehen und Film arbeitet und im selben Viertel lebt. Für den 46-Jährigen verkörpern die Royals eine Klassengesellschaft, in der sozialer Aufstieg nur schwer möglich ist. Von ihm aus können die Royals ihre Titel und Schlösser weitgehend behalten, aber er wünscht sich, dass das Land von einem gewählten Repräsentanten vertreten wird. »Wir würden sonst niemals einen Muslim oder eine jüdische Person als Staatsoberhaupt bekommen«, sagt er. Jeder sollte die Möglichkeit haben, das Amt des Staatschefs zu erreichen, so Coulter.
Eine Sicht, die auch Großbritanniens neue Premierministerin Liz Truss einst vertreten hat. In ihrer Zeit als Mitglied der liberaldemokratischen Partei Mitte der 1990er-Jahre sagte sie einmal in eine Fernsehkamera, es sei »schändlich«, dass Menschen zum Herrschen geboren würden. Das sieht sie inzwischen freilich anders.
Kritik an der Monarchie in ehemaligen Kolonien
Weit mehr als eine Minderheitsmeinung ist die Kritik an der Monarchie in den ehemaligen Kolonien in der Karibik. So kündigte der Regierungschef von Antigua und Barbuda unmittelbar nach dem Tod der Queen ein Referendum über die Loslösung vom britischen Königshaus innerhalb von drei Jahren an.
In Barbados, das sich erst im vergangenen November vom britischen Königshaus losgesagt und zur Republik erklärt hatte, und in Jamaika, wo Premierminister Andrew Holness im März einen Abschied von der Krone angedeutet hatte, kondolierten die Regierungschefs und drückten Bewunderung für Elizabeth II. aus. Es wurden aber auch karibische Stimmen laut, die dies angesichts der Geschichte britischer Kolonialherrschaft ablehnten.
Laut einem Bericht der Zeitung »Jamaica Star« wollten sich die Vertreter der Rastafari-Religion auf Jamaika - deren wohl bekanntester Anhänger Bob Marley war - nicht an der dort ausgerufenen Staatstrauer beteiligen. Das richte sich nicht gegen die Queen persönlich, sondern gegen das koloniale System, das sie angeführt habe, sagte demnach Priester Trevor Stewart.
Manche gingen einen Schritt weiter. Der Schriftsteller Ruel Johnson aus dem südamerikanischen Guyana zitierte etwa auf Facebook ein Gedicht des Poeten Martin Carter, der wegen Protests gegen die britische Herrschaft über das kleine Land 1954 inhaftiert worden war - zu dem Zeitpunkt war Elizabeth II. Königin und das heutige Guyana britische Kolonie. Dazu schrieb Johnson: »Kennt die Geschichte. Man hat euch ein sorgfältig kuratiertes Bild von Tassen Tee, Crumpets und Corgis vermittelt, obwohl das, was existiert, auf Blut und Ungerechtigkeit aufgebaut wurde.«
»Mögen ihre Schmerzen unerträglich sein«
Für Aufregung sorgte die aus Nigeria stammende Professorin Uju Anya von der Carnegie Mellon University in den USA. Als Elizabeth II. im Sterben lag, twitterte Anya: »Mögen ihre Schmerzen unerträglich sein.« Kritik daran kam unter anderem von Amazon-Gründer Jeff Bezos, Twitter entfernte die Nachricht, ihre Universität distanzierte sich in einer Mitteilung von Anya.
Diese schrieb zur Erklärung mit Hinweis auf den nigerianischen Bürgerkrieg: »Wenn jemand von mir erwartet, dass ich irgendwas anderes als Verachtung für die Monarchin zum Ausdruck bringe, die über eine Regierung Aufsicht führte, die den Völkermord unterstützte, der die Hälfte meiner Familie massakrierte und vertrieb und dessen Folgen die heute Lebenden immer noch zu überwinden versuchen, könnt ihr weiter fromm wünschen.«
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