Roland Kaiser ist eine halbe Stunde zu früh: Mit Weste, Einstecktuch, Jeans und Turnschuhen kommt er zum Interview in die Berliner Räume seiner Konzertagentur.
An seiner Seite: seine Frau Silvia. Kaiser umarmt die Mitarbeiterinnen, grüßt freundlich in alle Räume und zieht zum Fototermin sein Sakko über. So kennen ihn seine Fans: als Gentleman des Schlagers. Am Dienstag wird er 70 Jahre alt.
Kaiser kommt direkt von einem Termin. Man wolle einen Fernsehfilm über sein Leben drehen. Sicher keine schlechte Idee. Er selbst spricht von einem »abwechslungsreichen und spannenden Leben«.
Aufgewachsen im roten Wedding
Die leibliche Mutter, bei der Geburt gerade mal 16 Jahre alt, setzt ihr Baby vor einem Nonnen-Stift aus und gibt es zur Adoption frei. Kaiser wächst bei einer alleinerziehenden Reinigungskraft im Berliner Stadtteil Wedding auf. Als Teenager sieht er mit an, wie sie beim Wäscheaufhängen einen Herzinfarkt erleidet und später stirbt.
Das Aufwachsen im West-Berlin der Nachkriegszeit prägt Kaiser, der bürgerlich Ronald Keiler heißt, bis heute. »Meine politische Heimat ist die SPD geworden, weil sie in der Gegend, in der ich aufgewachsen bin, für alle die politische Heimat war. Der rote Wedding war SPD pur.«
Nach dem Tod der Pflegemutter bricht Kaiser die Volksschule ab und macht eine Ausbildung zum Automobilkaufmann. Abends singt er in Kneipen und auf Hochzeiten. Sein späterer Produzent Thomas Meisel wird Mitte der 70er auf ihn aufmerksam. Die Karriere beginnt - unter einem leicht veränderten, aber durchaus glamouröseren Künstlernamen.
»Santa Maria« singt er heute noch
Den ersten Charteinstieg feiert Kaiser 1976 mit dem heute eher unbekannten Song »Frei - das heißt allein«, der immerhin Platz 14 erreicht. Schon der zweite Charthit, »Sieben Fässer Wein«, bleibt unvergessen - auch wenn er eigentlich für Rex Gildo gedacht war.
Das Trinklied (»Sieben Fässer Wein werden uns nicht gefährlich sein«) singt der West-Berliner heute nicht mehr auf Konzerten. Dafür aber seinen bis heute einzigen Nummer-Eins-Hit »Santa Maria«. Kaiser erzählt die Entstehungsgeschichte der Ballade nicht zum ersten Mal - wie so vieles in seiner langen Karriere.
Kaiser und Co-Schreiber Norbert Hammerschmidt wollen eigentlich das gleichnamige Schiff von Christoph Kolumbus besingen. Für Produzent Meisel zu intellektuell: »Wie wollen wir Emotionen transportieren, wenn wir Geschichtsunterricht geben?«. Bei einer Flasche Rotwein entwerfen die enttäuschten Autoren eine »Spaßversion« mit völlig überdrehtem Text: »Nachts an deinen schneeweißen Stränden hielt ich ihre Jugend in den Händen«.
Eindeutig zweideutige Texte
Meisel ist begeistert, Kaiser perplex: Das Publikum liebt offenbar Herzschmerz und Zweideutigkeit. Das macht sich der »Philosoph gefangen im Körper eines Schlagersängers« (»taz«) fortan zunutze. »Ich habe in meinen Liedern versucht, über das Händchenhalten hinauszugehen. Beziehung ist auch Sexualität. Das kann man auch aussprechen, wenn man das stilvoll macht, ohne ordinär zu werden.«
In Kaisers Texten geht es um Verführung (»Joana. Geboren, um Liebe zu geben«), heimliche Affären (»Manchmal möchte ich schon mit dir, eine Nacht das Wort «Begehren» buchstabieren«) und Begierde (»Lieb mich ein letztes Mal. Lass mich dich noch einmal spür'n«). Der »Stern« nennt ihn den »Soft-Pornograph des deutschen Schlagers«.
Kein Wunder, dass ihm privat die Frauenherzen zufliegen. Dreimal steht Kaiser vor dem Traualtar. Die erste Ehe scheitert nach zehn Jahren (»Ich war damals einfach zu jung und habe vielen Versuchungen nicht widerstehen können«), die zweite schon nach fünf (»Ich habe damals jede Arbeit angenommen, die ich kriegen konnte. Das war einfach zu viel«). Mit seiner jetzigen Frau Silvia ist Kaiser seit 26 Jahren verheiratet: »Das ist für mich der wichtigste Mensch in meinem Leben.«
Die Münsteranerin steht dem Kultsänger auch in seiner wohl schwersten Phase bei. Im Jahr 2000 diagnostizieren Ärzte bei dem damaligen Kettenraucher die chronische Lungenkrankheit COPD, die Kaiser lange geheim hält. »Rückblickend wäre es intelligent gewesen, das direkt offen zu sagen, um Spekulationen zu vermeiden«, sagt Kaiser heute. »Ich wollte einfach nicht meine Verletzbarkeit zeigen.«
Irgendwann geht es nicht mehr, der Musiker öffnet sich auf der Bühne. Eine Transplantation rettet ihm 2010 das Leben. Seine Ärzte sagen, sie hätten während des Eingriffs Kaiser-Songs gehört. Wenige Monate später passiert etwas, was die Experten nicht für möglich halten: Kaiser steht wieder auf der Bühne und startet seine zweite Karriere.
Mit Maite Kelly landet er 2014 auch beim jungen Publikum einen Hit. Das Duett »Warum hast du nicht nein gesagt« zählt auf Youtube über 140 Millionen Abrufe und wird auch am Ballermann mitgesungen. Ohnehin ist das Publikum auf Kaisers Konzerten bunt gemischt: Hoch betagte Senioren treffen auf Kegelvereine und Abiturientinnen.
Ruhestand ist nicht in Sicht
Kaiser genießt sein zweites Leben. Neben einem Haus im Münsteraner Stadtteil Sankt Mauritz legt er sich wieder eine Wohnung in der Hauptstadt zu. Die Urlaube verbringt das Ehepaar meist auf Sylt, wo der Hobbypilot ein kleines Flugzeug besitzt.
An Ruhestand denkt der Schlagerstar nicht, im Gegenteil. In diesem Jahr plant er Sommer-Open-Airs, sieben Auftritte der legendären »Kaisermania«-Gigs in Dresden, ein neues Album im September und eine große Geburtstagstournee ab Herbst.
»Es ist ja nicht so, dass es mich stresst. Ich habe daran Freude«, sagt Kaiser, der mit seiner Frau Sport macht, gesund lebt und schon lange nicht mehr raucht. »Solange ich das kann, gesund bin und die Menschen im Publikum Spaß haben, mache ich das weiter.«
Die 70 nimmt Kaiser, der bei seinen Konzerten nach wie vor elegant im Dreiteiler auftritt, gelassen. Seine Frau und drei Kinder hätten ihn zu einer Reise überredet. »Wir fahren in die Berge, sind zusammen und feiern den Tag gemeinsam - und dann ist gut.« Besondere Wünsche habe er in seinem Leben nicht mehr. »Ich bin ein glücklicher Mensch.«
Im Sommer spielt Roland Kaiser 22 Open-Air-Konzerte (10.6.-25.8.) und tritt sechsmal bei der »Kaisermania« in Dresden auf (29.-31.7. und 4.-6.8.). Am 28.10. startet seine Geburtstagstour »Perspektiven«.
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