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96-jährige Rita Paul leitet New Yorker Promi-Hotel

In Berlin geboren, floh Rita Paul als Teenager mit ihrer Familie vor den Nationalsozialisten und landete schließlich in New York und im Hotel-Business. Im Washington Square Hotel beherbergte sie Stars wie Bob Dylan.

Judy und Rita Paul
Hoteleignerin Judy Paul (l) und ihre Mutter Rita Paul, die Gründerin des Washington Hotels. Foto: Christina Horsten
Hoteleignerin Judy Paul (l) und ihre Mutter Rita Paul, die Gründerin des Washington Hotels.
Foto: Christina Horsten

Mit Lederjacke, selbstgemachter Brosche, akkurat geföhnten silbergrauen Haaren und goldenen Ohrringen schreitet Rita Paul durch das Eingangsfoyer ihres Washington Square Hotels. »Die Bilder dort habe alle ich gemalt«, sagt die 96-Jährige, »und die Kacheln da hinten sind auch alle von mir.« Dann sieht sie eine Schlüssel-Abgabebox im Eingangsbereich und schnappt sich sofort den Portier. »Die kann da so nicht stehen, das sieht nicht schön aus, bitte räume die Box sofort aus dem Weg.« 

Seit 50 Jahren leitet Paul das Hotel mitten in Manhattan und hat es gemeinsam erst mit ihrem 2014 gestorbenen Mann und später ihrer Tochter von einer renovierungsbedürftigen Absteige in eine von Stars wie Bob Dylan und den Rolling Stones bevorzugte Luxus-Herberge verwandelt. »Geschichtsträchtig« und »unkonventionell« sei das Hotel, schwärmte jüngst die »New York Times«. Inzwischen hat Pauls Tochter Judy offiziell die Leitung übernommen, aber als künstlerische Leiterin ist Paul immer noch jeden Tag im Hotel, verziert jede Ecke mit ihrer Kunst und zieht alle Fäden. Ihre Mutter sei schlicht »ein Rock-Star«, sagt Judy Paul.

Kindheit in Berlin und Flucht nach Paris

Geboren wurde Paul 1927 als Rita Puchalski in Berlin. Ihre Eltern stammten ursprünglich aus Osteuropa und hatten zuvor in Tel Aviv gelebt, der Vater war im Immobilien-Geschäft. Sie habe nicht mehr viele Erinnerungen an die Zeit in Berlin, sagt Paul - außer, dass sie in einer großen Wohnung direkt gegenüber der Deutschen Oper gelebt hätten und dass sie einmal ihre Mutter beim Einkaufen im Kaufhaus Kadewe verloren habe und dann alleine nach Hause gelaufen sei. Aufgrund zahlreicher Krankheiten sei sie in Berlin nur kurz in der Schule gewesen und habe auch nur sehr wenig Deutsch gelernt, ihr Deutsch sei »praktisch nicht existent«. Eines der wenigen Wörter, das ihr nach einigem Nachdenken noch in den Sinn kommt: »Dingsbums«. 

1933 flieht die jüdische Familie vor den Nationalsozialisten, zuerst nach Paris und dann 1940 mit dem Schiff weiter nach New York - vorbei an der Freiheitsstatue, an den Moment erinnert sich Paul noch gut. Zunächst siedelt sich die Familie bei einer Tante im Süden von Brooklyn an. »Es war wie Tag und Nacht. Es war komplett anders. Das Essen, die Schule - alles.« Das Englischlernen sei ihr aber leicht gefallen. »Das hat höchstens drei Monate gedauert.« Paul schließt die Schule ab und studiert dann Mode und Design. Über das Immobilien-Business ihres Vaters, das dieser in New York wieder aufgenommen hat, rutscht sie gemeinsam mit ihrem Mann ins Hotel-Business - erst in Brooklyn und schließlich in Manhattan.

Das Hotel war eine »Müllhalde«

1973 kaufen Paul und ihr Mann das Washington Square Hotel, das damals noch The Earle hieß. Das Hotel liegt im legendären Szeneviertel Greenwich Village direkt am Washington Square - mit seinen Grünflächen, einem großen Brunnen und einem Torbogen seit Jahrzehnten Anziehungspunkt für eine wilde Mischung aus Spaziergängern, Hunde-Besitzern, Eltern mit kleinen Kindern, Studenten, Musikern und Drogen-Verkäufern. Als sie das Hotel kauften, sei es »eine Müllhalde« gewesen, sagt Paul. Aber die Gegend zog auch damals schon berühmte Künstler an.

Schriftsteller und Dichter wie Ernest Hemingway und Dylan Thomas und Musiker wie Bob Dylan, Bo Diddley und die Rolling Stones übernachteten schon im Washington Square Hotel. Sängerin Joan Baez verewigte es sogar in ihrem Song »Diamonds & Rust«: »Now you're smiling out the window - Of that crummy hotel - Over Washington Square.«

Das Hotel ist ihre Galerie

Die Pauls renovieren das Hotel und leben rund zwölf Jahre lang sogar selbst dort. »Wundervolle Jahre« seien das gewesen, sagt Paul, die inzwischen in einer kleinen Wohnung um die Ecke lebt, aber trotzdem die meiste Zeit im Hotel verbringt und auch oft in dessen Restaurant isst. Das Hotel sei ihre »Galerie«, sagt Paul, die auch auf ihrem Handy oft an Kunst arbeitet. »Ich hatte nie eine reguläre Galerie - vielleicht weil ich nicht genug Kunst hergestellt habe, oder vielleicht weil niemand Interesse hatte. Aber hier hält mich keiner auf.« Jede Wand, jede Säule, jede Tür hat Paul in ihrem »eklektischen Stil« bunt bemalt oder verziert. Einen sehr »individuellen Charakter« habe das Hotel so bekommen, sagt Paul - gerade in einer Stadt wie New York mit sehr vielen Kettenunterkünften.

Das Hotel heute zu führen sei nicht leicht, sagen Rita und Judy Paul. Durch die Pandemie seien sie mit staatlichen Hilfen gerade so durchgekommen, inzwischen seien die rund 150 Zimmer auf 9 Stockwerken wieder gut gebucht, aber die Unterhaltskosten seien gestiegen. »Kopfschmerzen, Kopfschmerzen«, sagt Judy Paul. »Aber wir schaffen es.« Ans Aufhören habe sie nie gedacht, sagt Rita Paul. »Mein Mann und ich haben das hier geschaffen und ich liebe alles daran. Wenn man so etwas machen kann, dann hat man Glück.«

Ihr Geheimnis, wie sie mit 96 Jahren noch so fit und aktiv sein könne? »Darauf gibt es eine sehr einfache Antwort: 80, 90 oder mehr Minuten jeden Tag auf dem Laufband mit der «New York Times».«

© dpa-infocom, dpa:230509-99-616428/5