VADUZ. Die Kirchenglocken der Kathedrale Vaduz schellen laut und hell. Sie konkurrieren mit den lauten Klickgeräuschen der vielen Kameras in einem Aufgang des Schlosses Vaduz. Die Journalisten scharen sich um einen drahtigen Mann in den Fünfzigern. Dieser spricht über Hausaufgaben für die demokratisch gewählte Regierung seines Kleinstaates: Energiesicherheit, Medienlandschaft, die Rolle des Staates in der Wirtschaft. »Durchlaucht« ist die Anrede vor jeder Frage an ihn, auf die peinlich genau geachtet wird. Eine Anrede, welche in Deutschland oder Österreich seit mehr als einem Jahrhundert nicht mehr gebraucht wird.
Der elegante Herr vor den Mikrofonen ist Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein. Auf Nachfrage zu seiner Rolle sagt er: »Wie ich mich selbst sehe? Als Staatsoberhaupt.« Sein Staat ist dabei ein Kuriosum: Nur rund 40.000 Staatsbürger leben in dem reichen Alpenstaat Liechtenstein, das Rheintal ist eingerahmt von den Bergen Österreichs und der Schweiz. Das Staatsgebiet würde mehr als 220-mal in Baden-Württemberg passen.
Ein modernes Relikt
Im Jahre 1719 hatte die Adelsfamilie Liechtenstein das Fürstentum aus politischen Gründen gekauft und herrscht seitdem über den Kleinststaat. Obwohl die Herrschaftsform ein Relikt aus dem Heiligen Römischen Reich ist, ist der Staat Mitglied beim Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und hat einen Sitz in der Uno, ist heutzutage also keinesfalls rückständig. Ursprünglich ein armer Bauernstaat, setzte in Liechtenstein nach dem Zweiten Weltkrieg ein Aufschwung ein, der das Land zu einem wohlhabenden internationalen Finanz- und Industriestandort transformierte. Was fehlt: Die demokratische Legitimation des Staatsoberhauptes, das immer noch von Gottes Gnaden regiert.
Um die Verbundenheit mit den Monarchen zu verstehen, hilft ein Blick in die Vergangenheit. Der damalige Fürst Franz Josef II. hatte die kleine Nation zur Zeit des Nationalsozialismus vor dem Anschluss an das Dritte Reich bewahrt, indem er 1938 seinen ständigen Wohnsitz aus Wien in das desolate Schloss Vaduz verlegte und gemeinsam mit der Schweiz neutral blieb. Der Geburtstag des Adeligen war am 16. August. Und weil die Leute hier offenbar pragmatisch veranlagt waren, verbanden sie diese Sause mit dem kirchlichen Feiertag am 15. August, Maria Himmelfahrt.
Seit 1990 findet ein Staatsakt auf der Schlosswiese neben dem Schloss Vaduz statt. Die Fürstenfamilie lud ihr Volk bis vor wenigen Jahren zu Getränken und Häppchen in den Rosengarten des Schlosses ein. Doch dann kam Corona und jetzt gerade sind die Blumen hinter Bauzäunen versteckt, weil Fernwärmerohre in die alten Mauern eingeleitet werden. So setzt sich auch dieses Jahr um 11.30 Uhr ein Festzug vom eingerüsteten Schluss Vaduz in Richtung Schlosswiese in Gang. Vorneweg Frauen in traditionellen Trachten sowie eine Blasmusikkapelle. Es folgen Diplomaten, Regierungsmitglieder und schließlich die fürstliche Familie. Vielen Zuschauern stehen in der prallen Sonne die Schweißperlen auf der Stirn, doch sie schwenken rotblaue Fähnchen und applaudieren, sobald die Regenten an ihnen vorbeimarschieren.
Diskreter Auftritt, großes Geld
Auch Fürst Hans-Adam II. ist Teil dieses Festzuges, er hatte das politische Tagesgeschäft aufgrund seines Alters an seinen Sohn, Erbprinz Alois, abgetreten. Mit geschätzten fünf Milliarden Euro laut Forbes Magazin, ist er der reichste Monarch Europas. Der Familie gehört eine der größten privaten Kunstsammlungen der Welt. 1.600 Gemälde von Rubens bis Waldmüller, kostbares Porzellan, Bronzen und andere Kostbarkeiten sind in ihren Museen und Palais ausgestellt und in Kunstspeichern gelagert. Und die fürstliche Treuhandbank LGT verwaltet diskret nicht nur das eigene Vermögen, sondern auch jenes internationaler Anleger und Stiftungen. Anders als die Grimaldis aus Monaco sucht die skandalfreie Fürstenfamilie nicht die Aufmerksamkeit der Boulevardpresse.
Während auf der Schlosswiese im Anschluss an die Prozession das Blasorchester spielt und Erbprinz Alois seine Ansprache hält, tummeln sich vor der Bühne Liechtensteiner und Gäste. »Wir sind schon zum zweiten Mal hier«, verrät Daniel Seitz. Er ist mit seiner Familie aus Bayreuth für den Feiertag nach Liechtenstein angereist. Dass Liechtenstein existiert, wusste er lange Zeit gar nicht. »Mein Sohn musste in der Schule ein Referat über Liechtenstein halten. Irgendwann dachten wir uns, dass wir das Land mal besuchen sollten.« Voriges Jahr habe es ihm beim Fürstenfest gefallen. Nach dem offiziellen Teil gehe er noch ins Kunstmuseum – am Staatsfeiertag bei freiem Eintritt – und freut sich auf das Abendfeuerwerk. »Darum sind wir dieses Jahr wiedergekommen.«
Nach dem Staatsakt sitzt ein Brasilianer auf der Wiese. Sein Name ist José. »Ich habe lange Zeit in Liechtenstein gearbeitet, jetzt bin ich nur noch zum Urlauben hier.« In Liechtenstein habe er gutes Geld verdient, die bergige Landschaft vermisst er manchmal.
Trotz aller Begeisterung fallen die Lücken in der Zuschauermenge auf. Große Teile der Wiese sind frei. Wenn viele Anwesende bei der Rede des Erbprinzen über die Kontinuität und Stabilität des Fürstentums- und Fürstenhauses zustimmend nicken, ist dies kein genereller Stimmungsmesser.
Die meisten Liechtensteiner sind trotz Einladung nicht gekommen. Möglicherweise ist ihnen die eigene Meinung zur politischen Lage wichtiger als die des Erbprinzen. Einige werden vielleicht wieder kommen, wenn die Baustelle im Rosengarten geschlossen ist. Dann werden Fürst und Erbprinz wieder mit ihrem Volk ein Bierchen trinken. (GEA)
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