BERLIN. Ein Kriminalfall, zwei Filme: Im Fernseh-Experiment »Ferdinand von Schirach: Feinde« wird die Geschichte einer Kindesentführung aus der Perspektive des Kommissars und aus der des Strafverteidigers erzählt. Die beiden Filme nach einem Konzept des Juristen Ferdinand von Schirach sind am Sonntag (3. Januar, 20.15 Uhr, ARD) nacheinander im Ersten zu sehen und werden zeitgleich in allen Dritten Programmen der ARD ausgestrahlt. Klaus Maria Brandauer spielt einen Rechtsanwalt, der im Prozess aufzeigt, dass das Geständnis des Entführers unter Folter zustande gekommen und deshalb den Regeln folgend nichtig ist.
GEA: Herr Brandauer, »Ferdinand von Schirach: Feinde« ist ein Lehrstück über den Unterschied von Recht und Gerechtigkeit, der manchmal schwer zu begreifen ist. Was können die Zuschauer dabei lernen?
Klaus Maria Brandauer: Ich hoffe, dass sich die Zuschauer auf beide Perspektiven einlassen und sich genug Zeit nehmen, nachzudenken und abzuwägen. Nicht wieder schnell in erprobte Denkmuster rutschen, sondern in Ruhe einen eigenen Standpunkt suchen, der vielleicht auch etwas unbequemer als gewöhnlich ist. Dafür ist dieses Format gemacht und eine großartige Möglichkeit.
Regisseur Nils Willbrandt erzählt die Geschichte über ein entführtes Mädchen und einen Verdächtigen, der gefoltert wird, in zwei Filmen aus zwei Perspektiven – ein ungewöhnliches Verfahren. Was hat Sie an diesem TV-Experiment gereizt?
Brandauer: Wir neigen viel zu oft dazu, demjenigen Recht zu geben, der als Letzter oder am Lautesten gesprochen hat. Mit fatalen Konsequenzen, weil uns die Realität nur noch in solchen Schnipseln verabreicht wird. Wir leben in einer Schlagzeilen-Gesellschaft, in der es nur noch um Deutungshoheiten geht, nicht mehr um Inhalte. Das Abwägen von Argumenten, das Einlassen auf eine Geschichte, die konstruktive Auseinandersetzung mit komplexen Fragen, das bekommt immer weniger Platz. Umso wichtiger ist es, ein solches Projekt zu machen und es an ein großes Fernsehpublikum zu adressieren.
Muss der Zuschauer beide Filme gucken, um die Sache richtig zu verstehen?
Brandauer: Ja unbedingt, die Filme funktionieren zwar auch für sich allein, aber ihre tatsächliche Wirkung entfalten sie erst im Zusammenspiel. Das Ergebnis ist viel größer als die Summe seiner Teile, das gilt auch hier.
Sie und die anderen Schauspieler ordnen sich in den Filmen komplett dem Anliegen unter, das schwierige Thema darzustellen. Ist Ihnen das schwergefallen?
Brandauer: Nein, wieso sollte es das? Das ist schlicht und ergreifend meine Aufgabe. Es gibt eine Figur, den Biegler, und es gibt eine Geschichte zu erzählen. Ich fand beides interessant und habe alles versucht, Figur und Geschichte in eine gute Übereinstimmung zu bringen. Anders geht das nicht.
Einer der beiden Filme ist auf diesen Strafverteidiger zugeschnitten, den Sie spielen, ein gerissener Rechtsprofi der alten Schule. Wie haben Sie sich der Rolle angenähert?
Brandauer: Ich habe eine große Sympathie für diese »Profis alter Schule«, die Werte haben und für diese auch einstehen. Da steht eine ganze Generation dahinter. Biegler ist darüber hinaus ein Genussmensch und viel weniger angepasst, als der erste Eindruck vielleicht nahelegt. Und er ist exzessiver Raucher, der sich nicht dafür schämt, das ist heute fast schon ein Alleinstellungsmerkmal.
Sie haben einmal gesagt, Sie könnten keine Figur spielen, die Ihnen völlig fremd ist. Welche Ähnlichkeiten gibt es zwischen Biegler und Ihnen?
Brandauer: Er ist ein Mensch, der kann, was er tut, aber er bleibt in allem auch er selber. Ein Mensch mit Ecken und Kanten, mit Schwächen. Die Dinge passieren ihm einfach, sein Leben läuft mit einer gewissen Folgerichtigkeit ab. Damit kann ich sehr viel anfangen.
Biegler ist in den Werken des Rechtsanwalts und Schriftstellers von Schirach das Alter Ego des Autors. Haben Sie vor den Dreharbeiten in die Bücher reingeschaut, um sich über die Figur zu informieren?
Brandauer: Informieren wäre der falsche Ausdruck, ich habe eher versucht zu verstehen, wie Ferdinand von Schirach die Sache angeht. Für mich ist es immer wichtig, den gesamten Überblick zu haben. Bei einem so erfolgreichen Autor spielt man ja auch gegen eine Erwartungshaltung des Publikums an, was die Sache herausfordernd, aber auch reizvoll macht.
Biegler sagt im Film: »Ich habe noch nie einen nur guten oder nur bösen Menschen kennengelernt.« Deckt sich das mit Ihrer Lebenserfahrung?
Brandauer: Ja, absolut! Übrigens auch mit den Erfahrungen, die ich jetzt schon eine ganze Weile mit mir selber machen konnte. (GEA)
ZUR PERSON
Klaus Maria Brandauer wurde 1943 in Bad Aussee in Österreich geboren und gilt als einer der wichtigsten deutschsprachigen Schauspieler. Der Österreicher glänzt seit Jahrzehnten auf der Bühne, im Kino und im Fernsehen. Daneben machte er sich auch als Theaterregisseur einen Namen. Er war bis zu deren Tod 1992 mit der Regisseurin Karin Brandauer verheiratet und hat aus dieser Ehe einen Sohn. 2007 heiratete er wieder und wurde 2014 zum zweiten Mal Vater. Er lebt in Altaussee, Wien, Berlin und New York. (maweb)