Ganz sicher habe ihr Sohn das gewollt, sagte die 66-Jährige vor dem Landgericht München I, wo am Montag ein Prozess gegen einen 53-jährigen Chirurgen wegen schwerer Körperverletzung und gegen ein Ehepaar aus Bayern begonnen hat. Es sei im Sinne ihres Sohnes gewesen, als sie den Chirurgen aus Grünwald bei München bat, ihrem heute 31 Jahre alten, geistig behinderten Sohn 2016 bei einer Leistenoperation auch gleich den Samenleiter durchzuschneiden, so die 66-Jährige. Seitdem ist der junge Mann zeugungsunfähig.
Dass dazu eine gerichtliche Genehmigung nötig ist, das habe sie nicht gewusst, sagte die Frau. Sie habe gedacht, es reiche, wenn sie und ihr Mann als Betreuer ihres Sohnes die Einwilligungserklärung unterschreiben. Und dass dann strafrechtliche Vorwürfe gegen das Ehepaar erhoben wurden, das habe sie geschockt.
Staatsanwaltschaft geht von Vorsatz aus
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die 66-Jährige und ihr Ehemann gesetzliche Hürden bei der Sterilisation ihres geistig behinderten Sohnes ganz gezielt umgehen wollten. Laut Anklage informierte die Ehefrau sich sogar vorher noch bei dem zuständigen Amtsgericht über die rechtliche Lage. Das Gespräch sei aber »diffus« gewesen und »nicht sehr erhellend«, sagte die Frau auf der Anklagebank.
Die Eltern stehen nun wegen Anstiftung zur schweren Körperverletzung vor dem Landgericht München I. Am Montag begann der Prozess gegen das Ehepaar und den Arzt, der »den Schnipp« durchführte, wie der 31-jährige Patient nach Angaben seiner Mutter die Sterilisation genannt habe.
Chirurg ist in zwei Fällen angeklagt
Der 53 Jahre alte Chirurg ist wegen schwerer Körperverletzung angeklagt - und zwar in zwei Fällen. Denn er soll laut Anklage auch einen damals 17-Jährigen bei einer Leisten-OP sterilisiert haben. Absicht, so die Staatsanwaltschaft. Ein Behandlungsfehler, sagte der Verteidiger des Mannes.
In einem Zivilverfahren wurden dem jungen Mann, der nach Angaben seines Anwalts ebenfalls einige Zeit unter Betreuung stand, in einem Vergleich bereits 60.000 Euro zugesprochen.
Für die Sterilisation eines Menschen, der unter Betreuung steht, gibt es laut Bundesjustizministerium besondere gesetzliche Hürden, die in der derzeitigen Form seit 1992 gelten.
Strenge rechtliche Voraussetzungen
Laut Paragraf 1830 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist eine Sterilisation zum Schutz der betreuten Person möglich, wenn strenge Voraussetzungen erfüllt sind. Dafür muss laut Justizministerium auch ein extra Betreuer, ein sogenannter Sterilisationsbetreuer, eingesetzt werden. Und es muss einen Gerichtsbeschluss geben. Laut Deutschem Ärzteblatt genehmigen Betreuungsgerichte pro Jahr deutschlandweit rund 100 Sterilisationen.
Eine Sterilisation sei »nur noch zulässig, wenn sie dem natürlichen Willen der betroffenen Person entspricht«, schreibt das Justizministerium - »und wenn schwerwiegende Notlagen, die mit einer Schwangerschaft verbunden wären, abgewendet werden sollen. Außerdem haben alle anderen zumutbaren Methoden der Empfängnisverhütung Vorrang«.
Zwar sei ihr Sohn ihres Wissens nach nicht sexuell aktiv, sagte seine Mutter vor Gericht. Aber Interesse an Frauen und Sex habe er schon. Die Eltern hätten aber gewollt, dass die Operation direkt zusammen mit der Leisten-OP durchgeführt wird, damit ihm, der wegen seiner langen Krankenhausgeschichte als Säugling panische Angst vor Krankenhäusern habe, eine weitere Operation erspart bleibe.
Und auch wenn er sich eine Beziehung wünsche - Kinder habe er damals und auch heute nicht haben wollen. Und verstanden habe ihr Sohn das Ganze auch, betonte die Frau. »Mama, es wird ein Schnipp gemacht, damit ich keine Kinder zeugen kann«, zitierte sie ihn. »Sie können mir glauben, das hat er aus eigener Kraft so formuliert.«
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