Wolfsburg/Stuttgart (dpa) - Das Auto als rollender App-Store: Kunden des VW-Konzerns sollen ihren Wagen in Zukunft mit einem »digitalen Einkaufszentrum« vernetzen und wichtige Funktionen wie Updates der Fahrzeug-Software von überall aus erledigen können. Dazu wollen die Wolfsburger das Stuttgarter Unternehmen Diconium jetzt vollständig unter ihr Dach holen. Der Schritt hat auch für den internen Wandel des Autoherstellers eine hohe Bedeutung: Die VW-Gruppe sucht immer mehr IT-Experten und will Anwendungen zunehmend selbst entwickeln.
»Es gibt künftig nur noch eine Kern-App, mit der der Kunde auf alle Services zugreifen kann«, erklärt Kernmarken-Vertriebschef Jürgen Stackmann. Über die Nutzer-ID würden Auto, Händler und Hersteller zusammengebracht. Geplant sind auch Dienste zum Bezahlen beim Parken, Tanken und Aufladen oder für Multimedia-Streaming. In den Aufbau der nötigen Online-Infrastruktur und die Integration von Diconium steckt VW nach dpa-Informationen eine dreistellige Millionensumme. Dazu wird der bisher 49-prozentige Anteil an der Firma aus Baden-Württemberg auf 100 Prozent aufgestockt. Kartellbehörden müssen noch zustimmen.
Dienste wie Carsharing (WeShare) oder der Volkswagen-Shuttle-Service Moia bleiben zunächst zwar eigenständige Angebote. »Aber das «Einkaufszentrum» ist ein modulares System, wir schalten es Schritt für Schritt frei«, sagte Stackmann - erst einmal in Europa.
Diconium hat derzeit knapp 1100 Beschäftigte. Laut Mitgründer Andreas Schwend bleibt die eigene Marke bestehen: »Die Aktivitäten werden innerhalb der Car-Software-Organisation von VW weiterbetrieben.« Auch mit anderen Kunden liefen Projekte, der angestrebte Umsatzanteil aus den Aktivitäten bei Volkswagen liege bei 50 bis 60 Prozent.
Der weltgrößte Autobauer hatte zum Jahresbeginn eine Software-Einheit gestartet, die die Kompetenzen in der Fahrzeug-IT bündeln soll. Bis 2025 will VW über externe Übernahmen, Neueinstellungen und Fachleute aus den eigenen Marken mehr als 10 000 Experten in dem Bereich haben. Digitalvorstand Christian Senger sieht Diconium dabei als »nächsten konsequenten Schritt. Der Schwerpunkt liegt hier auf Schnittstellen zwischen Software und Handel.« Auch das Stuttgarter Gründer-Team bleibe im Unternehmen, so solle die Firmenkultur erhalten werden.
Die niedergelassenen Händler habe man frühzeitig eingebunden. Klar sei, dass neben digitaler Kommunikation persönliche Kontakte in den Autohäusern wichtig sind. »Wir stellen fest, dass Automobilunternehmen ohne festen Vertrieb im Volumengeschäft in Schwierigkeiten kommen können«, sagte Senger. Doch parallel seien Digitalplattformen für das Auto als »eine der letzten unerschlossenen Datendomänen« nötig. Zu einem E-Auto-Prototypen des japanischen Elektronikriesen Sony auf der Technikmesse CES in Las Vegas meinte der Manager: »Es werden sicher noch mehr Player auftreten.« Beim Ausbau seiner Cloud-Dienste arbeitet VW auch mit Microsoft zusammen.
Steffen Hahn, Geschäftsführer einer großen Händlergruppe für die VW-Konzernmarken, erklärte: »Wir begrüßen es grundsätzlich, dass der Hersteller in Richtung Digitalisierung denkt. Denn viele Prozesse, die online darstellbar sind, bieten Vorteile für uns und unsere Kunden.« Es gehe um eine Kombination online/offline. Ersetzen lasse sich der klassische Handel aber nicht - vor allem in der Beratung.