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Illerkirchberg und der Wunsch nach Ruhe

Zwei Schülerinnen werden Ende 2022 in Illerkirchberg Opfer eines Messerangriffs. Noch heute spricht der Bürgermeister von einem Alptraum. Ein Alptraum, der jetzt vor Gericht kommt.

Illerkirchberg vor Mordprozess
Hier stand einst eine Flüchtlingsunterkunft. Vor dieser soll ein Asylbewerber aus Eritrea zwei Mädchen mit einem Messer attackiert haben. Foto: Stefan Puchner
Hier stand einst eine Flüchtlingsunterkunft. Vor dieser soll ein Asylbewerber aus Eritrea zwei Mädchen mit einem Messer attackiert haben.
Foto: Stefan Puchner

Bauzäune stehen da, wo sich in Illerkirchberg eine Gewalttat abgespielt hat, die ganz Deutschland erschüttert hat. Drei bemalte Bauzäune markieren die Stelle, an der eine 14-Jährige durch ein Messer ihr Leben verlor und ihre 13-jährige Freundin schwer verletzt wurde.

Am Freitag (02. Juni) beginnt der Prozess gegen den mutmaßlichen Täter. Angeklagt ist er vor dem Landgericht Ulm wegen Mordes und versuchten Mordes. Die beschauliche Gemeinde im Alb-Donau-Kreis kommt auch fast sechs Monate nach dem blutigen Angriff auf die zwei Schülerinnen nicht zur Ruhe.

Vieles sei liegengeblieben, berichtet Bürgermeister Markus Häußler (parteilos). »Wir haben knapp zwei Monate fast nichts anderes gemacht, als uns mit den Folgen dieser furchtbaren Tat auseinanderzusetzen«, sagte er. Medienanfragen hätten die 5000-Einwohner-Gemeinde überflutet. Sein kleines Rathaus-Team habe im Januar einen Bürgerdialog organisiert, der Redebedarf der Bürger sei gerade kurz nach der Tat enorm gewesen. Sein Job als Bürgermeister habe sich verändert.

Rückblick

Illerkirchberg am 5. Dezember 2022: Die beiden Schülerinnen sind auf dem Weg zum Bus, als sie mit einem Messer schwer verletzt werden. Der mutmaßliche Täter ist ein 27 Jahre alter Flüchtling aus Eritrea, der kurz nach der Tat festgenommen wird. Das Verbrechen spielt sich vor der Flüchtlingsunterkunft ab. Die 14-Jährige erliegt im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen.

Der Bürgermeister sitzt zu diesem Zeitpunkt im Rathaus. »Die Polizei rief morgens im Ordnungsamt an - da lief der Einsatz allerdings schon«, erinnert er sich. »Meine Ordnungsamtsleiterin informierte mich umgehend. Ich bin dann direkt an die Einsatzstelle gefahren«, sagt er.

Wunsch nach Sicherheit

Tiefe Spuren habe dieser Tag in Illerkirchberg hinterlassen. Es sei immer noch eine große Traurigkeit zu spüren. »Wenn man mit den Leuten drüber spricht, geht der Blick meistens mindestens einmal nach unten. Und genau das ist auch die Stimmungslage«, sagt der Rathauschef.

»Wir arbeiten immer noch auf«, betont der 37-Jährige. Konkret hätten sich die Menschen gewünscht, dass die Straßenbeleuchtung am Tatort wieder eingeschaltet werde. »Die war für wenige Stunden nachts aus Energiespargründen ausgeschaltet.« Um dem Gefühl der Unsicherheit entgegenzuwirken, seien die Lampen wieder an.

Der Tatort liegt zwischen einem Spielplatz und der Schule. Er ist von der Straße einsehbar - ein Platz mit Präsenz im Ort. Schulkinder, Einwohner, Eltern - viele Menschen sein dort täglich unterwegs, so Häußler. Zum Tatzeitpunkt standen an dem Weg drei in die Jahre gekommene Häuser, die als Flüchtlingsunterkünfte mit 20 Plätzen dienten. Darin lebt damals auch der mutmaßliche Täter. Die Kerzen, Blumen und Teddybären, die den Tatort markierten, sind verschwunden.

Zur falschen Zeit am falschen Ort

Laut Anklage hatte es der Tatverdächtige eigentlich nicht auf die Mädchen abgesehen. Er soll auf dem Weg zum Landratsamt des Alb-Donau-Kreises in Ulm unterwegs gewesen sein, um mit dem Messer Ausweisdokumente zu erpressen.

Angegriffen hatte er die Freundinnen laut Anklage, weil er angenommen hatte, dass die beiden das Messer gesehen hätten. »Das Unerträgliche daran ist einfach dieses Zufällige: Zur falschen Zeit am falschen Ort«, sagt Häußler.

Der Vater der Getöteten sprach sich dafür aus, die Häuser abzureißen und einen Spielplatz oder eine Spielwiese an diesen Ort zu setzen. Im April rollte der Bagger an. Wie der Platz gestaltet werde, darum kümmerten sich die Bürgerschaft und der Gemeinderat, erklärt Häußler. Übergangsweise werde eine Wiese gesät. »Perspektivisch soll dort etwas Schönes entstehen.«

Es wird nicht pauschalisiert

Auf die Flüchtlingshilfe habe sich der Gewalttat nicht ausgewirkt, sagt Häußler. »Wir haben nach wie vor einen sehr engagierten Helferkreis.« Und auch kurz nach der Tat hätten sich die Menschen im Ort einer politischen Instrumentalisierung mit einem stillen Protest in den Weg gestellt. »Darauf bin ich sehr stolz.«

Auch die Eltern der beiden Mädchen hatten in Briefen dazu aufgerufen, die Tat nicht für Hetze zu instrumentalisieren. Dem schlossen sich viele Politiker an. Es gab aber auch Kritik an der deutschen Asylpolitik. Diese spitzte sich zu, als herauskam, dass ein Flüchtling als verurteilter Vergewaltiger zwischenzeitlich wieder in der Gemeinde untergebracht werden musste.

Man habe nach der Tat viel Aufklärungsarbeit zur allgemeinen Sicherheitslage leisten müssen, über Ängste habe man geredet und sie ernst genommen, so Häußler. Ein Selbstschutzseminar sei etwa bezuschusst worden. »Dass Menschen Angst haben, ist nachvollziehbar - wir haben versucht darauf zu reagieren.« Die Situation sei für alle sehr belastend.

Auch in den Nachbarorten sahen die Rathauschefs Redebedarf. »In der Bevölkerung wird der Unmut über die derzeitigen administrativen Rahmenbedingungen sichtbar«, sagt etwa der Bürgermeister von Staig, Martin Jung (parteilos). Die Gemeinde mit rund 3000 Einwohnern liegt neben Illerkirchberg. In der rund 16.000-Einwohner-Stadt Blaustein reagierte die Stadt Anfang des Jahres mit einem Bürgerdialog, um Fragen zur Unterbringung Geflüchteter zu besprechen.

Prozess wird hart

Wie der Kontakt zu den Eltern der beiden Mädchen aussieht, will Illerkirchbergs Bürgermeister Häußler nicht sagen. Er wolle die Privatsphäre der Familien wahren. Beim Prozess werde er nicht dabei sein. »Ich vertraue auf den Rechtsstaat, der in diesem Verfahren seine Funktionsfähigkeit unter Beweis stellen wird.«

Auf den Prozessstart blicke er mit gemischten Gefühlen: »Die ganzen Erinnerungen und Emotionen werden sicher noch einmal hochkommen«, so der Politiker. »Und das wird natürlich für alle Beteiligten und für alle Betroffenen ein harter Weg werden.«

Jeder habe seine eigene Strategie, mit dem Geschehenen umzugehen. »Ich glaube aber, bei allem wohnte eine Grundvoraussetzung inne und das ist Ruhe.« Und die wünscht der Bürgermeister sich in Zukunft für eine Gemeinde, damit ein furchtloses Leben wieder möglich sei. Auch wenn die Tat selbst wohl nie vergessen werde.

© dpa-infocom, dpa:230529-99-866539/5