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Grünes Gewölbe: Prozess offenbart Täter und Teile der Beute

Nach über einem Jahr geht der Prozess wegen des Einbruchs ins Dresdner Grüne Gewölbe zu Ende. Einige der Juwelendiebe haben gestanden und Beute zurückgegeben - nicht ohne Gegenleistung.

Grünes Gewölbe Dresden
Das Residenzschloss mit dem Grünen Gewölbe in Dresden, Ort eines spektakulären Juwelendiebstahls. Foto: Sebastian Kahnert
Das Residenzschloss mit dem Grünen Gewölbe in Dresden, Ort eines spektakulären Juwelendiebstahls.
Foto: Sebastian Kahnert

Eine schnelle Nummer sollte es sein, das Objekt der Begierde war aber am Ende wohl doch nicht so leicht zu Geld zu machen wie gedacht. Wer den spektakulären Einbruch ins Historische Grüne Gewölbe in Dresden initiiert und geplant hat, ist weiter unbekannt. Aber sicher ist nun, dass der Juwelendiebstahl vor dreieinhalb Jahren auf das Konto des Berliner Remmo-Clans geht. Fünf Mitglieder der bekannten arabischstämmigen Großfamilie haben vor einer Dresdner Strafkammer ihre Beteiligung daran oder an der Vorbereitung gestanden und erzählt, wie der Coup abgelaufen ist. Und der Großteil des gestohlenen Schmucks ist zurück - der Fall aber längst noch nicht aufgeklärt.

Der Einbruch ins Schatzkammermuseum war einer der spektakulärsten Kunstdiebstähle in Deutschland und machte auch international Schlagzeilen. Drei Brüder und ihre Cousins zwischen 24 und 29 Jahren, die bis zum Sommer 2021 bei Razzien in Berlin gefasst wurden, müssen sich wegen schweren Bandendiebstahls, Brandstiftung und besonders schwerer Brandstiftung verantworten. Fünf von ihnen sind in Untersuchungshaft, ein 25-Jähriger verbüßt noch seine Jugendstrafe wegen des Goldmünze-Diebstahls aus dem Berliner Bode-Museum 2017.

21 Schmuckstücke gestohlen

Ein sogenannter Deal brachte Anfang 2023 die Wende in dem Prozess am Landgericht Dresden, der unter erheblichen Sicherheitsvorkehrungen in einem speziellen Verhandlungssaal läuft. Bis dahin hatten sich die Angeklagten ausgeschwiegen zur Sache. Im Dezember 2022 dann stellte die Verteidigung die Herausgabe der Beute in Aussicht. Kurz vor Weihnachten lagen aber nur 18 der 21 gestohlenen Schmuckstücke, teils beschädigt und unvollständig, auf dem Tisch einer Kanzlei im Berliner Westen.

Der Anfang Januar geschlossenen Verständigung zwischen Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Gericht stimmten vier der Angeklagten zu und verpflichteten sich zu »glaubhaften Geständnissen« und Befragungen - gegen verminderte Strafen. Was sie vor Gericht erzählten, fügt sich zu einem filmreifen Szenario.

Am Anfang stand demnach ein Handyfoto vom »Dresdner Grünen«, aufgenommen beim Schulausflug eines Kumpels ins Grüne Gewölbe, das einer der beiden jüngsten Angeklagten erhalten hatte. Die Idee wurde aber nach Besuchen im Neuen Grünen Gewölbe in der ersten Schlossetage als zu schwierig verworfen. Das rekonstruierte Juwelenzimmer im Erdgeschoss indes schien zugänglicher, zumal eine Aufsicht einem der Angeklagten versicherte, dass »die Steine echt sind«, und ihm die Vitrine mit den »teuersten« zeigte.

Einbruch lange vorbereitet

Der Einbruch wurde über Monate vorbereitet, Autos, Kennzeichen, Handys beschafft. Bevor sie zuschlugen, fuhren mehrfach Teams nachts von Berlin nach Dresden, testeten die Sicherheitsanlagen am Residenzschloss und schnitten mit einer hydraulischen Rettungsschere, wie die Feuerwehr sie benutzt, ein Stück aus dem historischen Gitter vor dem Fenster zum Museum, das der Fassadenscanner wegen eines Vordachs nicht erfassen konnte. Dann setzten sie es mit Klebeband wieder ein. Zu ihrer Verwunderung passierte nichts, obwohl das Schneiden »schon sehr laut war« und sie vor der Fassade herumhüpften.

Am frühen Morgen des 25. November 2019 rasten die Autos erneut von der Bundeshauptstadt gen Süden - zu sechst. Ein 26-Jähriger setzte dort, mit Hilfe von Benzin in Kochtöpfen, zuerst einen Stromverteiler in Brand, um Licht und Alarm im Schloss zu löschen – aber nur die Straßenlaternen gingen aus.

Der Hauptakt war dann Minutensache: Um 4.56 Uhr stiegen der mit 29 Jahren älteste Angeklagte und eine bisher nicht angeklagte Person ins Museum ein, schlugen mit einer Axt Löcher in die Vitrine mit den prächtigsten Preziosen und rissen heraus, was sie zu fassen bekamen. Nach nicht mal fünf Minuten waren sie wieder draußen, mit dem wertvollen Schmuck aus Diamanten und Brillanten im Gesamtwert von über 113 Millionen Euro.

Wenige Kilometer entfernt wechselten sie in ein anderes Auto, nachdem sie ihren Wagen in der Tiefgarage eines Wohnhauses in Brand gesetzt hatten, um Spuren zu verwischen. Für den einen war es »ein echtes Abenteuer, eine Art Mutprobe«, ein anderer wollte sein verblasstes Image als gefeierter »Meisterdieb« zurück. Da kam ihm die Pause im Goldmünze-Prozess gerade recht. Fünf Angeklagte zeigten in ihrem letzten Wort Reue und entschuldigten sich für die Tat. Ein 25-Jähriger hat ein Alibi, das nicht erschüttert werden konnte: eine Notfall-Behandlung in einer Berliner Klinik.

Vieles im Dunkeln

Die Rückgewinnung der wertvollen Kunstobjekte stand wohl Pate beim »Deal«. Der ist auch in Justizkreisen umstritten, obwohl die Verständigung längst zu Gerichtsverfahren in Deutschland gehört. Ein früherer Richter nannte es eine Farce. »Wie glaubhaft sind Angaben, bei denen jedes Wort zuvor genau mit den Verteidigern abgesprochen wird.« So verlasen Verteidiger die Geständnisse, und gemäß ihrem Wunsch liefen die Befragungen so, dass sie jeweils mehrere Fragen extern mit ihren Mandanten besprachen und Antworten formulierten.

Dass Clan-Mitglieder vor Gericht plaudern, ist für Berliner Staatsanwälte neu. »In Verfahren, mit denen ich bisher zu tun hatte, haben sich die Remmos bisher nie geäußert«, sagte Thomas Schulz-Spirohn. Auch eine Verständigung habe es noch nicht mit Straftätern aus der Familie gegeben. Auch Ralph Knispel, Vorsitzender der Vereinigung Berliner Staatsanwälte, ist dergleichen bisher nicht bekannt. Bei der Entscheidung, Geständnisse und Beute anzubieten, könne das drohende Strafmaß - bis zu zehn Jahre Jugendstrafe und bis zu 15 Jahre bei Erwachsenen für besonders schwere Brandstiftung – eine Rolle gespielt haben.

Auch weil die Verteidigung zur Bedingung des »Deals« machte, dass ihre Mandanten nicht zur Belastung Dritter verpflichtet sind, ist vieles im Dunkel geblieben. So nannten zwei der Angeklagten ihre beiden Mittäter nur »X« und »Y« und machten keine Angaben, wer die Tat geplant und die Fäden gezogen hat. Es müsse viele Hintermänner, Drahtzieher, Helfershelfer und Mitwisser gegeben haben, sagt der Jurist und Publizist Butz Peters als Prozessbeobachter. »Aber dazu herrschte eisernes Schweigen.« Dennoch sei es möglich, dass einige Angeklagte am Dienstag mit der Urteilsverkündung das Gerichtsgebäude als freie Personen verlassen können, sagt ein Gerichtssprecher. Denn der »Deal« sieht vor, dass die Haftbefehle außer Vollzug gesetzt werden - gegen Auflagen.

Kein Alarm am Tag der Tat

Zeugenaussagen von Ermittlern und Sachverständigen im Prozess offenbarten auch, welche Blauäugigkeit und Versäumnisse es im Bereich Sicherheit gab, die das Plündern von Sachsens »Staatsschatz« zumindest begünstigten: Der Außenschutz per Scanner, eine Art elektronischer Fassaden-Vorhang, hatte eine bekannte Lücke. In der Sicherheitszentrale bekam niemand mit, wie in Nächten vor dem Einbruch Menschen über die Schlossmauer kletterten. Und am Tattag war der Alarm nicht scharf geschaltet.

Zu spät für die einzigartigen Preziosen, deren Großteil zwar wiedergewonnen, aber auch beschädigt ist. Die Direktorin des Art-Loss-Registers für gestohlene Kunst in London, Amelie Ebbinghaus, ist skeptisch, dass man aus der Beute viel Profit machen könnte. »Ich vermute schon, dass zumindest ein Teil der Juwelen, die noch vermisst werden, es deshalb sind, weil man die relativ gut zerlegen oder umschleifen kann.« Das gehe nur innerhalb der Organisierten Kriminalität, dort könne auch damit gehandelt werden.

Die noch fehlenden Schmuckstücke haben mehrere Dutzend große Brillanten, darunter den »Sächsischen Weißen« von mehr als 49,8 Karat. Ebbinghaus hält es für sehr unwahrscheinlich, dass ihre Firma sie jetzt schon mit einer Marktrecherche wiederfindet oder dass sie in zwei, drei Jahren irgendwo auftauchen. Dies wäre »in 10 oder 20 Jahren« vorstellbar. Doch erstmal seien diese Schmuckstücke von der Bildfläche verschwunden.

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