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Das Delta-Gespenst geht um: Kommt Corona mit Wucht zurück?

Kaum noch Ansteckungen, weniger Beschränkungen und ein lauer Abend mit Freunden: Gefühlt geht die Pandemie zu Ende. Doch Delta und die Angst vor der vierten Welle liegen als Schatten über dem Sommerglück.

Intensivstation Coronavirus
Die Corona-Situation auf den Intensivstationen in Baden-Württemberg entspannt sich nach Einschätzung des Ludwigsburger Chefarztes Götz Geldner. Foto: Ole Spata/dpa
Die Corona-Situation auf den Intensivstationen in Baden-Württemberg entspannt sich nach Einschätzung des Ludwigsburger Chefarztes Götz Geldner. Foto: Ole Spata/dpa

BERLIN. Gerade fühlt sich das Leben in Deutschland schon fast wieder normal an, da stört das Corona-Gespenst Delta die sommerliche Euphorie. Die ansteckendere Variante gewinnt auch hierzulande an Bedeutung, eine mögliche vierte Welle wird dadurch wahrscheinlicher.

Ob sie tatsächlich kommt und wie schlimm sie wird, ist allerdings kaum vorherzusagen. »Ich bin mittlerweile so weit, dass ich sage, wir sind hier jetzt im Rennen in Deutschland mit der Delta-Variante«, sagte der Berliner Virologe Christian Drosten am Freitagabend auf dem Online-Kongress für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin. »Wir müssen das ab jetzt wirklich ernst nehmen.« Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) warnte, die zuerst in Indien bekannt gewordene Variante werde in drei bis vier Wochen in Deutschland dominierend sein. Und Ifo-Präsident Clemens Fuest sagte »t-online«: »Die Delta-Variante ist eine ernstzunehmende Gefahr für die deutsche Wirtschaft.«

Nach einer Analyse des Robert Koch-Instituts (RKI) für die erste Juniwoche hat sich der Anteil der Delta-Variante (B.1.617.2) in Deutschland innerhalb von nur einer Woche auf sechs Prozent fast verdoppelt. Das RKI geht davon aus, dass Infektionen mit der Delta-Variante zu schwereren Krankheitsverläufen führen könnten.

Inzidenz sinkt weiter

Gleichzeitig entspannt sich die Corona-Lage weiter. Die Zahl der Coronapatienten auf Intensivstation fiel am Wochenende erstmals seit Oktober unter 1000, das RKI gab die Sieben-Tage-Inzidenz am Sonntag mit 8,8 an (Vortag: 9,3; Vorwoche: 17,3; Vormonat: 68,0). Mittlerweile reißt keine Stadt und kein Landkreis mehr die Inzidenzmarke von 50. Die Sorge ist, dass die Zahlen wieder steigen könnten, wenn die ansteckendere Delta-Variante dominierend wird.

In einigen anderen Ländern wie Indien und Großbritannien schlägt Delta bereits heftig zu. Die portugiesische Hauptstadt Lissabon war wegen der Mutante am Wochenende abgeriegelt. In Russlands Hauptstadt Moskau wurde ein Rekordwert bei den Neuinfektionen verzeichnet. Bürgermeister Sergej Sobjanin zufolge sind fast 90 Prozent der Covid-Erkrankungen auf Delta zurückzuführen. Moskau kämpft - wie ganz Russland - weiter mit einer großen Impfskepsis in der Bevölkerung.

Die Situation jetzt in Deutschland sei mit der in England im Mai durchaus ein wenig vergleichbar, sagte Drosten. In Großbritannien hatte die Delta-Variante innerhalb weniger Wochen trotz fortgeschrittener Impfquoten deutlich die Vorherrschaft im Infektionsgeschehen übernommen. Die Sieben-Tage-Inzidenzen stiegen wieder - von 20 auf zuletzt rund 80. Lockerungen wurden deshalb gestoppt. Angesteckt hätten sich dabei vor allem junge Erwachsene, sagte Drosten. Die Infektionen hätten sich in England vorwiegend in den Impflücken abgespielt.

Helfen die Sommerferien?

»Wenn wir jetzt so rechnen würden, wie sich das in England entwickelt hat, also mit einer ungefähren Verdoppelung pro Woche, dann hätten wir dieses spekulative Szenario: Dann lägen wir in dieser Woche schon bei 20 Prozent«, sagte Drosten. Anfang Juli würde die Delta-Variante dann auch in Deutschland dominieren. »Und wir müssten damit rechnen, dass Anfang Juli in Deutschland auch die Meldezahlen wieder hochgehen«, folgerte der Wissenschaftler. Das sei aber noch reine Spekulation und eine Hypothese. Deutschland habe noch Chancen, wenn es die Inzidenz in den nächsten Wochen weiter senken könne. »Was auch helfen könnte, sind die Schulferien. In England ging es in den Schulen los. Das ist ein deutlicher Unterschied.«

Es sei aber bisher keine erhöhte Re-Infektionsrate zu beobachten. »Das heißt, die, die entweder geimpft sind oder infiziert waren, sind gut geschützt.« Für die Zukunft sei auch ein Verlust des Zusammenhangs zwischen Fallzahl und Krankheitslast zu erwarten. Trotz Ansteckung würden die Infektionen dann milde oder gar nicht spürbar.

Der Corona-Modellierer Kai Nagel von der TU Berlin sagte kürzlich dem »Tagesspiegel«: »Wenn wir das Wissen über die Delta-Mutante und den über die Zeit nachlassenden Impfschutz zusammennehmen, ergibt sich in unserem Modell bei ausbleibenden Gegenmaßnahmen eine vierte Welle in den Übertragungen.« Bei Geimpften und Genesenen, Kindern und Jugendlichen erzeuge dies voraussichtlich meist keine schweren Verläufe. Allerdings werden nahezu alle Nicht-Immunisierten durch die Welle ungefähr gleichzeitig infiziert. »Im Modell führt das immer noch zu einer erheblichen Belastung der Kliniken.« Es sei plausibel, dass diese Welle zum Ende der warmen Jahreszeit komme oder früher.

Was ist langfristig zu tun?

Nagel betonte, dass möglichst viele Menschen schnell den vollen Impfschutz bekommen sollten. Bislang ist in Deutschland knapp jeder Dritte vollständig geimpft, gut die Hälfte hat eine erste Dosis.

Zudem plädiert Nagel dafür, sich schon jetzt auf Maßnahmen, die eventuell im Herbst notwendig werden, vorzubereiten. In diese Kerbe schlagen auch andere. So sagte der Bonner Virologe Hendrik Streeck der »Fuldaer Zeitung«: »Wir versäumen es, aus der Pandemie maximal zu lernen und uns auf Herbst und Winter vorzubereiten. Es herrscht allgemein der Eindruck, das Virus verschwindet und dass wir die Pandemie überwunden haben, wenn die nächsten Monate ruhig laufen.«

In Schulen werden Corona-Maßnahmen deshalb nach Ansicht von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Herbst und Winter aufrechterhalten werden müssen. Er nannte am Samstag bei einer Online-Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing die Maskenpflicht und Wechselunterricht. »Da setzen sich Millionen Menschen in Bewegung, die sich sonst nicht in Bewegungen setzen würden und begegnen sich«, erklärte er. Das könne zu einer »Drehscheibe in die Haushalte hinein« werden. (dpa)