Logo
Aktuell Panorama

Joggen bei minus 20 Grad - Klimaforscher in der Antarktis

Klimaforscher bohren in der Antarktis nach hunderttausende Jahre altem Eis. Sie suchen Hinweise auf das damalige Klima. Ihr Einsatz dauert jeweils Monate. Der Ingenieur Matthias Jaggi berichtet, was ihn dort fasziniert - und was ihm fehlt.

Klimaforscher in der Antarktis
Matthias Jaggi baut die Metamorphosebox mit dem Schneeblock fertig. Foto: Matthias Jaggi/DPA
Matthias Jaggi baut die Metamorphosebox mit dem Schneeblock fertig.
Foto: Matthias Jaggi/DPA

In der Sommerwärme von »nur« minus 20 Grad in der Antarktis joggt Matthias Jaggi (40) in kurzer Hose und Turnschuhen gerne mal 500 Meter. »Man fühlt die letzte Muskelfaser und jeden Nerv«, sagte der Schweizer Ingenieur vom WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos der Deutschen Presse-Agentur. »Man fühlt sich so richtig wach.«

Jaggi ist zur Zeit an der französisch-italienischen Forschungsstation Dome Concordia auf einem mehr als 3000 Meter hohen Plateau in der Antarktis im Einsatz. Dort ist gerade Sommer. Ende Januar werde es schon wieder kälter, oft etwa minus 50 Grad, so Jaggi. Die Station ist rund 15.000 Kilometer von Mitteleuropa entfernt.

Jaggis Projekt

Er untersucht bestimmte Veränderungsprozesse im Schnee. Die Erkenntnisse sind für die Analyse von Eisbohrkernen wichtig. An der Station Dome Concordia werden tiefe Löcher gebohrt, um uralte Eisschichten zu Tage zu fördern. Es geht immer tiefer. Bald sollen 1,5 Millionen Jahre alte Schichten erreicht werden.

Jede Schneeschicht, die sich im Lauf der Zeit zu Eis verdichtet hat, besitzt abhängig von der einstigen Wetterlage eine spezifische Struktur und chemische Eigenschaften, mit Hilfe derer Forschende auf die damaligen Klimabedingungen schließen können. Von der sogenannten Isotopenzusammensetzung des Wassers zum Beispiel lassen sich Rückschlüsse auf die damalige Lufttemperatur ziehen.

»Mit den in den Eisbohrkernen eingelagerten Wasserisotopen hat man bald ein Archiv von Temperaturdaten über die letzten 1,5 Millionen Jahre - verrückt, nicht wahr?«, sagte Jaggi. »Mein Experiment ist ein kleines Puzzleteil im Gesamtverständnis für die klimatischen Prozesse auf unserer Erde.«

Jaggi schickt auch Schneeproben zur Untersuchung mit Computertomographen nach Davos. Der Transport bei konstant mindestens minus 20 Grad ist eine Herausforderung. Dabei werden die Styroporkisten erst 1200 Kilometer mit einer Schneeraupe zur französischen Station Dumont d’Urville transportiert, von dort per Eisbrecher nach Brest in Frankreich und dann per Lastwagen nach Davos.

Jaggi ist bereits zum zweiten Mal mehrere Monate in der Antarktis. Er sei fasziniert von Eis und Schnee, vor allem von den antarktischen Küstenregionen. »Das Meer, die Eisberge, das Meereis, die Farbübergänge von weiß zu blau, Pinguine, Vögel, Berge, Gletscher, die ins Meer kommen - extrem eindrücklich«, erzählte er. »Zu wissen, dass dieser gefrorene Teil der Erde durch die Klimaerwärmung in Gefahr ist, ist bedrückend.«

Leben in der Forschungsstation

In der Forschungsstation halten sich derzeit rund 60 Leute auf. Weihnachten und Silvester werde natürlich gefeiert, sagte Jaggi, wenn auch im Hellen. Der Südpol ist zur Zeit der Sonne zugewandt, es bleibt 24 Stunden hell. Die Station sei mit Sauna, Kletterwand, Tischfußball, Sport- und Filmraum ausgestattet. Und Jaggi spielt E-Piano. »Es lebt sich gut hier«, sagte er. Was ihm fehle: selber einkaufen und kochen, Gleitschirmfliegen und die Berge.

Minus 20 Grad seien gut auszuhalten, wenn es windstill ist, erklärte der Forscher. »Da kann man bei Sonne schon fast im T-Shirt arbeiten.« Er übernachtet in einem Sommercamp rund 500 Meter von der Station entfernt - deshalb die Joggingstrecke in Turnschuhen und kurzer Hose. Seine Arbeit bringe ihn viel an die frische Luft, so dass er in der Freizeit sonst eher darauf verzichte. »Meine Nasenspitze ist eh froh, wenn sie möglichst geschont wird«, sagte Jaggi. »Die Kälte hat bereits Spuren hinterlassen.«

Klima- und Umweltschutz sind auf der Dome Concordia-Station ein großes Thema. Abfall wird penibel sortiert, eingestampft und verpackt. Alles wird abtransportiert und in Australien entsorgt. Das Duschwasser werde gefiltert und neu verwendet. Beim Essen würden stets auch Reste verwertet, erklärte Jaggi. Für die Sanierung der bald 20 Jahre alten Station werde über mehr Solar- oder Windkraft nachgedacht. Jeder Einsatz von Technologie sei unter den Extrembedingungen allerdings eine Herausforderung.

© dpa-infocom, dpa:231227-99-414340/3