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Gedenken und Friedensbotschaften: 80 Jahre Möhnekatastrophe

Die britische »Operation Chastise« zielte 1943 auf Talsperren an Möhne, Sorpe und Eder. Vom Möhnetal rollte eine Flutwelle bis ins Ruhrgebiet. Im Erinnern stecken Perspektiven mehrerer Generationen.

Vor dem 80. Jahrestag der Zerstörung der Möhnetalsperre
Bei einem Luftangriff der britischen Royal Air Force in der Nacht vom 16. auf den 17. Mai 1943 wurde die Talsperre zerstört. Foto: David Inderlied
Bei einem Luftangriff der britischen Royal Air Force in der Nacht vom 16. auf den 17. Mai 1943 wurde die Talsperre zerstört.
Foto: David Inderlied

»Vom Kellerfenster aus konnten wir auf die Mauer gucken. Da haben wir die Flieger gesehen und man hat die Schießerei gehört. Ein Bomber, der getroffen wurde, flog brennend zwischen den Türmen durch und in unsere Richtung.« Karl-Heinz Wilmes war noch keine fünf Jahre alt, als britische Piloten in der Nacht auf den 17. Mai 1943 Bomben auf die Möhnetalsperre abwarfen.

»Wir haben mit zwei Familien in dem Haus gewohnt. Mit 14, 15 Personen sind wir runter in den Keller gegangen, wir Kinder hatten Trainingsanzüge über die Schlafanzüge gezogen. Irgendwann hörte der Geschützdonner auf und dann hörte man nur noch ein lautes Rauschen. Da sagte meine Großmutter auf Platt: «Jetzt haben sie die Möhne getroffen!»«

Mitten im Zweiten Weltkrieg starteten 133 Männer in 19 Flugzeugen von der britischen Basis Scampton aus mit dem Ziel, Staudämme im heutigen Nordrhein-Westfalen und Hessen zu bombardieren. Die »Operation Chastise« - Operation Züchtigung - war akribisch vorbereitet worden. Die Spezialstaffel Nummer 617 hatte die Abläufe wochenlang geübt, die eingesetzten Bomben waren eigens für die Operation entwickelt worden. Der Angriff auf die Staudämme galt vor allem der Wasserversorgung der deutschen Rüstungsindustrie.

Wie Kiesel sollten die speziellen Rollbomben über das Wasser hüpfen, untergehen und dann explodieren. An der Möhnetalsperre war es die fünfte abgeworfene Bombe, die so ein Loch in die Mauer riss. Auch die Talsperre an der Eder wurde schwer getroffen, während die Sorpe-Staumauer kaum Schaden nahm.

Erinnerungen eines Zeitzeugen

Wilmes ist einer der letzten Zeitzeugen, die heute noch von dem Angriff und der anschließenden Flut berichten können. Millionen Kubikmeter Wasser strömten damals vom Möhnetal bis ins Ruhrgebiet. Wie viele Menschen ums Leben kamen, ist nicht eindeutig belegt. Mindestens 1300 Tote gab es, manche Schätzungen liegen höher.

Die Aufarbeitung des 17. Mai 1943 hat ihn sein Leben lang begleitet. Er blieb in Möhnesee, lebt mittlerweile wenige Meter von dem Haus entfernt, in dessen Keller er damals den Angriff erlebte. Der heute 84-Jährige war 25 Jahre lang Vorsteher des Ortsteils Günne und organisierte die Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag. 2013 - zum hundertjährigen Bestehen der Talsperre und 70-jährigen Jahrestag des Angriffs - stellte er eine umfangreiche Ausstellung zusammen, mit Fotos und Archivmaterial. Mehr als tausend Menschen kamen damals in den kleinen Ort, um sie zu sehen, wie er erzählt.

Forschung

Geforscht hat Wilmes insbesondere auch zu den Opfern der Flut, zu den in Günne Gestorbenen kennt er die Einzelschicksale. Allerdings sind bis heute nicht alle Opfer identifiziert, auch weil darunter viele Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene waren. So starben allein in Arnsberg-Neheim, einige Kilometer von der Talsperre entfernt, mehr als 850 Menschen - die meisten von ihnen Zwangsarbeiterinnen aus Osteuropa, die im Lager eingeschlossen waren. Auch auf britischer Seite gab es Verluste: 56 Männer kehrten nicht vom Einsatz zurück.

Großbritannien bezeichnete die »Operation Chastise« dennoch als großen Erfolg. Die Geschichte der »dambusters« (Dammbrecher) wurde zur Legende und in den Folgejahren vielfach medial verarbeitet. Die Nationalsozialisten wiederum bemühten sich, die Bombardierung ihrerseits für Propaganda-Zwecke zu nutzen. So sei der damalige Rüstungsminister Albert Speer bereits einen Tag nach dem Angriff nach Möhnesee gekommen, um Eiserne Kreuze zu verleihen, berichtet Gemeindearchivarin Lena Lewald.

Gedenken

Gemeinsam mit Maren Wegmann, der Archivarin für Ense und Wickede, hat Lewald eine Ausstellung zum Gedenktag vorbereitet. Diese basiere auf dem Material des Zeitzeugen Wilmes, sagt Lewald. Es gebe verschiedene Themenbereiche, von der englischen Seite über die Propaganda-Ausschlachtung durch die Nationalsozialisten bis hin zur späteren Rezeption der Katastrophe.

In dem Zusammenhang werde auch der rasche Wiederaufbau der Sperrmauer thematisiert: »Es sollte gezeigt werden, dass Deutschland durch den Angriff nicht getroffen wurde und weitermacht«, berichtet Lewald. Man habe versprochen, die Mauer innerhalb von vier Monaten wieder aufzubauen. »Dazu wurden wieder Zwangsarbeiter hergeholt, von denen viele wegen der schlechten Arbeitsbedingungen starben.« Ein wenig zeichnet die Ausstellung auch die Geschichten dieser Menschen nach. Gezeigt werden Karteien, auf denen zum Beispiel ihre Herkunftsorte und Berufe zu sehen sind.

Die Ausstellung ist einer von vielen Programmpunkten rund um den 80. Gedenktag. Den ganzen Mai über finden in Möhnesee und Umgebung Aktionen statt. »Da haben wir zum Beispiel Heimatvereine, Schulen und Kirchen zusammengetrommelt«, erzählt Lewald. 80 Jahre nach dem Angriff gebe es vor allem zwei Ziele, erläutert die Archivarin: »Zum einen hoffen wir natürlich, dass sich möglichst viele Menschen einfinden, um der Opfer zu gedenken.« Es gehe aber auch darum, Bürger zu informieren, denen das Thema bislang nicht präsent sei - und eine Friedensbotschaft zu vermitteln.

Frieden und Freundschaft

Die Erinnerungskultur in der Region umfasst heute auch einen Blick in die Zukunft, gerade Kinder und Jugendliche sollen aktiv einbezogen werden. »Manche bringen schon viel Wissen mit, andere nicht«, erzählt der pensionierte Lehrer Meinolf Padberg, der zu dem Thema Projekte an vier Schulen koordiniert. Die Motivation, gemeinsam Friedensaktionen für den Gedenktag zu gestalten, sei aber durchweg hoch. »Es ist eine wichtige Aufgabe, die Erinnerung wachzuhalten - nicht, um in dauerhafter Trauer zu sein, sondern mehr als Mahnung«, sagt Padberg.

Die Schulaktionen stehen unter dem Motto Frieden und deutsch-britische Freundschaft. Da ist etwa eine gemeinsame Ausstellung mit dem Heimatbund Neheim-Hüsten, die historisches Material und aktuelle Friedenswünsche der Jugendlichen verbindet. Oder die Einweihung einer neuen Gedenkstätte für die abgeschossene britische Lancaster-Maschine - den Flieger, den Wilmes damals brennend in der Luft sah. Über Soest stürzte der Bomber schließlich ab. Die Royal British Legion habe angeboten, die Patenschaft für die Gedenkstätte zu übernehmen, berichtet Padberg.

Ein Projekt mit den Jüngsten lief bereits vor einer Weile an: Da schickten sich Grundschulkinder aus dem Sauerland und Scampton gegenseitig Briefe und Postkarten. Für den 17. ist noch ein Friedensmarsch der Grundschüler geplant. Und nach dem Gedenktag? »Wir gehen mit viel Zuversicht daran, den Kontakt weiter auszubauen«, sagt Padberg. Auch unter den Erwachsenen würden Kontakte nach Scampton gepflegt, berichtet die Archivarin Lewald. »Zur Gedenkveranstaltung kommen auch zwei offizielle Gäste der Royal Air Force«, kündigte sie an. Man habe auch weitere britische Vertreter eingeladen, die an dem Tag aber nicht anreisen könnten - wegen eigener Gedenktermine.

© dpa-infocom, dpa:230512-99-658420/2