Top-Celebrities wie Kim Kardashian, Dua Lipa, Kanye West und Elliot Page tragen »ihn«, und sogar die Simpsons sind seinem Charme verfallen. Der legendäre Modeschöpfer Cristóbal Balenciaga starb vor 50 Jahren am 23. März 1972 - die vom Spanier vor über einem Jahrhundert gegründete Marke ist aber heute wieder so hip wie kaum eine andere.
Dabei drohte die Firma noch Mitte der 1990er in die Bedeutungslosigkeit abzurutschen. Inzwischen hat aber die Marke, die seit 2001 dem französischen Luxuskonzern Kering gehört, nach jüngsten Erhebungen des einflussreichen britischen Modeportals Lyst sogar Gucci als das begehrteste, »hotteste« Label des Planeten abgelöst.
Kind eines Fischers und einer Näherin
Der Boom hat einige Gründe, die von Kardashian bis zur Ukraine und Antikriegs-Statements reichen. Aber eins nach dem anderen: Cristóbal Balenciaga wurde am 21. Januar 1895 in ärmlichen Verhältnissen als fünftes Kind eines Fischers und einer Näherin im baskischen Getaria im Norden Spaniens geboren.
Im 1300-Seelen-Dorf begeisterte sich der Knirps für Mamas Arbeit. Er machte mit und wurde von Mamas Chefin, der Markgräfin Casa Torres, gefördert. Mit 16 war er Profi. Und mit 22 gründete er 1917 in San Sebastián die Firma Balenciaga.
Die einflussreichsten Damen Spaniens gehörten damals zu seinen Kundinnen. Zum ganz großen Durchbruch verhalf ihm aber indirekt ein tragisches Ereignis: Wegen des Spanischen Bürgerkrieges (1936-1939) zog Balenciaga nach Frankreich. Er eroberte Paris im Sturm, dominierte dort in der goldenen Zeit der Haute Couture.
Designer der Filmstars
Der Designer kleidete Film-Superstars wie Grace Kelly, Marlene Dietrich, Elizabeth Taylor, Ava Gardner, Greta Garbo und Audrey Hepburn und entwarf auch für die Philanthropin Mona von Bismarck und die Präsidentengattin Jackie Kennedy. Auch das Hochzeitskleid der belgischen Königin Fabiola war von ihm.
Mit seiner bahnbrechenden Handwerkskunst revolutionierte Balenciaga in den 1950er Jahren die Modewelt. Der weiblichen Silhouette gab er als Erfinder unter anderem der Melonenärmel, der Ballonröcke, der Sack- und Baby-Doll-Kleider neue Formen. Der avantgardistische, geheimnisumwitterte »König der Haute Couture« gab keine Interviews. Wenige Aussagen sind daher von ihm überliefert. Aber er soll einmal gesagt haben: »Eine Frau muss nicht perfekt oder wunderschön sein, um meine Kleider zu tragen. Das Kleid wird für sie die Arbeit tun.«
Christian Dior: »Meister von uns allen«
In seinen Ateliers starteten spätere Mode-Legenden wie Oscar de la Renta, Hubert de Givenchy und Emanuel Ungaro ihre Karrieren. Kein Geringerer als Christian Dior bezeichnete Balenciaga als »Meister von uns allen«, Coco Chanel verehrte ihn als »einzigen echten Couturier«. Und de Givenchy wurde von »The New York Times« mit folgenden Worten zitiert: »Balenciaga war meine Religion.«
Doch der Mann, dem die Modewelt jahrzehntelang zu Füßen lag, hatte an seinem Lebensende keine glücklichen Jahre. Tief enttäuscht, weil das Prêt-à-porter die Haute Couture immer mehr verdrängte, schloss der Hornbrillenträger 1968 nach 31 Jahren sein Pariser Unternehmen und sagte der Modewelt »Adieu«. Den Ruhestand unterbrach er dann nur einmal: 1972 entwarf er ein Brautkleid für die Hochzeit von Carmen Martínez-Bordiú, einer Enkelin von Diktator Francisco Franco. Nur wenige Tage später starb er während eines Urlaubs im ostspanischen Badeort Jávea an einem Herzinfarkt.
Und dann kam Nicolas Ghesquière
Praktisch nur von der Parfümsparte am Leben gehalten, dümpelte die Marke Balenciaga etwa ein Vierteljahrhundert vor sich hin. Bis der Franzose Nicolas Ghesquière 1997 als Chefdesigner übernahm und Balenciaga mit Luxus-Streetwear wie Leggings, Cargohosen und Sport-Stilettos in die führende Riege der Pariser Modehäuser zurückführte.
Nach einem dreijährigen Gastspiel von Alexander Wang wurde 2015 Demna Gvasalia zum neuen Kreativdirektor ernannt. Der Deutsch-Georgier aus Düsseldorf setzte noch einen drauf. Der Mode-Rebell, der ständig mit althergebrachten Codes bricht, machte Balenciaga mit seinem sogenannten Ugly Style zum Über-Label, zur Lieblingsmarke der modeaffinen Millennials und auch der noch sehr jungen Generation Z.
»Bei uns am Gymnasium Othmarschen waren vor ein paar Jahren die Sockensneakers total in, man hat sie überall auf dem Schulhof gesehen, obwohl sie mindestens 700 Euro kosten«, erzählt eine 17-Jährige aus dem wohlhabenden Westen Hamburgs der Deutschen Presse-Agentur. Zurzeit seien vor allem die Triple-S-Sneakers begehrt.
Demna sorgte unter anderem mit seinen Crocs mit Plateau-Sohlen und High-Heels und seinen genderunspezifischen Kreationen für Aufsehen. Aber nicht nur damit. Der heute 40-Jährige gehört zu den wenigen, die immer wieder versuchen, die Modewelt aus ihrer eigenen Blase zu ziehen.
Zeichen gegen den Ukraine-Krieg
Im vorigen Herbst ließ er bei der Pariser Fashion Week die berühmte Zeichentrick-Familie um Homer, Bart und Maggie Simpson in einer Sonderepisode seine neue Kollektion präsentieren. Und vor etwa zwei Wochen setzte Demna, der mit zwölf vor dem Bürgerkrieg in Georgien nach Deutschland flüchtete, in Paris als Erster ein Zeichen gegen den Ukraine-Krieg. Er ließ seine Models im künstlichen Schneesturm und teils mit Plastiksäcken in der Hand defilieren. Der mutig-innovative Balenciaga hätte wohl applaudiert.
In Getaria, wo der Designer begraben liegt, hat das 2011 gegründete Balenciaga-Museum anlässlich des 50. Todestages mehrere Sonder-Ausstellungen und Veranstaltungen angekündigt. Der Streaming-Dienst Disney+ dreht eine Serie über den Basken.
Doch die größte Würdigung lieferte wohl Demna. Mit seiner Herbst-Winter-Kollektion 2021-2022 brachte er die Haute Couture nach über einem halben Jahrhundert zurück ins Haus. Er sehe diesen Schritt als seine »kreative Pflicht gegenüber dem einzigartigen Erbe von Mr. Balenciaga«.
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