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Haftstrafe zur Bewährung nach Bahnunfall mit zwei Toten

Eine Bahnstrecke an der bayerisch-hessischen Landesgrenze: Männer arbeiten neben den Gleisen. Niemand sperrt die Strecke für die Bauarbeiter, als ein Zug kommt. Ein fataler Fehler.

Prozess wegen tödlichem Zugunglück
Der Angeklagte im Amtsgericht Aschaffenburg. Der 29-Jährige steht wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht. Foto: Karl-Josef Hildenbrand
Der Angeklagte im Amtsgericht Aschaffenburg. Der 29-Jährige steht wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht.
Foto: Karl-Josef Hildenbrand

Die Hände des Angeklagten waren über Stunden unter seinem Tisch in Saal 168 verschwunden. Der 29-Jährige wirkte nervös, bedrückt, atmete mitunter schwer.

Zeitweise schien es, als könne der Mann im grau-schwarzen Kapuzenpulli dem Prozess gegen ihn vor dem Amtsgericht Aschaffenburg nicht richtig folgen, als verstehe er die Fragen des Oberstaatsanwalts und der Nebenklägeranwälte nicht.

Der Mann, gebürtig aus Rheinland-Pfalz, musste sich am Mittwoch wegen fahrlässiger Tötung in zwei Fällen verantworten. Die Anklage warf ihm vor, daran schuld zu sein, dass Arbeiter an Bahngleisen an der bayerisch-hessischen Landesgrenze von einem Zug erfasst und getötet wurden.

Auch das Schöffengericht kam zu diesem Schluss. »Es ist eine fahrlässige Tötung in zwei Fällen«, sagte der Vorsitzende Richter Andreas Burghardt. Letztendlich entschied sich das Gericht für eine Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten, ausgesetzt zur Bewährung. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgelegt. Zudem muss der damals als Sicherungsaufsichtskraft eingesetzte 29-Jährige eine Geldauflage von je 2000 Euro an zwei Hinterbliebene zahlen, in Raten von je 100 Euro monatlich. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. (Az: 301 Ls 107 Js 10811/20)

Posten verlassen und telefoniert

Als Sicherungsaufsichtskraft hatte der Angeklagte am Unfalltag, dem 1. September 2020, eigentlich die Aufgabe, die Arbeiter auf seiner Gleisseite vor Zügen zu warnen oder die Strecke sperren zu lassen. Stattdessen hatte der 29-Jährige seinen Posten verlassen und war auf die andere Gleisseite gegangen. »Anschließend telefonierte er und beschäftigte sich mit seinem Mobiltelefon, ohne auf in den Gefahrenbereich einfahrende Züge zu achten«, sagte Oberstaatsanwalt Marco Schmitt.

»Es ist richtig, dass mein Mandant die Aufgabe hatte, die Arbeiter zu schützen«, sagte Verteidiger Christian Giloth. Dass er die Strecke zwischen Stockstadt am Main und Mainaschaff nicht wie eigentlich vorgeschrieben sperren ließ, weil die Arbeiter den nötigen Sicherheitsabstand zu den Gleisen nicht einhalten konnten, sei ein fataler Fehler gewesen. »Er hielt es für vertretbar, dass die Arbeiten so ausgeführt werden.«

Auf der gegenüberliegenden Gleisseite habe der Angeklagte wegen eines Güterzuges dann nicht die Regionalbahn in Gegenrichtung gesehen, die die 22 und 34 Jahre alten Opfer erfasste. »Er bedauert seine Fehlentscheidung an dem Tag auch ganz extrem.« Stress mit der Freundin, Ärger mit der Bank: »Er war deswegen nicht zu 100 Prozent bei der Sache«, sagte der Anwalt des 29-Jährigen.

Sorgfaltspflicht missachtet

Oberstaatsanwalt Schmitt sprach von Gleichgültigkeit und Außerachtlassung der Sorgfaltspflichten. »Er war am Handy, als der Zug kam«, bestätigte ein Kollege des Angeklagten, der als Sicherungsposten zum Unfallzeitpunkt auf der ihm zugeteilten Gleisseite stand, unweit des 29-Jährigen. »Er hat es am Anfang nicht mitbekommen, dass ein Zug auf meiner Seite kam«, sagte der 26-Jährige. Er selbst habe wegen des Güterzuges »Achtung, Zugfahrt!« gerufen. »Genau in diesem Moment kam von der anderen Seite auch ein Zug« - diesen zweiten Zug, eine Regionalbahn, habe der Angeklagte aber nicht bemerkt.

Als der Güterzug und die Regionalbahn weg gewesen seien, »habe ich gesehen, dass zwei Leute auf dem Boden liegen«, schilderte der 26-jährige Zeuge. »Als die zwei gestorben sind, hat er (der Angeklagte) das gar nicht mitbekommen.«

Der damalige Lokführer der Regionalbahn hat nach eigenen Worten gar nicht bemerkt, dass er zwei Menschen erfasste. »Ich habe irgendwas gehört.« Erst im Bahnhof Stockstadt unweit der Unfallstelle habe er von dem Unglück erfahren, nachdem er Blut am Zug entdeckt hatte.

Seitdem habe er Zweifel an seiner Arbeit: »Ich bin gerade dabei, den Job zu wechseln«, sagte der 32-Jährige. Er habe kein Vertrauen mehr »in das ganze System der Bahn«, auch weil er später noch Zeuge eines Beinaheunfalls geworden sei, bei dem ein Fahrdienstleiter Fehler gemacht habe. »Ich will auf jeden Fall nichts mehr mit der Bahn zu tun haben.« Bisher sei er noch bei der Hessischen Landesbahn angestellt. Was er künftig mache wolle, wisse er noch nicht.

© dpa-infocom, dpa:220302-99-351769/5