Es hätte der Auftakt zu einem ausgelassenen Party-Wochenende werden sollen - doch tödliche Schüsse eines mutmaßlichen Islamisten haben eine beliebte Schwulen-Bar in Oslo zu einem Ort des Schreckens gemacht.
Im Zentrum der norwegischen Hauptstadt erschoss der Angreifer in der Nacht zum Samstag zwei Männer. Mindestens 21 weitere wurden nach Angaben der Polizei verletzt, zehn davon schwer. Der Geheimdienst PST stufte die Attacke als islamistischen Terroranschlag ein und erhöhte die Terrorwarnstufe auf die höchste Stufe.
Bei dem Angreifer, den die Polizei noch in der Nacht mithilfe von Zivilisten festnahm, soll es sich um einen Norweger mit iranischen Wurzeln handeln. Zwei unregistrierte Waffen - eine Pistole und ein Sturmgewehr - wurden beschlagnahmt. Man gehe stark von Hasskriminalität aus, erklärte Polizeiinspektor Tore Soldal am Morgen. Ermittler Christian Hatlo sagte der norwegischen Zeitung »VG«, der 42-Jährige sei zuvor schon straffällig geworden und habe sich radikalisiert.
Gesundheitszustand soll untersucht werden
In der Nacht durchsuchte die Polizei seine Wohnung, am Nachmittag wurde der Festgenommene erstmals verhört. Dieser sei misstrauisch gegenüber der Polizei, sagte sein Verteidiger John Christian Elden danach dem Sender NRK. Man müsse vorsichtig mit Spekulationen sein, was das Motiv angehe. Auch der mentale Gesundheitszustand des Mannes soll untersucht werden.
Der Nachtclub »London Pub« - das Hauptziel der Angriffe - gilt in Oslo als beliebter Treffpunkt für Schwule, Lesben und andere Angehörige der queeren Szene. Auf der eigenen Internetseite beschreibt sich der Club als beste »Gay Bar« der Stadt und »Schwules Hauptquartier seit 1979«. Eigentlich wollten dort viele ins Wochenende hineinfeiern: Am Samstag hätte in Oslo nach Absagen wegen der Corona-Pandemie erstmals wieder eine »Pride-Parade« stattfinden sollen - sie fiel jetzt wieder aus. Die Bar war nicht der einzige Tatort. Auch an anderen Orten der Partymeile fielen in den frühen Stunden des Samstags Schüsse.
Ministerpräsident Jonas Gahr Støre versicherte der queeren Gemeinschaft: »Wir stehen an eurer Seite.« Vor Journalisten sagte er nachmittags: »Als der Angreifer zu schießen begann, verwandelte sich alles von Freude, Lachen und Liebe in Hass, Kugeln und Mord.« Wieder einmal sei das Land von einer brutalen Attacke auf Unschuldige getroffen worden. Eigentlich gilt Norwegen als friedliches Land. Doch der rechtsextrem motivierte Terroranschlag vor elf Jahren auf Utøya mit 77 Todesopfern hat eine tiefe Wunde in das Gefühl der Sicherheit gerissen.
Anschlag löst Entsetzen aus
Die erneute Gewalt, bei der ein Mann in seinen Fünfzigern und ein anderer in seinen Sechzigern ums Leben kamen, löste in Norwegen und darüber hinaus Entsetzen aus. König Harald V. (85) rief seine Landsleute auf, zusammenzustehen. Es gelte, gemeinsame Werte wie Freiheit, Diversität und Respekt füreinander hochzuhalten, damit alle sich sicher fühlen könnten. Auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) drückten ihre Betroffenheit aus. »Das norwegische Volk kann sich unserer Anteilnahme gewiss sein. Der Kampf gegen den Terror eint uns«, schrieb Scholz auf Twitter.
Die Organisatoren der »Pride Parade«, die eigentlich am Samstag ihre 40. Parade feiern wollten, sagten auf Anraten der Polizei die gesamte Veranstaltung ab. »Wir werden bald wieder stolz und sichtbar sein«, sagte »Pride«-Chefin Kristin Haugsevje. Nun wolle man aber innehalten und den Angehörigen der Opfer Liebe und gute Wünsche senden. Am Nachmittag versammelten sich NRK zufolge dennoch einige Tausende und zogen durch die Straßen von Oslo, wo die Parade hätte stattfinden sollen.
Regenbohnen-Fahnen säumten auch am Samstag noch ganz Oslo - nicht nur Restaurants und Bars, auch Botschaften und offizielle Gebäude. Am Vorabend des geplanten Spektakels hatte es in der Stadt vielerorts bereits Feiern bis tief in die Nacht gegeben. Selbst kurz vor Mitternacht war es in der Juni-Nacht noch nicht ganz dunkel.
Panik und Verzweiflung am Tatort
Rund um den »London Pub« verwandelte sich nach den ersten Schüssen die ausgelassene Stimmung dann aber in Panik und Verzweiflung, wie ein NRK-Journalist berichtete, der am Ort des Geschehens war. Er habe auf der Straße die Toten gesehen und Einsatzkräfte bei ihrem Versuch, die Verletzten schnellstmöglich zu versorgen.
Jonas Nilsen Sripilom, der eigentlich in den »London Pub« kommen wollte, aber dann zu einer anderen Party ging, konnte kaum glauben, als er von den Angriffen hörte. »Nicht in unserem Oslo.« Die Tat zeige, dass die Pride-Parade noch immer ihren Grund habe, sagte Sripilom dem Sender NRK. »Da geht es nicht nur um Spaß und darum, sich mit Glitzer und Farben zu schmücken. Wir marschieren, weil wir gehasst werden. Der Kampf ist noch nicht vorbei.«
Umringt von einer großen Menschentraube legte Kronprinz Haakon von Norwegen am Nachmittag gemeinsam mit Ministerpräsident Støre am Tatort Blumen nieder. Das Glockenspiel des Rathauses spielte »Somewhere over the Rainbow«. Am Sonntag wollten die Royals an einem Trauergottesdienst in der Kathedrale von Oslo teilnehmen.
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