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Hebammen-Mangel: Geburtshelferinnen fordern Anerkennung

Zu wenig Personal, zu geringe Bezahlung: Die Wertschätzung von Geburtshilfe in Deutschland hat deutlichen Nachholbedarf - nicht nur bei der Bezahlung.

Hebammen-Versorgung
Eine Hebamme tastet den Bauch einer Frau ab, die im neunten Monat schwanger ist. Foto: Caroline Seidel/DPA
Eine Hebamme tastet den Bauch einer Frau ab, die im neunten Monat schwanger ist.
Foto: Caroline Seidel/DPA

»Haben Sie überhaupt eine Ausbildung?«, ist Hebamme Silvia Skolik von Vätern schon gefragt worden. Die 68-Jährige hat 1981 ihr Examen gemacht und arbeitet seit 42 Jahren in dem Beruf. Auch wenn die Frage nicht häufig kommt, zeigt sie doch: Das Wissen um die Kompetenzen und die Wertschätzung von Hebammen sind in Teilen der deutschen Gesellschaft nicht weit verbreitet.

Dabei sind Hebammen nicht nur während Geburten sehr wichtig: Auch in der Schwangerenvorsorge und im Wochenbett, also der Zeit nach der Geburt, kümmern sich Hebammen um die Gesundheit von Mutter und Kind, klären auf bei dringenden Fragen und Sorgen.

Die Berlinerin Skolik kommt immer wieder auf das Thema Zeit zu sprechen. Ihre Tage sind lang: »Man kann sagen, mein Dienst geht von 8.00 Uhr bis 20.00 Uhr«, oft auch von 8.00 bis 23.00 Uhr. Morgens bearbeite sie etwa eine Stunde lang Post und führe Telefongespräche, dann gehe es auf Hausbesuche, vier bis sieben pro Tag. Etwa 30 Prozent ihrer Arbeit machten Dokumentation und Abrechnung aus, »wenn man flott ist«. Als freiberufliche Hebamme betreut Skolik Schwangere und junge Familien bis zum Ende der Stillzeit.

»Frauen haben sonst keinen Ansprechpartner«

Etwa eine bis anderthalb Stunden dauere ein Hausbesuch inklusive der Wege - bezahlt wird jedoch deutlich weniger: Die Gebührenberechnung der Krankenkassen basiere auf der Annahme, dass ein Besuch am Wochenbett nicht länger als 20 Minuten dauert. »Nicht realistisch«, findet Skolik. »Wir brauchen mehr Hebammen und eine deutlich bessere Bezahlung, damit wir mehr Zeit für jede einzelne Frau und Familie haben.«

Auch abends und am Wochenende melde sich oft noch jemand mit einer Frage, oder sie mache Hausbesuche, im Schnitt habe sie ein freies Wochenende im Monat. »Im Prinzip ist man immer präsent für Fragen, man weiß ja auch, dass die Frauen sonst keinen Ansprechpartner haben.« Vor ihrer Freiberuflichkeit hat Skolik lange angestellt in Kliniken gearbeitet, irgendwann habe ihr die Arbeitsweise dort aber nicht mehr gefallen: »Zu viel Hierarchie, zu viele Überstunden, eine Geburtshilfe, die oft an den Bedürfnissen der Gebärenden vorbeiging.«

Finanzieller Anreiz als Problem

Das sieht die Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands ähnlich. Eine natürliche Geburt brauche Zeit, »diese wird in unserem Abrechnungssystem aber überhaupt nicht abgebildet«, sagt Ulrike Geppert-Orthofer. Sie höre oft von Kolleginnen aus Kliniken, dass die bei der Dokumentation darauf achten, dass es sich für die Klinik lohnt.

Derzeit gebe es in Deutschland eine Kaiserschnittrate von etwa 30 Prozent, die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält 10 bis 15 Prozent für medizinisch notwendig. Geburten würden so behandelt »als könnte jederzeit der Super-Gau eintreten«, sagt Geppert-Orthofer, dabei könne vieles mit einer Eins-zu-eins-Betreuung antizipiert werden. »Das belegen unsere Zahlen in der außerklinischen Geburtshilfe.«

Die Hauptforderung des Hebammenverbands im Zuge der Krankenhausreform ist daher die Umsetzung der hebammengeleiteten Geburtshilfe in den Kliniken. »Dafür gibt es das Konzept des Hebammenkreißsaals«, sagt sie. »Es bedeutet, dass gesunde Frauen, die gesunde Kinder erwarten und eine interventionsarme Geburt mit individueller Betreuung wünschen, sich für eine Geburt im Hebammenkreißsaal entscheiden können und dort von einer Hebamme betreut werden, die wirklich nur für sie zuständig ist.« Bei Bedarf, etwa dem Wunsch nach Schmerztherapie oder ärztlicher Expertise, könnten jederzeit Ärztinnen und Ärzte hinzugezogen werden.

Um die Gesundheit rund um die Geburt zu gewährleisten, wurde 2017 ein gleichnamiges Nationales Gesundheitsziel veröffentlicht. »Ein echter Schatz«, meint Geppert-Orthofer. Das Papier wurde von verschiedenen Berufsgruppen erarbeitet und führt evidenzbasierte Empfehlungen zur Förderung einer gesunden Schwangerschaft, natürlichen Geburt und der Bedeutung des Wochenbetts auf. Es enthält außerdem Empfehlungen, um die Rahmenbedingungen rund um die Geburt gesundheitsfördernd zu gestalten.

Aktionsplan Gesundheit rund um die Geburt vereinbart

Das Gesundheitsziel zeige den Weg, »wir müssen ihn nur noch gehen«, sagt Geppert-Orthofer. Im Koalitionsvertrag wurde die Eins-zu-eins-Betreuung während der Geburt ebenso wie ein Aktionsplan zur Umsetzung des Nationalen Gesundheitsziels vereinbart - veröffentlicht wurde dieser jedoch bisher nicht.

Geppert-Orthofer plädiert dafür, die aktuellen Probleme bei der geplanten Krankenhausreform zu berücksichtigen. Diese soll sogenannte medizinische Leistungsgruppen samt Qualitätsstandards definieren, etwa für Infektiologie oder Notfallmedizin. Demnach kann eine Klinik künftig die Leistungsgruppe Geburt anbieten und von den gesetzlichen Krankenkassen finanziert bekommen, wenn sie bestimmte Qualitätsvorgaben erfüllt, etwa zu Ausstattung und Personal.

Der Hebammenverband fordert, Teil des Ausschusses zu werden, der die Kriterien für die Leistungsgruppe Geburt definiert. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zeigte sich dafür zuletzt grundsätzlich offen, machte aber keine Zusage. Geppert-Orthofer sagt: »Das ist zum Beispiel wieder eine Forderung, die wir nicht stellen müssten, wenn klar wäre, dass beim Thema Geburt immer die Hebammen mit dabei sind.« Hebammen seien die einzige Berufsgruppe, die für die kontinuierliche Gesundheitsförderung im Zeitraum des Elternwerdens für Mutter und Kind ausgebildet ist.

Für die Berliner Hebamme Skolik ist das Schönste an ihrem Beruf die Stärkung junger Familien: »Wenn Eltern das Gefühl haben, «das kann ich, ich kriege das hin». Das müsste man noch viel mehr machen können.« Würde sie noch einmal vor der Berufswahl stehen, würde sie sich wieder für den Hebammenberuf entscheiden. »Auf jeden Fall, ja.« Es sei eine sehr erfüllende Arbeit. Aber es sei auch deprimierend, dass sich mit Blick auf die Wertschätzung so wenig bewege.

© dpa-infocom, dpa:240503-99-900645/2