BEIRUT. Nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut steht die Stadt am Mittelmeer unter Schock. Die Zahl der Toten stieg auf mindestens 100, wie das libanesische Rote Kreuz erklärte. Demnach wurden etwa 4000 Menschen verletzt.
Rettungshelfer suchten in den Trümmern nach weiteren Opfern. Der Generalsekretär des Roten Kreuzes, George Kattanah, sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Zahl der Opfer werde wahrscheinlich weiter steigen. Aus Sicherheitskreisen hieß es, es würden noch mindestens 100 Menschen vermisst. »Es liegen noch immer viele Menschen unter den Trümmern«, sagte ein Offizieller, der ungenannt bleiben wollte.
Die schweren Schäden machten viele Häuser unbewohnbar. Zwischen 200.000 und 250.000 Menschen hätten ihre Unterkünfte verloren, sagte Gouverneur Marwan Abbud dem libanesischen Fernsehsender MTV. Sie würden mit Lebensmitteln, Wasser und Unterkünften versorgt. Es seien Schäden in Höhe von drei bis fünf Milliarden US-Dollar entstanden - »möglicherweise mehr«, sagte er der Nachrichtenagentur NNA zufolge.
Experten warnten vor den Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes, die seit Monaten ohnehin unter einer der schwersten Krisen in der Geschichte des Libanons leidet. »Diese Explosion ist der Sargnagel für die Wirtschaft des Libanons und für das Land im Allgemeinen«, sagte der Analyst Makram Rabah der Deutschen Presse-Agentur. Die Menschen könnten ihre Häuser nicht wieder aufbauen, weil ihnen das Geld fehle. Der Hafen in Beirut sei zudem die Lebensader des Landes. Da dort unter anderem Getreidesilos zerstört worden sei, müsste das Land jetzt mit Hunger und Engpässen bei Brot rechnen.
Die Ermittler suchen zudem weiter nach der Ursache für die gewaltige Detonation in der Hauptstadt des Landes am Mittelmeer. Möglicherweise wurde sie durch eine sehr große Menge Ammoniumnitrat ausgelöst, die im Hafen gelagert worden war. Regierungschef Hassan Diab hatte am Dienstag gesagt, dass 2750 Tonnen der Substanz dort jahrelang ohne Sicherheitsvorkehrungen gelagert wurden. Laut Gouverneur Abbud wurde in einem Bericht von 2014 vor einer möglichen Explosion gewarnt.
Die Explosionen hatten am Dienstag Beirut und das Umland erschüttert. Große Teile des Hafens wurden vollständig zerstört. Aufnahmen zeigten ein Bild der Verwüstung. Auch die angrenzenden Wohngebiete wurden stark beschädigt. Auf den Straßen standen zahlreiche zerstörte Autos. »Das ist grauenhaft, das ist nicht normal«, sagte ein Mann, der am Morgen Scherben vor seiner Wohnung zusammenfegte.
Betroffen von der Explosion sind neben dem Hafen vor allem die beliebtesten Ausgehviertel, für die Beirut bekannt ist. Sogar in Orten rund 20 Kilometer von der Hauptstadt entfernt gingen Scheiben zu Bruch. Beirut, in dessen Großraum schätzungsweise bis zu 2,4 Millionen Menschen leben, wurde zur »Katastrophen-Stadt« erklärt.
Der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) im Libanon, Malte Gaier, sagte dem Deutschlandfunk, besonders beunruhigend seien »massive strukturelle Schäden«. So sei das staatliche Elektrizitätswerk komplett zerstört. Verwundete seine aufgrund des Ansturms auf Kliniken oft abgewiesen worden. Die Lage in Beirut sei »für uns vielleicht etwas vergleichbar mit dem Schockzustand, den wir am Morgen nach 9/11 in den USA hatten«, erklärte er.
Das Goethe-Institut zeigte sich »erschüttert«, dessen Gebäude in Beirut ebenfalls stark beschädigt wurde. Eine Mitarbeiterin sei leicht verletzt worden. Ob Deutsche unter den Todesopfern waren, blieb am Mittwoch zunächst unklar. Regierungschef Diab erklärte den Mittwoch zum Tag der landesweiten Trauer.
Mehrere Länder schickten Unterstützung. Aus den Niederlanden machte sich ein Team aus 70 Helfern auf den Weg, darunter Feuerwehrleute, Ärzte und Polizisten. Frankreich schickte zwei Militärflugzeuge mit 55 Angehörigen des Zivilschutzes und tonnenweise Material zur Behandlung von Verletzten. Tschechien schickte ein Team, das auf die Bergung von Verschütteten spezialisiert ist. Russland schickte fünf Flugzeuge mit Ärzten und einem mobilen Krankenhaus. Ein Krankenhaus im Norden Israels bot Hilfe bei der Versorgung von Verletzten an.
© dpa-infocom, dpa:200805-99-44378/16