Was haben BVB-Trainer Edin Terzic, ein Klinikdirektor, viele Polizisten, Vorstandsmitglieder oder auch Rentner mit schmalem Geldbeutel gemeinsam? Den Friseur. Taner Dogan wäscht seiner Kundschaft in Dortmund an ungewöhnlicher Stelle den Kopf. Sein Salon liegt nicht an einer Shoppingmeile neben Boutiquen und Cafés, sondern im Discounter Netto. »Als wir den Laden eröffnet haben, sind wir belächelt, sogar beleidigt worden«, erzählt der 43-Jährige.
Aber dann spazierte ein bekannter Borussia-Nachwuchsfußballer durch seine Tür. Und es wurden immer mehr Prominente des Bundesligisten. Das Trainingsgelände ist um die Ecke. Seitdem läuft es rund für den türkischstämmigen Friseur. Derzeit treibt ihn das Leid der Erdbebenopfer in Syrien und der Türkei um. Er trommelt aktiv für deren Unterstützung, hat eine Spendenaktion initiiert.
Öffnen sich die Glastüren zum Discounter, liegt links im Vorraum die Friseurstube »Mr. und Mrs. Barber«. Dogan führt den Laden seit 2019 mit seiner Frau Derya Dogan, war dort zwei Jahre zuvor angestellt. Es war steinig zu Beginn. »Früher war hier eine Bäckerei drin. Als wir beim Umbau waren, haben viele angeklopft, wollten wissen, was wir planen und haben uns ausgelacht: Ein Friseurladen, das würde ja nie funktionieren«, erinnert sich Dogan. Ihm schlug gewaltige Skepsis entgegen. Und: »Die Leute wollten von ihren Nachbarn nicht gesehen werden, das war ihnen unangenehm - man geht doch nicht zum Friseur im Discounter.«
Zum Kultfriseur avanciert
Kunde Maik Müller, Polizeibeamter in der Ruhrgebietsstadt, meint zum anfangs schweren Stand: »Da wurde einfach ein Image übertragen: Billiger Supermarkt, billiger Friseurladen.« Bei dem inzwischen zum Kultfriseur avancierten 43-Jährigen hängen heute an den Wänden hinter Glas mehrere handsignierte Trikots - etwa von BVB-Mittelfeldstar Gio Reyna, dem Dogan die Haare schneidet. Und von Torjäger Erling Haaland, Sebastian Rode oder Christian Pulisic, die heute aber für andere Topteams spielen. Auch bei ihnen hat Taner Dogan Hand angelegt.
Der allererste Top-Fußballer, der auf seinem Stuhl Platz nahm, war der Däne Jacob Bruun Larsen, mit damals 16 Jahren noch in der A-Jugend des BVB. »Dann hat er mal Pulisic mitgebracht, dann Emre Mor - und so ging es immer weiter.« Die Ladenfronten sind aus Glas, alles ist gut einsehbar. Plötzlich drückten sich die Leute auch schon mal die Nase an den Fenstern platt. »Da kam der gesamte Trainerstab im Anzug - Torwarttrainer, Co-Trainer, Fitnesstrainer, der BVB-Chefarzt«, berichtet Maik Müller als befreundeter Stammkunde.
Kein Promi-Bonus
Auch Kommunalpolitiker, Landtagsabgeordnete, Verbandschefs, Manager und Direktoren lassen sich von Dogan nun den Schopf in Form bringen oder auch mal Haare aus Ohren und Nase entfernen. Der Familienvater ist aber total auf dem Teppich geblieben. Alle Kunden werden bei ihm quasi über einen Kamm geschert. »Ich behandele natürlich alle gleich.« Kein Tamtam. Kein Promi-Bonus. Dieselben Preise. Auch in München gebe es einen Friseursalon bei Netto, sagt Dogan.
Er stammt aus einer sogenannten Gastarbeiterfamilie, ist in Dortmund geboren und schrammte als Top-Amateurspieler selbst knapp an einer Profikarriere vorbei, wie der 43-Jährige erzählt. Er hat viele Angehörige in der Türkei, die nicht weit von den Katastrophengebieten entfernt leben. Fast alle seiner türkeistämmigen Freunde im Ruhrpott haben Verwandte unter den Trümmern verloren. Rund 50.000 Todesopfer wurden bisher nach den Beben vom 6. Februar in der Türkei und in Syrien gemeldet.
»Das Allerwichtigste ist die Hilfe für die Kinder«
Für sie hat das Ehepaar Dogan eine Spendenaktion ins Leben gerufen. Noch bis kommenden Dienstag erhält jeder Spender ein Tombola-Los. Für die Gewinner stehen im Salon unter anderem ein vom gesamten Borussia-Kader signiertes Trikot und ein Fußball mit allen Autogrammen bereit oder auch Originalschuhe vom aktuellen BVB-Profi Salih Özcan und die Torwarthandschuhe von Keeper Gregor Kobel.
Mit weiteren Aktionen habe er einen Wohncontainer für zwei türkische Familien im Erdbebengebiet finanzieren können, berichtet Dogan. Er plant noch andere Initiativen. Ganz besonders liegen ihm die Kinder in der Katastrophenregion am Herzen. »Ich habe selbst drei kleine Kinder. Das Allerwichtigste ist die Hilfe für die Kinder.«
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