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Aktuell Interview

GEA-Verleger: Darum brauchen wir verschiedene Meinungen

In Deutschland gilt Meinungsfreiheit, das ist seit 75 Jahren im Grundgesetz verankert. Doch bei politischen Themen haben viele Menschen das Gefühl, sich nicht frei äußern zu können. Ist eine der größten Errungenschaften des Landes in Gefahr? GEA-Verleger Valdo Lehari sieht das nicht so. Im Interview erklärt er außerdem, warum Streiten und eine pluralistische Gesellschaft wichtig sind und wie Medien und Journalisten der Polarisierung entgegenwirken können.

Valdo Lehari jr. wird den GEA auch in Zukunft sowohl gedruckt als auch digital anbieten und weiterentwickeln. FOTO: SCHANZ
Valdo Lehari jr. wird den GEA auch in Zukunft sowohl gedruckt als auch digital anbieten und weiterentwickeln. FOTO: SCHANZ
Valdo Lehari jr. wird den GEA auch in Zukunft sowohl gedruckt als auch digital anbieten und weiterentwickeln. FOTO: SCHANZ

GEA: In Deutschland darf jeder seine Meinung frei äußern, das steht so im Grundgesetz. Gibt es dennoch Themen, zu denen Sie lieber nichts sagen?

Valdo Lehari: In der Regel nicht. Es gibt immer wieder Trendthemen, die mehr im Fokus stehen und solche, die im gesellschaftlichen Diskurs aktuell weniger auftauchen, Anklang finden oder zeitweise tabu sind. Das ist normal. Ich kann mich noch erinnern, in den Siebzigerjahren an der Uni Freiburg hat man Schwierigkeiten gehabt, wenn man etwas gegen den damaligen Palästinenser-Präsidenten Jassir Arafat gesagt hat.

Der Nahost-Konflikt ist auch aktuell ein Thema, das die Debatte um die Meinungsfreiheit befeuert…

Lehari: Wenn ich äußere, ich bin für eine Zwei-Staaten-Lösung und somit auch für einen Palästinenserstaat, dann ist das komplett durch Artikel 5 des Grundgesetzes gedeckt. Wenn ich es aber beispielsweise in Verbindung bringe mit einer Zerstörung des Staates Israel – und da wird ja auch nicht differenziert zwischen dem Staat und der Regierung – dann kann das schon ein Fall für Ordnungsamt oder Polizei sein.

Zur Person

Valdo Lehari (70) ist Verleger und Geschäftsführer des Reutlinger General-Anzeigers. Er ist zweifacher Familienvater und Jurist. Lehari ist Vorsitzender des Verbandes der Südwestdeutschen Zeitungsverleger (VSZV), Past- und Vizepräsident des Europäischen Zeitungsverlegerverbandes ENPA sowie Ehrenvorsitzender und Vorstandsmitglied des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV). Außerdem ist er stellvertretender Vorsitzender des dpa-Aufsichtsrats. (GEA)

Laut einer Allensbach-Umfrage haben nur 40 Prozent der Deutschen das Gefühl, ihre politische Meinung frei äußern zu können. Was sagen Sie dazu?

Lehari: Wir müssen solche Umfragen ernst nehmen, auch wenn sie widerlegbar sind. Deshalb sollten wir uns nicht eine einzelne herauspicken und die aktuelle Situation danach bewerten. Bei der Betrachtung des Umfrageergebnisses spielt auch eine Rolle, dass es heute viel mehr geäußerte Meinungen gibt, und zwar in völlig unterschiedlichen Formen. Ich frage mich mit Blick auf das Umfrageergebnis auch: Ist das Kritik am Andersdenkenden, dass man Angst hat, sich zu äußern? Ist es Kritik am Journalismus, dass man geäußerte Meinung nicht richtig wiedergibt, oder ist es letztendlich Angst vor Diffamierung?

Es ist der Kern der Demokratie, dass man unterschiedliche Meinungen zulässt

Woran liegt es, dass die gefühlte Meinungsfreiheit so niedrig ist?

Lehari: Ein Grund ist, dass wir eine immer weniger einheitliche Einschätzung von Wahrheit und Fakten haben. Wenn der Himmel blau ist, kann ich nicht sagen, er ist grün. Doch selbst bei solchen Tatsachen gibt es oft keinen Konsens mehr. Das resultiert aus einer Mischung aus Angst, Sorgen und dem Bedarf an einfachen Antworten. Hinzu kommt, dass man auf Social Media von Gleichgesinnten viel Bestätigung bekommt. Das ist mental viel leichter zu ertragen als Widerspruch. Demokratie ist nämlich anstrengend. Wenn man jedoch kein differenziertes Bild mehr haben will, damit auch nicht mehr umgehen kann, dann passiert es, dass man Widerspruch als Einschränkung der Meinungsfreiheit empfindet.

Obwohl es anstrengend ist: Warum ist es wichtig, dass es unterschiedliche Meinungen gibt und dass man sich mit diesen auseinandersetzt?

Lehari: Nur eine pluralistische Gesellschaft kann sich weiterentwickeln. Es ist der Kern der Demokratie, dass man sich aktiv einbringt, unterschiedliche Meinungen zulässt, dass man streitet und dass keiner die Wahrheit gepachtet hat. Dadurch sind Errungenschaften wie Pressefreiheit und Meinungsfreiheit überhaupt entstanden. Was zur Folge hat, dass Meinung letztendlich nicht vom Staat oder einem Herrscher vorgegeben wird.

Die Reaktionen auf Andersdenkende oder unpopuläre Meinungen werden aber immer extremer…

Lehari: Ich glaube, dass viele verlernt haben, aufmerksam zuzuhören, weil sie zu sehr in ihrer eigenen Welt leben. Die zentrale Rolle im Meinungsbildungsprozess ist aber, dass man zuhört. Wir brauchen eine positive Streit- und Diskussionskultur. In den Siebzigerjahren sind in Bonn auch die Fetzen geflogen, aber diese Art Anschläge, die wir im Moment erleben, dass man vor Sachen und vor Menschen keinen Respekt hat, das hat man damals der RAF und anderen radikalen Gruppen zugeschrieben. Aber heute ist die Hemmschwelle generell niedriger.

Viele haben verlernt, aufmerksam zuzuhören, weil sie zu sehr in ihrer eigenen Welt leben

Wo sehen Sie da die Rolle von Journalisten und Medien?

Lehari: Um der Polarisierung der Gesellschaft entgegenzuwirken, müssen wir gute, differenzierte und vielfältige journalistische Angebote machen. Wir müssen den Lesern Orientierung geben, Analyse betreiben über die Geschehnisse im Lokalen und in der Welt. Getrennt davon ist die Kommentierung. Das ist das, was uns nach dem Krieg durch die Amerikaner und die Engländer beigebracht wurde, dass Meinung und Nachricht getrennt werden müssen. Eine wichtige Voraussetzung für Journalisten ist auch eine gewisse Charakterstärke. Sie dürfen nicht korrumpierbar sein. Essenziell ist außerdem Neugier an den Menschen, Neugier an Neuem, Nähe zu den Menschen und Wissen. Andere Meinungen anhören und reflektieren und diese dann nicht unterdrücken, sondern widerspiegeln, gehört ebenfalls zum Handwerk.

Die journalistischen Angebote werden jedoch immer wieder scharf kritisiert. Ein häufiger Vorwurf, etwa bei Themen wie Flüchtlingskrise, Corona-Pandemie oder Ukraine-Krieg, lautet Einseitigkeit…

Lehari: Der Hintergrund dieses Vorwurfs ist ja bekannt. Der kommt daher, dass man eine andere Wahrheit und eine andere Berichterstattung will. Es gab auch eine Phase, in der man geglaubt hat, dass Frau Merkel mich jeden Tag anruft und mir mitteilt, was der General-Anzeiger zu schreiben hat. Das stimmt natürlich nicht. Es ist aber auch nicht sinnvoll, aus Prinzip gegen den Strom zu schwimmen und zu schreiben, Putin hat die Ukraine nicht angegriffen oder der SSV Reutingen spielt in der Oberliga um den Aufstieg. Manchmal sind sich Redaktionen in der Bewertung einzelner Geschehnisse einig. Wenn die Berichterstattung dann inhaltlich übereinstimmt, kann man nicht sagen, das ist Mainstream-Media, Lügenpresse oder eine grundsätzliche Einheitlichkeit.

Sehen Sie da einen Unterschied innerhalb der verschiedenen Medien?

Lehari: Ich glaube, dass die klassische regionale Abo-Zeitung breiter und differenzierter berichtet – auch über die Parteien im Gemeinderat. Wir dürfen nicht in einen Topf geworfen werden mit Boulevard-Medien, Sozialen Medien oder dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Letzterer hat bei der vergangenen Bundestagswahl beispielsweise lange Zeit nur die Kanzlerkandidaten interviewt und nicht gleichzeitig die anderen Parteien.

Sie kämpfen als Verleger und Verbandsfunktionär für eine vielfältige Medienlandschaft. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Lehari: Weil es um Pluralität geht. Ich halte die Zeitungslandschaft in Baden-Württemberg und Bayern deutschlandweit für vorbildlich. Was passiert denn dort, wo Zeitungen kollabieren? Dort entstehen demokratiefreie Zonen, dort gibt es Radikalisierung in Geist, Wort und Tat. Deswegen muss man für den Erhalt der Zeitungsvielfalt kämpfen. Es ist auch eine Pflicht gegenüber Redakteuren, die ermordet wurden oder im Gefängnis sitzen, damit das alles nicht umsonst war. Das Thema ist mir auch deshalb so wichtig, weil Hitler 1939 meinen Großvater enteignet hat und der Reutlinger General-Anzeiger geschlossen wurde.

Unser Grundgesetz benennt klar, wo die Meinungsfreiheit ihre Schranken findet

Fühlen Sie sich dabei von der Politik im Stich gelassen?

Lehari: Ja. Ein Kollege von mir in Niedersachsen hat sogar gesagt, dass die Bundesregierung bei den Zeitungen aktive Sterbehilfe betreibt. Da kann man bei so einer Gelegenheit nochmal appellieren: Es gibt sogar eine verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers, dem funktionierenden Pressewesen als Institutsgarantie aus Artikel 5 Grundgesetz entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Das heißt, wenn die Existenz des Pressewesens nicht mehr garantiert und in Schwierigkeiten ist, hat der Gesetzgeber sogar eine Pflicht, etwas zu tun. Und meiner Meinung nach findet fast gar nichts statt. Das ist sehr, sehr traurig und es ist eigentlich auch die Frage, warum die Medienpolitik in Deutschland nicht zur Chefsache gemacht wird.

Was wünschen Sie sich konkret?

Lehari: Eine Unterstützung bei der Transformation in die digitale Zukunft wie bei anderen Branchen wäre eine Möglichkeit. Oder zum Beispiel ein niedrigerer Mehrwertsteuersatz. Viele Menschen wollen noch eine gedruckte Zeitung, aber ich muss sie auch zustellen können. Eine staatliche Förderung für die Zustellung steht zwar im Koalitionsvertrag, ist aber im Grunde genommen leider vom Tisch. Es wäre schonmal geholfen, wenn man Worten auch Taten folgen lassen würde. Und dass man unsere Lage überhaupt anerkennt. Im Grunde genommen rufen wir nicht nach staatlicher Hilfe. Wir wollen aber, dass die Rahmenbedingungen in Deutschland und Europa, die uns das Leben schwer machen, abgestellt werden und nicht noch ein Ding nach dem anderen draufkommt.

Apropos Rahmenbedingungen: Im Grundgesetz ist auch die Pressefreiheit verankert. Ist Deutschland da Vorbild?

Lehari: In gewisser Form schon. Die Ausgestaltung des Artikel 5 im Grundgesetz ist einmalig. In der EU-Charta und in den Menschenrechtskonventionen der UNO und Europas ist etwa nur von »freedom of speech« die Rede. Pressefreiheit ist dort nicht explizit garantiert. Auf der anderen Seite ist die Meinungsfreiheit in den USA beispielsweise viel weiter gefasst als bei uns. Da kann man beleidigen und hassen ohne Ende. Das geht aber zu weit. Unser Grundgesetz benennt dagegen klar, wo die Meinungsfreiheit ihre Schranken findet. Die Erfolgsgeschichte des Grundgesetzes und auch der Freiheitsrechte, die seit 1949 in Deutschland gelten, ist auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu verdanken.

Die Freiheit, sich zu informieren, ist ebenfalls Teil des Artikel 5. Wie informieren Sie sich eigentlich?

Lehari: Abgesehen vom Reutlinger General-Anzeiger habe ich mehrere Druckexemplare hier und lese auch mehrere elektronische Ausgaben. Insgesamt sind es etwa zehn redaktionelle Quellen, die ich neben Hörfunk und Fernsehen täglich konsumiere, plus Fachzeitschriften. Aber auch Gespräche sind für mich wichtig.

Soziale Medien gehören nicht dazu?

Lehari: Nein, dafür habe ich keine Zeit. Ich halte auch nichts davon, nur dabei zu sein, um modern zu wirken. (GEA)