PARIS. Auf dem Platz vor Notre-Dame ist eine Theatertribüne aufgebaut. Rollschuhartisten und Puppenspieler treten vor Touristen auf. Die charakteristischen Nordtürme der Kathedrale bilden von der Westseite her die gewohnte Kulisse. Ein Bauzaun versperrt den Zugang zur Kirche. Darauf ist in Form eines über 20 Meter langen Comics der Brand vom 15. April 2019 und der Wiederaufbau des berühmten Bauwerks dargestellt. Mehrere gigantische Kräne umgeben den eingerüsteten Körper dieses Wahrzeichens der französischen Hauptstadt.
- Wer hat den Brand verursacht?
Der Brand brach an einer Stelle aus, an der Renovierungsarbeiten stattfanden. Zum Zeitpunkt des Alarms gegen 18.20 Uhr fand eine Messe statt und die Arbeiter hatten die Baustelle bereits verlassen. Die Pariser Staatsanwaltschaft bewertete den Brand als Unfall. Die Ermittlungen wegen fahrlässiger Brandstiftung, an denen 50 Ermittler arbeiteten, ergaben keine Anzeichen für eine bewusst herbeigeführte Katastrophe. Nach Polizeiangaben sei die Brandursache unbekannt, es könne ein Kurzschluss gewesen sein. Auch eine brennende Zigarette gilt als mögliche Ursache für das Feuer. Bekannt ist, dass das Rauchverbot missachtet wurde, um für eine Rauchpause auf den beschwerlichen Abstieg aus der Baustelle zu verzichten. Es gab nur einen Sicherheitsbeauftragten. Dieser war erst kürzlich eingestellt worden und mit der Brandmeldeanlage nur unzureichend vertraut. Er konnte den ersten Alarm keinem Ort zuordnen und keinen Brand lokalisieren. Dreißig Minuten vergingen, bis die Feuerwehr gerufen wurde.
- Wer bezahlt den Wiederaufbau?
Notre-Dame selbst war nicht versichert, nur die Kunstwerke in der Kathedrale – die zu 90 Prozent gerettet wurden, aber gereinigt werden müssen. Kirchen gehören in Frankreich seit der Revolution dem Staat. Da kein Fremdverschulden durch die Renovierungsfirma nachgewiesen werden konnte, muss der französische Staat für die Kosten aufkommen, die auf 600 bis 800 Millionen Euro geschätzt werden. Innerhalb von einer Woche nach dem Brand lagen Spendenzusagen von Konzernen und Milliardärsfamilien über diese Summe vor. Linke Parteien kritisierten die Steuerabzüge von bis zu 60 Prozent für diese Spenden, mehrere Spender verzichteten auf diese Vorteile.
- Wann werden die Arbeiten fertig?
Staatspräsident Emmanuel Macron versprach noch am Abend des Brandes einen Wiederaufbau innerhalb von fünf Jahren. Das fanzösische Parlament beschloss im Juli 2019 ein Gesetz, dass eine Fertigstellung zu den Olympischen Spielen in Paris im Sommer 2024 ermöglichen soll. Die Hauptorgel soll bereits im April 2024 fünf Jahre nach dem Feuer wieder erklingen. Doch zu Olympia wird die Kirche wohl noch nicht fertig sein. Inzwischen ist von einem Einweihungsgottesdienst am 8. Dezember 2024 zum Marienfest die Rede. Detailarbeiten werden aber wohl noch bis in die 2030er-Jahre andauern.
- Was verzögert die Bauarbeiten?
Zunächst mussten die 40 000 Teile des eingestürzten Baugerüsts geborgen werden. Dann wurden verschiedene Sicherungsmaßnahmen und statische Berechnungen durchgeführt. Dazu gab es Bohrungen in der Bausubstanz und 3-D-Modelle am Computer. Das Bergen des 200 Tonnen schweren und teilweise geschmolzenen Baugerüsts alleine dauerte sechs Monate und wurde durch Corona verzögert. Im November 2020 hieß es, die Einsturzgefahr sei nun gebannt. Im September 2021 hieß es, dass nun der eigentliche Neuaufbau beginne. Im März 2022 wurden präventive archäologische Ausgrabungen im Kircheninnern nötig, bei denen ein Bleisarg in Menschengestalt eines kirchlichen Würdenträgers aus dem 14. Jahrhundert, sowie bemalte Überreste eines Lettners – also einer baulichen Barriere zwischen Geistlichen und Laiengemeinde – aus dem 13. Jahrhundert sowie Fundamente der Vorgängerkirchen gefunden wurden.
- Rekonstruktion oder Modernisierung?
Diskussionen gab es, ob man den eingestürzten Dachreiter aus dem Jahr 1859 wieder rekonstruieren müsse. Diskutiert wurde auch, ob der Dachstuhl wegen der Brandgefahr wieder aus Holz gebaut werden solle. Macron beschloss, dass die Kirche äußerlich unverändert wieder aufgebaut werden müsse, was auch eine Mehrheit der Franzosen in Umfragen befürwortete. Der inzwischen zurückgetretene Erzbischof von Paris Michel Aupetit wollte das Innere der Kirche modernisieren und zeitgenössische Fenster an den Seitenkapellen anbringen lassen, was die damalige Kulturministerin Roselyn Bachelot-Narquin strikt ablehnte.
- Wurde die Brandkatastrophe bereits verfilmt?
Im März 2022 kam der Spielfilm »Notre-Dame in Flammen« von Regisseur Jean-Jacques Annaud in die französischen Kinos und bekam dafür 2023 einen César für die besten visuellen Effekte. Annaud ist durch seine Filme »Der Name der Rose« und »Sieben Jahre in Tibet« bekannt. Der Film konzentriert sich auf den Kampf der Feuerwehrleute, die den Einsturz der Kathedrale verhinderten und viele der Kunstschätze und Reliquien sowie die Orgel retten konnten. (GEA)