Europa bekommt das Problem mit illegalen Drogen trotz aller Bemühungen nicht in den Griff. Im Gegenteil. Die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA, deutsch auch EBDD) spricht in ihrem Jahresbericht 2024 von einer »wachsenden Bedrohung« und meldet einen neuen Anstieg der drogenbedingten Todesfälle. Diese traurige Rangliste wird erneut von Deutschland angeführt.
Besonders gefährlich seien aktuell hochwirksame synthetische Substanzen, neue Drogenmischungen und sich verändernde Konsummuster, warnt die EMCDDA in dem Bericht, der am Behörden-Sitz in Portugals Hauptstadt Lissabon sowie auch in Brüssel veröffentlicht wurde.
»Der Drogenkonsum wird in Europa schlimmer«, stellte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson bei der Präsentation unumwunden klar. »Immer häufiger mischen Menschen in Europa verschiedene Drogen und nehmen potenziell tödliche Cocktails aus unterschiedlichen Arten von Drogen ein (...). Die Menschen haben keine Ahnung, was sie einnehmen.«
Wachsendes Opioidproblem bereitet Sorgen
Große Sorgen bereitet, neben anderen Bedrohungen, insbesondere das laut EMCDDA »wachsende Opioidproblem«. Seit 2009 seien insgesamt 81 neue synthetische Opioide auf dem europäischen Drogenmarkt aufgetaucht, betonte Johansson. »Kriminelle entwickeln ständig neue Drogen, um einer Entdeckung zu entgehen«, klagte die Schwedin.
Es wird geschätzt, dass es 2022 mindestens 6392 Überdosis-Todesfälle im Zusammenhang mit Drogen in der Europäischen Union gab, davon 1631 allein in Deutschland. Das ist EU-weit zwar nur ein geringer Anstieg im Vergleich zu 2021 (6166). Aber neben der seit Jahren steigenden Tendenz - 2020 waren 5796, ein Jahr davor 5141 Todesfälle gemeldet worden - ist zu berücksichtigen, dass es sich hier lediglich um eine Mindestschätzung handelt. Unter anderem auch, weil nicht alle Länder alle Todesfälle erfassen.
Heroin und vor allem synthetische Opioide wie die »Zombie-Droge« Fentanyl, die in den USA für eine verheerende Gesundheitskrise sorgt, und das »synthetische Heroin« Nitazen, das als noch gefährlicher als Fentanyl gilt und in Europa seit Kurzem auf dem Vormarsch ist, spielen auf dem europäischen Markt im Vergleich zu Nordamerika noch eine relativ kleine Rolle. Aber sie waren, manchmal in Kombination mit anderen Substanzen, schätzungsweise bei knapp drei Vierteln aller 2022 in der EU gemeldeten tödlichen Überdosierungen im Spiel.
Kokain in 20 Prozent aller Todesfälle verwickelt
Andere Substanzen sind derweil nicht minder gefährlich, darunter die Party- und Schickeria-Droge Kokain. Diese feiert schon seit vielen Jahren ein Comeback. Das Alkaloid der Coca-Blätter stehe inzwischen aber bereits in riesigen Mengen zur Verfügung und sei in 20 Prozent aller Todesfälle verwickelt, wie Johansson betonte. Zum sechsten Mal in Folge wurden in der EU Rekordmengen an Kokain beschlagnahmt, 2022 waren es 323 Tonnen. Nach Cannabis ist Kokain laut EMCDDA die in Europa am meisten illegal konsumierte Droge.
Ein zentrales Thema des diesjährigen Berichts ist der gleichzeitige oder aufeinanderfolgende Konsum mehrerer Drogen, der in Europa weit verbreitet sei. Oft werden - wissentlich oder unwissentlich - auch hochwirksame synthetische Opioide konsumiert, die gelegentlich falsch deklariert oder mit Arzneimitteln und anderen Drogen versetzt sind. Dies erhöhe die Gesundheitsrisiken und erschwere die Durchführung von Maßnahmen, insbesondere bei Überdosierungen, heißt es.
Mehr Befugnisse für neue EU-Drogenagentur im Kampf gegen Drogenmafia
Auf dem Spiel steht aber nicht nur die Gesundheit der Europäer. Der Drogenmarkt »schürt Gewalt und Korruption«, betonte Johansson. Die EU will den Kampf gegen die Drogenmafia, deren Jahresumsatz nach einem jüngsten Bericht von Europol und EMCDDA 31 Milliarden Euro beträgt, mit einem bedeutenden Schritt verstärken: Aus der Beobachtungsstelle wird gut 30 Jahre nach der Gründung schon Anfang Juli die EU-Drogenagentur. Mit mehr Befugnissen und mehr Handlungsspielraum.
Die neue Behörde werde unter anderem »über eine bessere Analysekapazität verfügen«, »stärker international mit wichtigen Partnern wie Kolumbien und Ecuador« zusammenarbeiten können und »in der Lage sein, mit dem neuen Europäischen Drogenwarnsystem Frühwarnungen auszusprechen und Bewertungen von Gesundheits- und Sicherheitsbedrohungen vorzunehmen«, erklärte Johansson. Die Hoffnungen sind groß, die Sorgen wegen der schnellen Entwicklungen des Drogenmarktes aber auch. »Wir müssen wachsam sein, wir müssen vorbereitet sein,« mahnte die 60-Jährige.
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