Rund ein halbes Jahr ist es her, dass die Polizei am frühen Morgen zu einem Verkehrsunfall mit einer toten Person auf der A7 nahe Schleswig gerufen wird.
Doch bald wird klar, die 32-Jährige ist wohl auch Opfer eines Gewaltverbrechens geworden. Unter Tatverdacht steht ihr heute 34 Jahre alter Ehemann. Der Syrer, der mit seiner ebenfalls syrischen Ehefrau zuletzt im dänischen Aarhus lebte, muss sich seit Montag vor dem Landgericht Flensburg wegen Mordes verantworten. Er habe seine Frau am 20. November 2021 aus niedrigen Beweggründen getötet, sagte die Staatsanwältin bei der Anklageverlesung. Er habe aus gekränkter Ehre und aus Rache beschlossen, die 32-Jährige umzubringen.
Sie wurde auf die Fahrbahn gedrängt
Demnach hatte die Frau Trennungsabsichten. Den Angaben zufolge war der Mann bereits in der Vergangenheit gewalttätig gewesen. Aus diesem Grund habe er auch das Sorgerecht für die beiden gemeinsamen Söhne verloren. Das Ehepaar war an dem Novembertag - einem Samstag - frühmorgens auf der Autobahn in Richtung Hamburg unterwegs, als der Mann nach Ansicht der Staatsanwaltschaft nahe Schleswig auf dem Standstreifen anhielt und mit einem Küchenmesser mindestens 24 Mal auf seine Frau einstach, um sie zu töten. Die 32-Jährige sei vom Beifahrersitz zunächst auf die Rückbank geflüchtet und später vom Angeklagten in Richtung Fahrbahn gedrängt worden, sagte die Staatsanwältin.
Die Frau sei dann bei Lürschau nahe der Autobahnausfahrt Schleswig/Schuby von einem Lastwagen erfasst worden und noch vor Ort gestorben. Ihren Tod habe der 34-Jährige in Kauf genommen, sagte die Staatsanwältin. Er ließ sich am Tatort widerstandslos festnehmen. Er kam zunächst in ein psychiatrisches Krankenhaus und später in Untersuchungshaft. Der Lastwagenfahrer konnte nicht ermittelt werden.
Am Montagmittag sagten zwei Ersthelfer vor der 1. Großen Strafkammer aus. Eine Krankenschwester, die von Flensburg aus auf dem Weg zur Arbeit nach Rendsburg war, kam als erste am Ort des Geschehens an. Sie sei gegen 6.05 Uhr an der Unfallstelle vorbeigefahren und habe ein Auto mit drei geöffneten Türen gesehen, sagte die Zeugin. Sie habe die Geschwindigkeit daraufhin gedrosselt und gesehen, dass vor dem Wagen eine Person gelegen habe. Sie habe gestoppt und die Person zunächst angesprochen, dann aber gesehen, dass diese nicht mehr lebe. Dass es sich dabei um eine Frau handelte, habe sie erst nicht erkannt.
Die Zeugin setzte eigenen Angaben zufolge einen Notruf ab und bemerkte dann einen Mann, der am Auto stand und sich über den Beifahrersitz ins Auto beugte. Sie sprach ihn demnach an und leuchtete ihn mit der Taschenlampe ihres Handys an. Daraufhin habe er sich mit einem Messer in der Hand zu ihr umgedreht und etwas in einer ihr unverständlichen Sprache gesagt, berichtete die Frau. Sie habe sich bedroht gefühlt, auch weil das Messer auf sie gerichtet gewesen sei. Insgesamt habe der Mann auf sie einen abwesenden, nicht ansprechbaren Eindruck gemacht. Auch der zweite Ersthelfer, der wenige Minuten später ankam, sagte vor Gericht, der Mann habe aufgewühlt und aufgebracht gewirkt. Kontakt zu ihm habe er aber nicht gehabt.
Der Angeklagte selbst äußerte sich nicht zu seiner Person oder zur Tat. Sein Anwalt stellte in einem Eröffnungsstatement - das den Angaben zufolge nicht als Einlassung des Angeklagten im Sinne der Strafprozessordnung zu verstehen ist - seinen Mandanten als unschuldig dar. Was sich genau ereignet habe, sei nicht bekannt. Es seien noch eine Vielzahl an Fragen zu klären und auch eine Anklage könne falsch sein. Ein solches »Opening Statement« zu Verhandlungsbeginn ist eher ungewöhnlich. Gestattet ist es aber bei Verhandlungen, für die mehr als zehn Prozesstage angesetzt sind, wie der Vorsitzende Richter sagte. In diesem Fall sind bisher 22 Sitzungstage bis Anfang Oktober geplant.
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