Nahezu windstill, ein paar Wolken, um die 20 Grad: Wie aus dem Nichts kippt eine mehr als 20 Meter hohe Buche im Würzburger Ringpark um und begräbt eine Frau unter den schweren Ästen. Die 59-Jährige, die auf einem Fahrrad unterwegs war, stirbt wenige Stunden später in einer Klinik.
Zurück bleiben neben den schockierten Angehörigen ratlose Stadtvertreter. Vergleichbare Fälle in Deutschland sind rar - in Erinnerung ist so manchem vielleicht noch der Tod eines Kleinkindes in Augsburg, das vor zwei Jahren auf einem Spielplatz durch einen umgestürzten Baum starb.
Fünf bis zehn Tote jährlich
»Das Risiko, in Deutschland durch einen Baum zu sterben, ist extrem gering. Wir sind da bei eins zu zehn Million ungefähr«, sagt Steffen Rust, Experte für Baumdiagnose an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen.
Er verweist auf fünf bis zehn Tote jährlich, häufig unwetterbedingt. »Das ist ungefähr in der Größenordnung wie die Wahrscheinlichkeit, vom Blitz erschlagen zu werden.« Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr starben auf deutschen Straßen laut Statistischem Bundesamt 2788 Menschen.
Der um die 100 Jahre alte Baum in Würzburg war nach Worten von Umweltreferent Martin Heilig im Dezember routinemäßig kontrolliert und danach immer wieder angeschaut worden. Die Prüfer hätten gewusst, dass die Buche nicht gesund gewesen sei - wie die meisten Bäume in dem Park, der die Altstadt umgibt. Hinweise, dass der gewaltige Baum umkippen könnte, habe es aber nicht gegeben. »Das ist eine Tragödie«, sagt Heilig. Mögliche Versäumnisse wollen nun Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln.
Zu heiß, zu trocken, zu viele Abgase - die Gartenämter der Kommunen wissen bald nicht mehr, was sie in Zeiten des Klimawandels pflanzen sollen. Vor allem in den Städten kommen Bäume wie Linde, Kastanie und Ahorn nach Erkenntnis von Wissenschaftlern der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) immer schlechter mit Dürre und Strahlungshitze zurecht.
Unscheinbarer Pilzbefall, versteckter Riss in der Rinde
Die Trocken- und Hitzejahre seit 2017 hätten das Baumsterben in den Kommunen beschleunigt. In Würzburg etwa gingen früher im Schnitt 160 Stadtbäume pro Jahr ein. »2019 waren es 1470 Straßen-, Park- und Friedhofsbäume«, sagt Susanne Böll vom LWG-Arbeitsbereich Urbanes Grün. »Und in anderen Städten war das nicht viel anders. Das ist die neue Normalität, und es kann noch schlimmer werden.«
Manchmal ist es ein unscheinbarer Pilzbefall, der auf eine Baumerkrankung hinweist, manchmal ein versteckter Riss in der Rinde, der Fäulnis offenbart. Eine kritische Untersuchung des Wurzelansatzes kann zeigen, wie es um die Stabilität des Stammes steht.
Alle ein bis drei Jahre werden Deutschlands Stadtbäume im Schnitt angeschaut, die meisten per Sichtkontrolle, wie Baumpflegeexperte Rust erzählt. Gibt es Anzeichen für mangelnde Standfestigkeit, könne diese mit einem Zugversuch überprüft werden.
»In 10 bis 15 Metern Höhe wird ein Seil befestigt«, erklärt Rust. »Der Baum wird mit Messgeräten ausgestattet. Wir ziehen mit einer Handwinde an dem Baum und simulieren so eine Windlast.« Aus der Bewegung des Baumes könne man dann abschätzen, welche Last er aushält, bevor er umkippen würde.
Kontrolleure suchen Zeichen für verringerte Standsicherheit
Baumkontrolleure untersuchen seiner Kenntnis nach täglich um die 100 Bäume. »Dies kostet irgendwas zwischen drei und neun Euro pro Baum«, sagt Rust, und dauere nur wenige Minuten. Nur wenn der Kontrolleur Anzeichen für verringerte Stand- oder Bruchsicherheit sehe, gebe es eine eingehende Untersuchung.
Möglich sei dann beispielsweise eine Schalltomographie für 300 bis 800 Euro, die den Querschnitt des Stammes abbilde und etwas über die Bruchsicherheit aussage. Zugversuche kosteten meist deutlich mehr als 1000 Euro. »Das macht man dann nur bei wirklich wertvollen Bäumen, weil die Kommunen in der Regel nicht so viel Geld für solche Untersuchungen haben«, erklärt Rust.
Im Freiburger Stadtgarten krachte vor rund einem Jahr eine große Buche plötzlich um - pilzbedingte Holzfäule hatte dem Baum zugesetzt. Verletzte gab es keine. Auch bei dem Fall in Augsburg hatte ein Pilz den Baum geschwächt. Das Unglück mit dem getöteten Mädchen vom Juli 2021 wird am Montag (25. September) vor dem Amtsgericht verhandelt. Die Staatsanwaltschaft wirft einem Baumkontrolleur fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vor.
Die Anklage geht aufgrund eines Gutachtens davon aus, dass der städtische Mitarbeiter bei der Kontrolle des Ahorns im Mai 2020 den Pilzbefall hätte bemerken und weitere Maßnahmen ergreifen müssen. Der Verteidiger erklärte hingegen, dass es ein Gegengutachten gebe, wonach der Mitarbeiter ausreichende Maßnahmen ergriffen habe. Sein Mandant habe den drohenden Baumsturz nicht erkennen können.
Experte hält Kontrollintervalle für ausreichend
Im viel zu trockenen Würzburg gab es zuletzt wegen der gestressten Stadtbäume mehr Personal für die Baumpflege und -kontrolle, ausgerüstet etwa mit Sondierstab, Fernglas, Maßband und Zollstock. Fast eine Million Euro würden zudem jährlich für externe Experten und Pflegemaßnahmen der mehr als 44.000 Stadtbäume ausgegeben.
»Auffällige Bäume werden zuggeprüft«, versichert Stadtsprecher Christian Weiß. »Defekte im Stamminneren und im unterirdischen Wurzelbereich sind nicht ohne weiteres zu erkennen.«
Baumexperte Rust hält die Kontrollintervalle für ausreichend. »Wir sind in Deutschland sehr akribisch.« In anderen Ländern seien die Intervalle deutlich länger, »und es sterben auch nicht mehr Leute«.
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